Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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und Renate hatte sich deshalb auch mit dem Gedanken angefreundet, in Bonn zu studieren.

      Nächtigen durfte sie dann ausnahmsweise doch in der Schubertstraße.

      Papa saß noch lange biertrinkend und rauchend auf der Terrasse und zog über Olaf vom Leder. Politologie! Das sei keine ernstzunehmende Wissenschaft. »Da wird nichts als leeres Stroh gedroschen! Und was will Renates Waldschrat später mal anfangen mit seinem Diplom? Etwa ’ne Familie ernähren?« Heutigentags würden die Familienväter ja nicht mehr um ihre Einwilligung gebeten, wenn die Kinder sich verheiraten wollten. »Aber Renates Eheschließung mit diesem rauschebärtigen Politologen kann ich nun mal nichts abgewinnen!«

      Das sei doch noch längst keine beschlossene Sache, sagte Mama und wedelte mit der Hand Papas Zigarettenqualm weg. »Dieses Verhältnis wird sich noch gewaltig abkühlen, und dann werden wir ja sehen …«

      Nebenbei hatte Mama eine Mängelliste erstellt: Beide Balkontüren klemmten, das Fenster im oberen Bad beschlug von innen, der Vorkeller roch muffig, die Küchenschublade ging nicht ordentlich zu, der Kühlschrank vereiste zu schnell, und die Schrankwand hatte Macken.

      Bloß nie ein Haus bauen oder kaufen, das würde einem nur Ärger bescheren.

      Am Pfingstsonntag erschien Renate zwar morgens zum Unkrautjäten, aber um vier Uhr nachmittags holte Olaf das edle Freifräulein wieder ab, und wir anderen wurden noch bis zum Einbruch der Dunkelheit im Garten herumgescheucht.

      Bis zum Sommer, sagte Papa, müßten die Garage und die Waschküche verputzt werden. Großer Gott. Wenn man ein Häuschen im Grünen besaß, war man rund um die Uhr zum Malochen verurteilt.

      Auch am Pfingstmontag war’s noch affenartig heiß, und ich lernte am eigenen Leib das Phänomen der Unterarmnässe kennen.

       Tri-Top bringt den Riesenspaß – erfrischend fruchtig Glas für Glas!

      In der Küche machte Mama Gurkensalat fertig und zuckerte den Rhabarberpudding, obwohl ihr klar war, daß der niemandem schmeckte.

      Renate ließ sich erst lange nach dem Essen wieder blicken, als auf der Terrasse Kaffee getrunken wurde.

      In aller Herrgottsfrühe düngte Papa den Rasen, und Michael versprach mir, ganz bald wieder einen Brief zu schreiben.

      Renate rubbelte in der Küche mit einem benzingetränkten Schwamm die Scheißprilblumen von den Kacheln ab, während Papa draußen wieder mit dem Dachgepäckträger kämpfte. Die kannte ich schon aus Spanien, die Brüllerei. Und die Hitze war so viehisch, daß einem die Zunge raushing.

      Im Peugeot zurück nach Meppen. Ich saß hinten, und Renate sagte, daß Olaf heute ins Manöver ziehen müsse, nach Grafenwöhr.

      Auf einem Rastplatz vor dem Leverkusener Autobahndreieck kriegten wir hartgekochte Eier und belegte Brote zu essen.

      Kurz vor Rheine machten wir noch einmal Rast, und ich mußte eine ganze Weile ins Grüne wandern, um an einen Strauch ohne Klopapier und sonstigen Müll drumherum pissen zu können.

      Zuhause machte Mama den Fernseher an: Der dicke polnische Parteichef Edward Gierek weilte zu Besuch in Bonn. Papa schleppte seine Utensilien von der Einfahrt in den Keller. Dann wurde im Wohnzimmer Bier gesoffen, und nur ich kriegte nichts ab.

      In Erdkunde kamen die Rassenkonflikte in den USA dran und die Reservate für die von den Amis dezimierten Indianerstämme. Von den Indiandern würden viele heute bloß noch saufen.

      Nach Schulschluß suchte ich mir in der Stadtbücherei was Neues zu lesen aus: »Lausbubengeschichten« von Ludwig Thoma, über einen bayrischen Jungen mit schlechten Schulnoten und hundsgemeinen Lehrern. Einmal, als er gerade aufgerufen wurde, fiel ihm ein geheimer, parfümierter Liebesbrief runter, und den angelte sich der Lateinprofessor:

       Zuerst sah er mich an und ließ seine Augen so weit heraushängen, daß man sie mit einer Schere hätte abschneiden können. Dann sah er den Brief an und roch daran, und dann nahm er ihn langsam heraus. Dabei schaute er mich immer durchbohrender an und man merkte, wie es ihn freute, daß er etwas erwischt hatte.

