Aber etwas von Liebe muß es unbedingt sein.«
»Darf ich einen Vorschlag machen?« meldete sich die Hausherrin, die bisher kaum etwas gesprochen hatte, wie es so ihre stille Art war. »Ich kenne da so ein altes Liedchen, das ich in meiner Jugend sang – und das mir später mein Sohn Thomas vorsingen mußte…«
Die letzten Worte klangen schon tränenerstickt. Es trat eine peinliche Stille ein, in die Philchen dann mit gemachter Munterkeit hineinsprach, der Schwägerin dabei herzlich zunickend: »Silje kennt das Liedchen und wird es dir gern vorsingen. Nicht wahr, mein Kleines?«
»Gewiß…«, zeigte das Mädchen sich bereitwillig, obwohl es ihm nicht leichtfallen würde, in der fremden Gesellschaft gerade dieses Lied zu singen.
Sie setzte sich an den Flügel, und schon trat erwartungsvolle Stille ein.
Jetzt wird sie sich endlich blamieren – dachte Ilona schadenfroh. Eine Frechheit überhaupt, sich nach meinem wunderbaren Gesang hören zu lassen! Aber mir schon recht – hinterher singe ich dann wieder.
Mit hämischem Lächeln schmiegte sie sich in den Sessel, dabei nicht ahnend, daß vier Augen sie beobachteten. Wie Unwillen huschte es über das rassige Antlitz des Mannes, doch seine Tante lachte in sich hinein.
Und dann klang eine Stimme auf, süß und verhalten, voll jugendlichem Schmelz und zarter Innigkeit:
»Wenn sich zwei Herzen finden,
so muß es für immer sein,
sie soll’n sich einander verbinden,
eins soll das andre betreu’n.
Beim ersten Kuß am Morgen,
beim letzten beim Schlafengeh’n,
soll ohne Bang und Sorgen
eines dem andern gestehn:
Ich liebe dich – und du liebst mich,
so bleiben die Herzen inniglich,
bis daß der Tod sie scheide…«
So innig wie ein Gebet verklangen Spiel und Gesang. Müde sanken die schlanken Mädchenhände von den Tasten, der umflorte Blick der wundersamen Mädchenaugen schien in unermessene Ferne zu tauchen – in die Ferne der Erinnerung.
Denn dieses kleine alte Lied, von den Menschen der Jetztzeit nachsichtig belächelt, war wie ein Treueschwur gewesen zwischen der geliebten Mutti und dem nicht weniger geliebten Paps. Es wurde ihnen zum Morgen- und Nachtgebet.
»Sentimentaler Kitsch!« höhnte es da laut und vernehmlich in die andächtige Stille hinein.
Man zuckte richtig zusammen und sah Ilona unfreundlich an. Am liebsten hätte man sie empört zurechtgewiesen. Doch das konnten die Gäste nicht, und die Angehörigen wollten es in Gegenwart eben dieser Gäste zu keinem peinlichen Auftritt kommen lassen.
So taten sie denn alle, als hätten sie die taktlose Bemerkung nicht gehört, und spendeten der holden Sängerin ganz besonders herzlichen Beifall.
Man schien auch nicht zu sehen, daß der Hausherrin die hellen Tränen übers Gesicht liefen, griff rasch zum Glas, prostete der verlegenen Silje zu und lachte belustigt, als Mannerchen in theatralischer Pose der Besitzerin das Täschchen überreichte. Er beugte dabei sogar ein Knie, was bei seiner O-Beinigkeit drollig genug anmutete.
»Und nun bitte ich um den ersten Tanz, Sie kleine Nachtigall!« tat er forsch. »Stellt das Radio an, das wird bestimmt flotte Musik liefern.«
O ja, die Musik war flott, sehr sogar. Denn man war auf der Sendestation der Ansicht, daß die ersten Stunden im neuen Jahr der Jugend gehörten. Es quäkte und schepperte, heulte und pfiff, als wären alle Teufel losgelassen. Mannerchens O-Beine flogen nur so in grotesken Verrenkungen, und da seine Tanzpartnerin sich vor Lachen bog, wirkte sie ganz zünftig bei der Hopserei.
Als dann ein Tango aufklang, verneigte sich Bergau vor Ilona, Manierchen vor Bärbel, der Eisengießer Tarknitt vor Thea und Hadebrecht junior vor Silje. Auch die beiden Ehepaare machten vergnügt mit, bis auf die Gastgeber und Philchen. Eine Dame war sowieso zuviel und so trat letztere gern zurück. Lachend lehnte sie ab, als der Bruder sie aufforderte.
