Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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      Um den Spitzenreiter Hertha BSC aus dem Sattel zu holen, genügte Gladbach in Berlin ein einziges Tor, und den Aufsteiger Tennis Borussia Berlin deklassierte Eintracht Frankfurt im Waldstadion mit 7:1. Drei Tore hatte allein Bernd Hölzenbein erzielt, davon allerdings eins per Foulelfmeter, aber auch das war ja eine Kunst.

      In der DDR hatte sich ein Pfarrer mit Benzin übergossen und verbrannt, aus Protest gegen die drakonische Kirchenpolitik der SED. Oskar Brüsewitz.

      Zum Gruseln. Ob das wirklich so schlimm war da drüben? Oder hatte der Mann einen Sparren lockergehabt?

      Darüber könnten wir uns hier kein Urteil erlauben, sagte Mama.

      In einem Interview mit dem Spiegel wurde Helmut Kohl hart herangenommen: »Sie insinuieren für unscharf denkende Wähler mit Ihrem Wahlslogan ›Freiheit oder/statt Sozialismus‹, der von der SPD vertretene Sozialismus ähnele dem DDR-Sozialismus.« Darauf Kohl: »Das ist eine Unterstellung, ich insinuiere dies nicht.« Insinuieren? Dieses Wort mußte ich in meinem Fremdwörterlexikon nachschlagen.

       Insinuieren, jem. etw. auf feine Art, unmerkl. beibringen, zuflüstern; unterstellen.

      Die Befürchtung, daß Helmut Schmidt die Bundesrepublik dem Ostblock ausliefern werde, teilte Mama nicht. »Mit den Jusos kannst du mich jagen«, hatte sie mir mal gesagt, »besonders mit dieser Wieczorek-Zeul«, aber die Ostpolitik der SPD habe doch zu guten Ergebnissen geführt, zur Erleichterung der Reisen zwischen Ost und West und zur Entschärfung der Weltkriegsgefahr. 1962, »wenn ich daran noch denke, wie da die Kriegsschiffe der Supermächte aufeinander zugerollt sind! Da dachte man ja schon, jetzt knallt’s!« Und da hätte ich als Säugling eben erst das Licht der Welt erblickt.

      Zwei Omas klingelten bei uns und sagten, sie hätten eine Katze hüten sollen, und dann sei sie ihnen weggelaufen. Jetzt wollten sie wissen, ob unsere Katze diejenige welche sei.

      War sie aber nicht.

      Später kam noch eine andere Frau. Der ihr Kater war gestorben, und sie wollte einen Ersatz dafür haben, und dieser Frau gab Mama unser Kätzchen mit. Von Wiebkes Zimmer aus schoß ich mit meiner Kamera ein Foto von dieser Frau, wie sie mit der Katze auf dem Arm unser Grundstück verließ. Auf dem Foto war nachher von der Katze aber nicht mehr als der Schwanz zu sehen neben dem speckigen Oberarm der Abholerin.

      Michael schrieb mir, daß mein Brief aus Meppen eine nette Abwechslung gewesen sei.

       Wenn man sonst nur Groschenromane und Heimatgeschnulze über die Berge liest, ist einem ja selbst der größte geistige Dünnschiß willkommen.

      Hoch in den Bergen habe es dann aber Ärger gegeben:

       Nach 2 ½ Stunden kamen wir endlich oben an, und Mann, was haben wir uns auf ein deftiges Mittagessen gefreut. Tür auf, reingeschaut: Katastrophe! Alles besetzt! Bis auf den letzten Furziplatz!

      Auf Michael Gerlach wartete eben überall das Pech, genauso wie auf mich.

      Bei der Versandfirma Zweitausendeins bestellte ich mir eine LP von Cat Stevens. Bezahlung per Nachnahme: Das hieß, daß man das Geld für die Ware dem Postboten geben mußte, der sie einem brachte.

      Hoffentlich taugte diese Platte was.

      Mama rief Renate an: Im September könne sie hier bei Comet arbeiten. Da würden auch ungelernte Kräfte eingestellt.

      In der »Zeit-Lupe« lautete die neue Frage, ob sich das Schriftdeutsch hemmend auf den Wortschatz der hochdeutschen Umgangssprache auswirke. Das war meine Chance. Ich schrieb, daß das Perfekt – »Ich habe gesagt« – in der Umgangssprache gängiger sei als das Präteritum – »ich sagte« –, und sonderte noch ein paar andere Klugscheißereien ab, die mir das nächste Honorar einbringen sollten. 25 Eier abzüglich 50 Pfennig Porto: kein schlechtes Geschäft, wenn’s denn klappte.

      Ums Geld kämpften auch die Versicherungsheinis, die runde fünfhundert Mark weniger rausrücken wollten, als Mama gefordert hatte,

       Minderwert bei der Bagatellhaftigkeit des Schadens unter Bezugnahme auf den 13. Verkehrsgerichtstag in Goslar nicht gegeben. Auf Grund der Neuwertigkeit des Wagens übernehmen wir Beipolierungskosten in Höhe von 75.– DM.