      Und dann las der Lehrer den Brief der ganzen Klasse vor. Laut.

       »Innig geliebtes Fräulein! Schon oft wollte ich mich Ihnen nahen, aber ich traute mich nicht, weil ich dachte, es könnte Sie beleidigen.«

      Ich wäre eingegangen wie ’ne Primel, auf der Stelle, aber dieser Junge ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Der schmiß den Leuten, die ihn ärgerten, einfach das Fenster ein. Grausame Rache nehmen wollte er auch an der zickigen Nachbarin, einer Frau Geheimrat, und deren geliebter Angorakatze den Schwanz abschneiden.

       Wenn sie dann ruft: »Wo ist denn nur unser Miezchen?« schmeiße ich den Schweif über den Zaun hinüber. Aber ich muß mich noch besinnen, wie ich es mache, daß es niemand merkt. Da bin ich wieder lustig geworden, weil ich gedacht habe, was sie für ein Gesicht machen wird, wenn sie bloß mehr den Schweif sieht.

      Beim Spielen mit einem vornehmen preußischen Knäblein sprengte er dessen Spielzeugdampfschiff in die Luft, und bei einer Eisenbahnfahrt blies er den empörten Erwachsenen Zigarrenqualm ins Gesicht und soff Bier und warf das Glas zum Fenster hinaus, um einen Bahnwärter zu treffen. Aber dann kam das böse Ende:

       Ich dachte, wieviel schöner möchte es sein, wenn es mir jetzt nicht schlecht wäre, und ich hätte ein gutes Zeugnis in der Tasche, als daß ich jetzt den Hut in der Hand habe, wo ich mich hineingebrochen habe.

      Davon mußte ich Hermann erzählen.

      Manchmal fuhr Papa noch nach Einbruch der Dunkelheit zur E-Stelle, zum sogenannten Nachtschießen, das die Militaristen dort mit Donnergetöse zu praktizieren pflegten. Dann hallten Böllerschüsse durch die Nacht.

      Für mich kam endlich wieder Post von Michael.

       Huhuhu …

       Morgen Schule, und gleich Bundesjugendspiele! Das gibt wieder was. Ich hab ja noch nicht mal ’ne Turnhose! Noch in diesem Brief werde ich Dir Bericht erstatten, wie alles gelaufen ist.

       Mann, bin ich schlapp. Ich hocke hier um neun Uhr abends in meinem Zimmer und bin müde. Fernsehen darf ich nicht, und schlafen kann ich nicht, ist noch viel zu hell. Und in dieser ausgezeichneten Verfassung soll ich zu den Bundesjugendspielen? Das ist doch Irrsinn. Vielleicht gehe ich auch gar nicht hin. Wozu gibt’s diesen Mist überhaupt? Ich bin seit einem Jahr keine 100 m mehr gerannt, und weitgesprungen bin ich erst recht nicht. Da steht mir ’ne schöne Blamage bevor.

       So, jetzt geh ich pennen.

       Habe ausgepennt. Die Bundesjugendspiele sind vorbei. Wir sind dauernd bloß rumgelatscht, und als wir endlich angefangen haben, ist es selbst im Schatten heißer gewesen als in der Sahara. Ächz! Das Fußballspiel Schüler gegen Lehrer hab ich mir noch angesehen. Die Lehrer haben 5:0 gewonnen! So ein Mist. Und danach war der Bus vielleicht voll! Da wollten Tausende ins Schwimmbad. Ich darf wohl behaupten, daß die Drängeleien im Bus zermürbender waren als die ganzen blöden Bundesjugendspiele.

       Heute ist einer von den Schaltern an unserem Kassettenrekorder kaputtgegangen. Macht ja nichts, haben wir uns gesagt, wir haben ja ’ne Garantie. Von wegen! Da steht, daß die nur gilt, wenn die Garantiekarte ordnungsgemäß ausgestellt worden ist, mit Datum und mit Unterschrift des Verkäufers. Aber der Arsch von Verkäufer hat nicht unterschrieben! Schweinerei!

       Heute nacht hab ich kaum geschlafen, es war so’n dolles Gewitter. Mann, so einen Donner haste noch nicht gehört! Und erst die Blitze! Na, ich hab mir einfach die Ohren zugehalten. Aber dann hat es wieder ganz abscheulich gekracht. Und als es da blitzt und tost und wütet und donnert, da sehe ich an meinem Fenster ’nen Mann! In fahles Licht getaucht, ganz violett, mit dem Rücken zu mir. Ich dachte ja erst an ’nen Albtraum, aber dafür sah alles zu echt aus. Da bekam ich einen sagenhaften Schrecken, weil der Mann sich umdrehte. Er ging an mir vorbei und aus der Tür