Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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sei die Sekretärin dann wieder mit offenen Haaren erschienen. »Und da hab ich zu ihr gesagt: ›Na, Frau Borgfried, hat Ihnen Ihre Sturmfrisur nicht mehr gefallen?‹«

      Manche Frauen, meinte Papa, dürften es durchaus als Kompliment auffassen, wenn man ihnen die Mitteilung mache: »Ihre Frisur ist ja heute nicht mehr ganz so scheußlich wie gestern …«

      »Nu is’ aber auch gut«, sagte Mama, und dann kreiste das Gespräch um einen zweiwöchigen Lehrgang, den Papa ab dem kommenden Montag in Ottobrunn zu absolvieren hatte, irgendwo bei München. Mama wollte gerne mitfahren, und Renate sagte ihr, das könne sie ruhig tun, wir würden das hier schon irgendwie schaffen, aber Mama erwiderte, das sei ’ne Schnapsidee, schließlich müsse Renate ja arbeiten, und da sagte Papa, daß Renate ihren Job bei Comet ja auch aufgeben und hier solange die Führung übernehmen könne, zum gleichen Preis.

      »Ich kann doch von euch nicht vier fünfzig die Stunde verlangen«, sagte Renate. »Da käm ich mir zu unverschämt vor.« Der IG-Metall-Chef Eugen Loderer hätte in einem Tarifstreit sicherlich anders argumentiert.

      »Dann bleib eben vormittags bei Comet, und wir geben dir was dafür, wenn du hier nachmittags den Haushalt schmeißt«, sagte Papa, und die Sache war geritzt.

      Das sei ja nun wirklich mal ’ne Neuigkeit, sagte Mama. »Eben habe ich hier noch gesessen und mich auf mein Dasein als Strohwitwe eingestimmt, und nun darf ich plötzlich die Weltstadt München sehen! Ich bin baß erstaunt!«

      Am Samstag bescherten die angriffslustigen Gäste aus Gladbach Kaiserslautern eine knappe Heimniederlage, während Bochum eine 4:0-Führung gegen Bayern München verschenkte: In nur achtzehn Minuten hatten Schwarzenbeck, Rummenigge, Müller und Hoeneß daraus in der zweiten Halbzeit ein 4:5 gemacht, und am Ende stand es 5:6. Sagenhaft! Und wie die Bochumer sich jetzt wohl ärgerten über ihre Doofheit!

      In der Tabelle hatte Gladbach punktgleich zu den Kölner Geißböcken aufgeschlossen, die zum erstenmal in dieser Saison geschlagen worden waren, und zwar ausgerechnet von Tennis Borussia Berlin, einem Verein, dessen Abwehr der reinste Hühnerhaufen war und den bisherigen Saisonrekord an Gegentoren hielt.

      Talentspähern von Tennis Borussia hätte ich im Hindenburgstadion die kalte Schulter gezeigt.

      Gegen die Äpfel und Birnen aus dem Garten konnte man nicht mehr anfressen.

      Mama kochte welche ein, und ich borgte mir aus dem Wohnzimmer die Autobiographie des Schauspielers Curd Jürgens aus, die Mama sich gekauft hatte. Eine von dessen Geliebten war bei einem Verkehrsunfall gestorben, und an diese Tote richtete Curd Jürgens in seinem Buch die Worte:

       Wenn jetzt ein Mädchen zu mir kommt und länger als ein Wochenende bleibt, muß sie ihren Schoß rasieren, so wie du es machtest, wie es bei euch Sitte ist. Und wenn ich dann ihre Schenkel auseinanderzerre und ihren Venushügel mit deinem vergleiche, der hoch und rund war wie deine Stirn, verspüre ich meist keine Lust mehr, ihren »zweiten Mund« zu küssen, der in die Tiefe des Bauches führt, dorthin, wo bei dir der jauchzende Teil deiner Seele verborgen war.

      Na, bei dem schien’s ja hoch herzugehen. Schenkel auseinanderzerren und rasierte Venushügel vergleichen … und das plauderte er auch noch aus, genau wie alle Einzelheiten seiner ersten Erektion:

       Eine halbe Stunde später liege ich in der Badewanne, und Tante Alice wäscht mich. Der Geruch der Kernseife, die sie in den großen Naturschwamm reibt, erinnert mich, wohlig erschöpft, an die Aufregung des Tages. Nach dem Einseifen massiert sie meine Füße, Beine, Schenkel. Schrubbt die Eier und den Schwanz. Etwas schneller, ungenauer als Zehen und Waden. »Encore«, rufe ich. Zu meiner ungeheuren Überraschung hebt sich der Schwanz in Richtung der Hände. Tante Alice nimmt wohlwollend-belustigt den großen Schwamm und fährt damit ein paarmal kräftig zwischen den Beinen hin und her. Es tut angenehm weh, so steif ist das kleine Ding, das mir vorkommt, als glotze es fröhlich aus der Badewanne in die Welt.

