Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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hängt mit meinem Vorschlag zusammen«, sagte Fiebiger; der Polizeirat klingelte und befahl dem eintretenden Greiffenberger, Inquisiten wieder vorzuführen. Bevor wir jedoch den zweiten Akt des Verhörs erzählen, haben wir von einer Bekanntschaft zu berichten, welche Robert Wolf zwischen dem ersten und dem zweiten Akt im Vorzimmer des Bureaus Nummer dreizehn gemacht hatte.

      Kaum seiner mächtig, halb unfähig zu hören und zu sehen, hatte Robert dem Winke des grimmigen, lakonischen Greiffenberger Folge geleistet. Er wäre fast zu Boden getaumelt, hätte ihn nicht die Hand im grauweißen waschledernen Handschuh, die fast so gut zu deuten verstand, wie jene an der Wand im Saal des Königs Belsazar, auf eine niedrige Bank gedrückt, auf welcher er sitzen blieb, das Gesicht mit den Händen verdeckend, zu gleicher Zeit schluchzend und mit den Zähnen knirschend. Ein junger Uhu, welchem man das erste Nest zerstörte und den man zugleich aus seiner dunkeln Verborgenheit in die helle scharfe Sonne reißt, würde ungefähr ähnlich fühlen wie Robert Wolf in diesen Augenblicken. Das unzurechnungsfähige Gebaren des unglücklichen Knaben erregte denn auch sogleich aufs äußerste die Aufmerksamkeit eines Individuums, welches bis jetzt, mit dem Rücken dem Zimmer zugewendet, an einer Fensterscheibe getrommelt hatte und welches in Wesen und Erscheinung einen wunderlichen Gegensatz zu dem gepeinigten Robert bildete.

      Besagtes Individuum trug zu einer Zeit, wo der Herbst schon sehr bedenklich in den Winter überging, einen hellen Sommeranzug, der seinerzeit höchst elegant und in den Hundstagen gewiß auch sehr angenehm gewesen war, welcher aber jetzt durchaus nicht mehr irgendeinen Anspruch auf Neuheit, Eleganz und Zweckmäßigkeit machen konnte und den jedes wärmer bekleidete Menschenkind nur mit Schauder und Frösteln ins Auge fassen konnte. Hellblau war seine Farbe. Gentile Schäbigkeit umhauchte die ganze Erscheinung, und etwas Unwägbares, Unfaßbares, Unfühlbares, welches seinen Sitz ebenso gut in dem lockern Halstuch wie in den hellblauen Zeugstiefelchen haben konnte, verkündete unwiderleglich, daß der Gegenstand unserer Schilderung mit mehr Phantasie als Verstand begabt sei und daß er nicht zu jenen soliden Klassen und Stützpfeilern der Gesellschaft gehöre, auf welche das Auge des Nationalökonomen mit Wohlgefallen blickt.

      Julius Schminkert war ein Künstler, ein Künstler in des Wortes verwegenster Bedeutung, und nur deshalb kein Genie, weil er die eine Grundbedingung der Genialität, Selbstvertrauen, in zu hohem Grade, und die andere, Konzentrationsfähigkeit, in zu geringem Maße oder, besser gesagt, gar nicht besaß. Er konnte alles – Komödie spielen, Verse machen, einen Pudel scheren, einen Menschen frisieren, mehrere Instrumente spielen, sowie jedes beliebige Kartenspiel; auf dem Billard war er Meister, sein Vertrauen auf die Langmut Gottes war unerschütterlich. Übrigens log er gern und mit Geschick; wir führen den leichtsinnigen Tropf vor, wie wir ihn auf dem Wege unserer Feder gefunden haben. Augenblicklich befand er sich in den Hallen des Zentralpolizeihauses, um Verwahrung einzulegen gegen eine Auspfändung, bei welcher man ihm außer allem andern, was sein war, aus Versehen auch seine >Rollen< mit ausgeführt hatte. Ein juristischer Freund hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, daß dieses dem Recht des beneficii competentiae, wonach der Gläubiger dem insolventen Schuldner das Handwerksgerät zur Erwerbung seines Lebensunterhaltes lassen müsse, schnurstracks zuwiderlaufe.

      »‘s ist ja der reine Mordversuch gegen dich, Julius!« hatte der juristische Freund gesagt. »Reine, krasse Meuchelei ist es!« Und Julius hielt diesen Fall für eine höchst vortreffliche Gelegenheit, den Strom der Gerechtigkeit an seiner Quelle aufzusuchen, das Talent gegen die Materie zu verteidigen und in seiner beleidigten Würde als Künstler und Mensch gegen die zwingende Gewalt der gemeinen Wirklichkeit und gegen den tailleur de Paris Herrn Alphonse Stibbe, den Anfertiger des hellblauen Sommerkostüms – o holdeste Angelika Stibbe! – zu deklamieren, Protest zu erheben und sich dabei gratis am Feuerherde der hohen Polizei zu erwärmen.