      »Was geht denn mich der dreizehnte Verkehrsgerichtstag in Goslar an!« rief Mama. »Die sollen mir den Schaden bezahlen!«

      Beipolierungskosten, das war auch so ein Wort aus der Erwachsenenwelt.

      Abends fuhr Mama wieder zur Elternversammlung, und ich wollte mich im Wohnzimmer vor die Röhre setzen und mir unbehelligt den französischen Spielfilm »Die süße Haut« ankucken, aber Mama kam schon kurz vor neun Uhr wutentbrannt zurück. Gerade mal fünf jämmerliche Existenzen seien da erschienen, und das bei einer Klassenstärke von 32 Schülern! Die geplante Wahl der Klassenelternschaftsvertreter sei damit flachgefallen.

      Den Film mußte ich mir dann mit Mama zusammen ankucken. Dem Titel zum Trotz kamen keine Nacktszenen darin vor. Das wäre wohl auch zuviel verlangt gewesen von einem 1963 gedrehten Schwarzweißfilm. Nach meinen Beobachtungen hatte sich die Frauenwelt erst seit ungefähr 1969 vor den Kameras obenherum zu entblättern begonnen.

      Weil Wiebke in ihrer Schule an einer »Arbeitsgemeinschaft Mikroskopieren« teilehmen wollte, wurde Volkers altes Mikroskop vom Dachboden geholt und entstaubt, aber da stimmte mit der Linse irgendwas nicht mehr, und die meisten Plättchen mit Insektenbeinen oder Mikroben oder sonstwas waren hops oder zerbrochen.

      Am dritten Spieltag schoß Jupp Heynckes drei Tore beim 4:1 gegen Bochum, und Gladbach hatte sich damit auf den dritten Platz emporgearbeitet, zäh und beharrlich. Deutsche Wertarbeit. Die sah nun einmal anders aus als das Banditentum von Frankie Sinatra und dessen Spießgesellen Dean Martin und Sammy Davis Jr., die die fünf größten Spielcasinos in Las Vegas ausraubten und dann die Einäscherung der in einem Sarg versteckten Beute in einem Krematorium erdulden mußten.

      Renate, die im Urlaub rot statt braun geworden war, verdingte sich in Meppen für vier Mark fünfzig Stundenlohn bei Comet. Mama und Frau Lohmann nahmen an den Turnstunden eines Damengymnastikvereins teil, um da abzuspecken, und Papa schimpfte währenddessen über Renates und Olafs Verschwendungssucht.

      Als Mama wiederkam, haute sie in dieselbe Kerbe: Die ganze Umzieherei nach Bonn sei doch nur rausgeworfenes Geld!

      »Das Geheimnis der falschen Braut« hieß der Spielfilm, der das Gezeter dann für eine Weile unterbrach.

      Im Westfalenstadion hatten Gladbachs Stürmer Ladehemmung, aber die Dortmunder ebenfalls. Wolfgang Kneib hielt seinen Kasten sauber. Gezaubert hatte aufs neue Eintracht Frankfurt, die launische Diva vom Main, und das nach einem deprimierenden Halbzeitstand von 0:2 gegen Schalke: Nach dem Ausgleich durch Kraus und Nickel erhöhten Grabowski und Hölzenbein eine Viertelstunde vor Schluß innerhalb kürzester Zeit auf 4:2, und auf den Anschlußtreffer der Knappen ließ das Frankfurter Sturmgespann in den letzten Spielminuten das 5:3 und das 6:3 folgen. Das waren vierzehn Tore in vier Spielen – drei mehr, als der Tabellenführer Köln bis dato verbuchen konnte, und trotzdem rangierte Frankfurt wegen der vielen Gegentore nur im oberen Mittelfeld. Selber schuld!

      In ihren Wahlkampf-Fernseh-Spots führte die CDU die Sozialdemokratie als fünfte Kolonne des Kremls vor.

       Der Weltkommunismus lächelt auf internationalem Parkett. Und die Bonner Linkskoalition lächelt mit …

      Dabei sah man Brandt im selben Boot mit Breschnjew sitzen und Schmidt neben Kossygin, und sie machten alle fröhliche Gesichter.

      »Also so ein Quatsch«, sagte Mama. »Sollen die vielleicht die Zähne fletschen? Oder den Russen die Zunge rausstrecken?«

      Dann kam wieder mal ein Film mit Rod Steiger, diesmal in der Rolle eines rassistischen Polizeichefs, den es anfangs noch gewaltig wurmte, daß er bei der Aufklärung eines Mordfalls auf die Hilfe eines schwarzen Detectives angewiesen war, aber irgendwie rauften sich die beiden zusammen.

      Renate