      Und sowas stellte sich Mama ins Bücherregal! Die dachte wohl, bei uns würde sich niemand außer ihr für den normannischen Kleiderschrank interessieren.

      Um halb sechs Uhr morgens hatten Mama und Papa am Montag starten wollen, aber als ich um halb sieben aufs Klo ging, waren sie immer noch da, und Papa suchte überall nach dem Autoschlüssel.

      Weil wir in Sport fast nie was anderes als Basketball spielten, wagte ich mich mit der Frage hervor, ob wir nicht auch mal Fußball spielen könnten.

      »Alles zu seiner Zeit«, sagte der Weiler, und dann pfiff er das nächste Scheißbasketballspiel an.

      Dieser Arsch mit seiner Glatze und den schulterlangen Nackenhaaren. Keine Ahnung von Fußball, aber hier als Sportlehrer den dicken Max markieren.

      Nach dem Klavierunterricht mußte ich Renate Einkäufe nachhauseschleppen helfen, einen Kochtopf, Gläser, Gummiringe und ’n Thermometer, und unterwegs zur Post, eine Nachnahmesendung abholen, und zum Schluß noch irgendwelche Backofenringe kaufen, alles im Dauerlauf, damit Renate nicht zu spät zu ihrer nächsten Fahrstunde kam.

      Wetz, wetz, wetz! Wenn so das Leben der Hausfrauen aussah, wollte ich lieber Junggeselle bleiben. Und bloß nie eine Familie gründen! Als erwachsener Mann konnte man sich ja auch mit flüchtigen Liebschaften über Wasser halten. Sobald man die ersten Erfahrungen gesammelt hätte, würde keine Gespielin mehr merken, daß man als Jugendlicher mal das eigene Spiegelbild geküßt hatte, zur Übung.

      Als Vorgeschmack auf einen echten Kuß trug einem leider auch das Küssen der eigenen Fingerglieder nicht viel mehr als die vage Hoffnung ein, daß sich Mädchenlippen weniger knochig anfühlten.

      Abends kochte Renate fünf Gläser Obst ein und ging danach ins Wohnzimmer, um sich den Spielfilm »Szenen einer Ehe« anzukucken. Das war der ödeste Mist, den ich je gesehen hatte, aber Renate verbot mir das Umschalten: »Geh doch einfach raus, wenn dir das nicht gefällt!« Und dabei häkelte sie schon wieder an einer Stola, für Tante Dagmar diesmal. Sechzig Mark war der die Sache wert.

      Während Mama und Papa im Freistaat Bayern weilten, machte Franz-Josef Strauß in der heißen Phase des Wahlkampfs Furore mit der Bemerkung, daß Willy Brandt ein »Kunststoff-Messias« sei und in seiner Zeit als Kanzler lediglich den Sockel für sein eigenes Denkmal errichtet habe.

      Die merkwürdigsten Blüten trieb aber der amerikanische Präsidentschafts-Wahlkampf. Der Kandidat der Demokraten, Jimmy Carter, hatte in einem Interview mit dem Playboy erklärt, daß er in Gedanken viele Male Ehebruch begangen habe.

      Was ging denn das die Wähler an?

      Am Mittwoch hatte Wiebke als erstes Sport und wollte im Trainingsanzug losziehen, aber Renate erlaubte ihr bloß die Jacke, und da kriegte Wiebke einen Tobsuchtsanfall und brüllte: »Du doofe Kuh hast mir überhaupt nix zu sagen!«

      Huiuiui. Und rumms, die Tür geknallt! Und mit Geheul die Treppe hoch, obwohl gar keine Zeit mehr übrig war fürs Bockigsein.

      Das Familienministerium hätte mal ’n Dokumentarfilm drehen müssen bei uns, mit Wiebke in der Hauptrolle, und den im Fernsehen zeigen sollen, in sämtlichen UNO-Staaten: Dann wär’s mit der Bevölkerungsexplosion vorbei gewesen, von heute auf morgen, weil sich keine Frau mehr freiwillig in die Gefahr begeben hätte, Schreihälse wie Wiebke zu gebären.

      Als die LP von Cat Stevens endlich angekommen war, forderte mir Renate das ausgelegte Geld dafür ab, bevor ich nach oben traben konnte, um meine Neuerwerbung auf den Plattenteller zu legen.

       The first cut is the deepest, baby I know …

      Der mittägliche Blumenkohlgestank quoll schon hoch, und wenn mir ein Song nicht gleich nach den ersten Takten gefiel, setzte ich den Tonarm eine Nummer weiter in die nächste breite Rille.

       I know I think a lot

       But somehow it just doesn’t help

       It only makes it worse …

      »Essen kommen!« brüllte Renate, aber aus