Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Sawyer den Montagmorgen am meisten gehaßt, wegen der dräuenden Schulscheiße, aber was war ein Montagmorgen in Toms Heimatstadt am Mississippi im Vergleich mit einem Sonntagnachmittag in Meppen an der Ems? Was sollte man tun, wenn man nicht einmal mehr den Quellekatalog aufblättern mochte? Damenunterwäsche, Bademoden, Duschkabinen, Sauna-Seiten, das alles hatte man ja nun schon oft genug gesehen.

      Zum Kreisgymnasium hätte ich fahren können, denn da war Tag der offenen Tür. Mit tollen Freizeitangeboten. Klaro, super, eine klasse Idee, die Penne auch am Sonntag mal von innen zu bestaunen. Ob es wohl Schüler gab, die sich das antaten? Mit ihren Eltern womöglich?

      Da blieb ich lieber in meinem Zimmer sitzen, auch wenn es darin nicht viel aufregender zuging als in der Zelle des Häftlings, den Reinhard Mey einmal besungen hatte.

       Von Wand zu Wand sind es vier Schritte,

       von Tür zu Fenster sechseinhalb …

      In den Kurven meiner Fenstergardine suchte eine Stubenfliege nach einem Ausweg ins Freie, so ähnlich wie in dem Chanson.

       Nun, mitgefangen, mitgehangen.

      Im Kriegsjahr 1944 spielte ein im Ersten ausgestrahlter Film von François Truffaut über einen französischen Bauernjungen, der sich der Gestapo als Spitzel andient und sich dann in ein jüdisches Mädchen verliebt und im Gespräch mit einem Kollaborateur den Satz aufschnappt: »Manchmal sind jüdische Frauen so schön, daß die andern wie Kühe daneben wirken.«

      Als diese Bemerkung fiel, war Mama gerade aufs Klo gegangen. Zum Glück! Noch peinlicher wär’s gewesen, wenn auch Papa dabeigesessen hätte, aber der werkelte, wie nicht zu überhören war, im Keller.

      »Zieh mit, wähl Schmidt!« sagte Hermann, als wir uns am Montag auf dem Pausenhof über die Wahlwerbung unterhielten. Oberbeknackt war die von der CDU, mit einer Boxerin, die ein Gänseblümchen im Schnabel hatte, und dem Spruch: »Komm aus Deiner linken Ecke.« Einig waren wir uns auch, was die obskure Helga Zepp von der Europäischen Arbeiter-Partei betraf. Daß diese Frau ’ne Schacke hatte, merkte man, sobald sie das Maul aufmachte.

      Die FDP warb mit dem Slogan »Leistungen wählen« und einem Foto von Hans-Dietrich Genscher beim Telefonieren in einer Art Kellerloch. Genscher, schrieb der Spiegel, wirke auf diesem Plakat verhängnisvollerweise wie der letzte Herstatt-Gläubiger, der seinen geplatzten Wechseln hinterhertelefoniere.

      Gekauft hatte ich mir auch eine Ausgabe der neuen Zeitschrift Der III. Weltkrieg. Da ging’s um alle möglichen Kriege und Konflikte seit 1945, um die sowjetische Atomspionage, um den Bürgerkrieg in Griechenland und um den Sechstagekrieg von 1967, und dann mußte ich wie jeden Montag zur Klavierstunde, der verdammten.

      In der neuen Otto-Show hielt Otto Waalkes einen Becher mit sprechendem Kaffee in der Hand, den er sich bei dem Versuch, ihn besser zu verstehen, übers Ohr goß.

       Kennzeichnend für den Ostfriesen ist seine ganzjährige Brunftzeit …

      Gut war Otto auch als Priester mit Doofi-Brille, der sich über den Schlager »Theo, wir fahr’n nach Lodz« ausließ. »Vier fahren. Da sind also vier Menschen unterwegs, und wer sind diese vier? Die vier Jahreszeiten? Die vier Musketiere? Oder sind es vier alle?«

      Danach hieß es wieder monatelang Warten auf die nächste Show. Traurig, aber Warzenschwein.

      Renate häkelte jetzt an einer Stola für Tante Grete, die versprochen hatte, dreißig Mark dafür lockerzumachen.