»Laß nur, alter Kampf- und Streitgenosse, zu diesem Tanz gehört Grazie, und die habe ich nicht.«
»Und wie ist es mit dir, Muttchen?«
»Ich sehe lieber zu.«
»Na, Gott sei Dank, daß ihr so vernünftig seid!« lachte er in seinem dröhnenden Baß. »Aber seht euch mal das Mannerchen an, der tanzt bestimmt jeden Tanz nach der gleichen Schablone. – Aber Silje und Eike, potztausend, das ist ja die reinste Augenweide! Jetzt seh ich erst, welch eine wunderbare Gestalt der Junge hat, und wie er den Frack trägt, das ist tatsächlich Noblesse! Noch nie ist mir das so aufgefallen wie jetzt.«
»Du hast ihn ja auch noch nie mit einer so bezaubernden Partnerin tanzen sehen«, bemerkte Philchen trocken. »Gut, daß Ilona dieses Paar nicht genau beobachten kann, weil sie selbst tanzt…«
»Was befürchtest du?« warf der Bruder kurz ein.
»Eifersucht, mein Lieber.«
»Da sei Gott vor!« sagte Ottilie leise. »Sonst könnten wir bei Ilonas Unbeherrschtheit noch was erleben. Die macht unserm Jungen und dem schuldlosen Mädchen das Leben zur Hölle.«
»Na, mehr als sie es bei ihrem Mann jetzt schon tut, geht es wohl kaum noch«, grollte Philipp. »Paß mir gut auf die Kleine auf, Philchen, damit ihr ja kein Leid geschieht! Sie ist mir nämlich sehr ans Herz gewachsen.«
»Worauf du dich verlassen kannst, Bruderherz.«
»Nun, dann bin ich beruhigt.«
Weiter konnte man nicht sprechen, da der Tango beendet war. Man legte nun eine Tanzpause ein. Selbst Mannerchen, obwohl es jetzt aus dem Kasten wieder quäkte und schepperte. Er hatte für heute genug. Und da auch die anderen müde waren, trennte man sich bald mit herzlichem Dank an die Gastgeber.
Wenig später lagen dann die unteren Räume im Dunkel, da sich jeder in sein Schlafzimmer zurückgezogen hatte.
Der junge Herr des Hauses war gerade zu Bett gegangen, als die Gattin, die holde, mit Vehemenz hereinplatzte. Sie machte ohnehin schon keinen erfreulichen Eindruck in ihrem nächtlichen Make-up, aber wie sie nun dastand, die Hände in die Hüften gestemmt, das Gesicht vor Wut verzerrt, konnte man geradezu einen Abscheu vor ihr bekommen. Was sie dem Gatten hauptsächlich vorwarf waren seine »Altmännermanieren«, sein Mangel an Elan und Vitalität.
Ungerührt hörte er sich diesen Sermon mit an, zuckte nur die Schultern, und meinte ironisch: »Sei froh, daß du dir noch immer wie ein Backfisch vorkommen kannst, obwohl – die Dreißig bedenklich naht!«
Damit knipste er die Nachttischlampe aus, legte sich auf die Seite – und krachend schlug die Tür zwischen den ehelichen Gemächern zu.
*
Verblüfft schaute Philchen, die auch schon in ihrem weichen Pfühl ruhte, auf die lichte Gestalt, die wie ein Elflein durch die breite Tür ins Zimmer schwebte.
»Schade, daß Mannerchen dich nicht so sehen kann!« bemerkte Philchen schmunzelnd – und schon riß der Solotanz ab, und die grazile Tänzerin ließ sich auf dem Bettrand nieder.
»Lieber nicht!« lachte sie übermütig. »Dann würden seine Schellfischaugen noch mehr hervorquellen und ihm am Ende gar aus dem Kopf fallen.«
»Na, beängstigend sah es sowieso schon aus«, bemerkte Philchen trocken. »Hauptsächlich, als du sangst. Du hast aber auch ein Stimmchen, Kleine, daß einem das Herz aufgehen kann!«
»Ihr wart aber auch alle milde Kritiker.«
»Hm – und Ilona?«
»Deren Urteil war von vornherein befangen, weil sie mich nicht leiden kann«, tat Silje gleichmütig ab. »Warum, das ist mir allerdings nicht klar, denn ich bin ihr