      Den Stoßseufzer: O Angelika! haben wir nicht ohne Grund eingeschaltet. »Ich würde mich, um zu meinem Rechte zu gelangen, inniger an Fräulein Angelika Stibbe als an irgendein Institut menschlicher Gerechtigkeitspflege halten«, hatte der juristische Freund seinen Ratschlägen und Anreizungen hinzugefügt, ohne jedoch dadurch den beleidigten Rechtssinn Schminkerts in ein anderes Bett leiten zu können; denn Julius hatte sich nur in seine wirkungsvollste Attitüde geworfen, und die linke Hand aufs Herz legend, die rechte zum Himmel emporstreckend, hatte er gerufen:

      »Soll ich die Schönheit dergestalt entwürdgen,

       Daß sie das Gold, das in den Staub mir fiel,

       Im Hohn des Pöbels seufzend sucht zusammen

       und kniend das Verlorene mir bietet?«

      Solcher idealen Anschauung zartester Verhältnisse nachgebend, befand sich Julius Schminkert in diesem Augenblick im Vorzimmer des Bureaus Nummer dreizehn. Manch einen verschlungenen Namenszug, manch ein vom Pfeil der Liebe durchbohrtes, manch flammenschlagendes Herz hatte er an die beschweißte Fensterscheibe gezeichnet; jetzt unterbrach er sein Trommeln an ihr, um mit untergeschlagenen Armen zu aufmerksamer Betrachtung sich vor Robert Wolf aufzupflanzen. Nach einem minutenlangen Anstarren fragte er mit Grabesstimme: »Wofür drin?«

      Robert sah nicht einmal auf, regte sich nicht. Julius Schminkert legte ihm pathetisch die Hand auf die Schulter:

      »Mitbruder im Pech, nenne mir das Verbrechen oder das Unglück, das dich an diesen Ort des Heulens und Zähneklapperns führt! Zu den Gezeichneten gehörst du, ich sehe das Mal auf deiner Stirn. Ich sehe auch die kalte Faust, welche dich am Rockkragen gepackt hält, dich schüttelt und dich demnächst mit Grazie in die Ecke werfen wird, wohin sie schon so manchen deinesgleichen geworfen hat. Unglücklicher, wehe dir!«

      Mit offenem Munde starrte Robert jetzt den Deklamator an:

      »Sind Sie verrückt?« fragte er mit stumpfem Grimm.

      »Nicht mehr als alle ändern vernünftigen Menschen; – nur ein wenig aufgeregt«, meinte Julius Schminkert. »Unbekannter Mensch, Wanderer auf dem runden Ball der Erde, der nicht der Ball des Glückes ist; in der zweiten Person Singularis rede ich dich an, weil ich mich auf dieser Bank neben dir niederlasse. Brüder im Leiden sind alle die, welche auf diesem vierbeinigen harten Ungeheuer beieinander saßen, sitzen und sitzen werden, ‘s ist eine große Verwandtschaft.«

      »Ich schlage Ihnen den Schädel ein, wenn Sie mir noch näher rücken!« rief Robert, die Faust erhebend und zum äußersten Ende der Bank zurückweichend.

      »Ruhe dort im Winkel!« schnarrte Greiffenberger vom Ofen her. »Herr Schminkert, seien Sie doch verständig!«

      »Verständig?« rief Julius. »Ich bitte Sie, Herr Wachtmeister, können Sie das von einem Menschen, der bei solchem Wetter so leicht gekleidet geht, verlangen? Verständig?! Auf dem Wege hierher begegnete mir ein Wirklicher Geheimer Rat in einem Marderpelz; man sah nichts von ihm als die Nasenspitze, und an dieser Nasenspitze sah ich sogar dem Mann bei dieser Kälte den Unverstand an. Verständig?!«

      »Auch ‘ne Ansicht von die Sache«, brummte Greiffenberger, und die Unterhaltung stockte einige Zeit im Vorzimmer des Bureaus Nummer dreizehn. Robert Wolf hatte den Kopf wieder in beide Hände genommen, Julius betrachtete ihn verstohlen von der Seite, und Greiffenberger sog mit der Schattenseite seines Ichs so viel Ofenwärme wie möglich ein und sah so gedankenlos wichtig wie möglich dabei aus.

      Der Wind trieb den eisigen Regen in immer schärfern Stößen gegen die Fensterscheiben, der Nebel wurde immer dichter, die Welt im allgemeinen wie im besondern immer unbehaglicher. Schminkert gab sich den seltsamsten Körperverrenkungen auf seinem Ende der Bank hin, bis er das möglichste, was in dieser Art zu leisten war, geleistet hatte und sein quecksilberartiges Temperament eine Veränderung der Unterhaltung erforderte. Er erhob sich, dehnte und reckte sich, gähnte entsetzlich und schritt zu dem Ofen, wo er den Polizeiwachtmeister in ein leises Gespräch verwickelte, und bald hatte er aus dem würdigen Mann alles heraus, was er über den armen Robert wußte.

      Dann erklang die Glocke des Polizeirats Tröster; Greiffenberger rückte den Säbel zurecht, marschierte in ordonnanzmäßiger »Properteh« in das Heiligtum des Bureaus und ließ das bodenlose Genie in kopfschüttelndem Nachsinnen über den Reichtum der Welt an tollen Lebenserscheinungen zurück.

      Dann hatte Robert Wolf abermals dem charakteristischen Winke der Sicherheitsbehörde Folge zu leisten. Wieder