      Im übrigen gibberte Renate nach Post von Olaf aus einem Kaff namens Waldliesborn, wo ihr Liebster seit allerneuestem stationiert war, aber der Briefträger brachte ihr nur eine Exmatrikulationsbescheinigung, eine Wahlbenachrichtigung und einen neuen Häkelauftrag von Tante Gisela. Das amtsärztliche Gesundheitszeugnis, das Renate benötigte, bekam sie erst nach dem dritten Anlauf im Behördendschungel in ihre Gewalt und meldete sich dann bei einer neuen Fahrschule an.

      130 Mark hatte Renate bei Comet verdient, in einer Woche. In dem Laden, sagte sie, würde ein Detektiv herumsitzen, in einem Pappkarton mit Kucklöchern, oben in einem Regal, und diesen Typen würde sie nicht um seinen Job beneiden. Der werde da morgens hochgeorgelt, per Gabelstapler, und abends wieder runter. Das sei überhaupt so’n schnauzbärtiger Idi.

      Zu ihrem Kummer hing Renate immer noch ihr Urlaubsspeck auf den Hüften. Diese Pfunde müßten runter.

      Seine eigenen Gesetze hatte auch der DFB-Pokal: Gladbach verlor gegen Eintracht Braunschweig 0:2 und flog raus.

      Als im Fernsehen die Nachricht kam, daß die ZVS 92000 Bewerber zum Wintersemester 1976/77 zugelassen und 79000 abgelehnt habe, wartete Renate nach wie vor auf Olafs Zulassungsbescheid für Bonn, und sie strickte an einem braunen Wollpullover.

      Mama war alleine in die Stadt gefahren, um sich ein Theaterstück anzusehen: »Der Besuch der alten Dame«, mit Elisabeth Flickenschildt.

      Im UEFA-Cup trennten sich FC Porto und Schalke 2:2.

      Als Maos Thronfolger, sagte Hermann, würde er in seiner ersten Amtshandlung den Spucknapf abschaffen, der bei Staatsempfängen in Peking zwischen den Sesseln stehe, und er kritisierte meinen Ankauf eines rororo-aktuell-Taschenbuchs über die Nationale Volksarmee der DDR: »Willst du dich wirklich so stark spezialisieren?«

      Von Michael traf eine Ansichtskarte ein, mit einer halbnackten Frau vornedrauf, der auf ’ner Alm eine Kuh den Rücken abschleckt.

       Bin aus den Ferien zurück in Old Valla. Morgen geht’s von neuem los, und wenn Du das hier liest, bin ich wahrscheinlich schon wieder am Pauken.

       Wehmütig grüßt der DMGS – Gütesiegel für Qualität!

      Es war auch ein Brief für Renate gekommen, von Olaf, der ihr schrieb, daß er einen neuen Job als Metallarbeiter in einer Aluminiumfabrik in Kesselheim gefunden und im Wahlkampf alle Hände voll zu tun habe.

      Das Taschenbuch über die NVA gefiel mir nicht, weil sich die Wehrerziehung in der DDR bei der näheren Untersuchung als unvorstellbar langweilig erwies. Da wurde man schon als Schüler zur Teilnahme an paramilitärischen Übungen verpflichtet, die der »frühzeitigen Herausbildung von sozialistischen Soldatenpersönlichkeiten« dienen sollten. Wehrdienstverweigerer mußten trotzdem exerzieren, als »Bausoldaten«, und wer da nicht mitmachen wollte, der wurde ins Loch gesteckt. Ein schöner Scheißstaat, diese DDR. Und wie peinlich für die Regierung, daß die westliche Landesgrenze von Soldaten bewacht werden mußte, damit keiner abhauen konnte aus dem Arbeiterparadies.

      Renate schenkte Mama einen Grill, so einen runden schwarzen, mit drei Beinen und rotem Windschutzblech. Hatte nur neunfümmenneunzig gekostet, der Apparillo, aber in dem trüben Herbstwetter konnten wir nicht viel damit anfangen.

      Und dann rief Olaf an: Seine Zulassung sei da, aber für Trier statt für Bonn! Renate brach in Tränen aus, und Mama schlug ihr vor, sich mit Olaf zu verloben oder ihn zu heiraten. Knall auf Fall. Dann könne Olaf dringende familiäre Gründe für seine Zulassung in Bonn geltend machen.

      Das waren ja nun völlig neue Töne.

      Werder Bremen hatte einen schweren Stand beim Rückspiel auf dem Bökelberg. Gladbach siegte 3:1 und befand sich danach auf dem zweiten Tabellenplatz, zwei Punkte hinter den Kölnern, die bis jetzt jedes Spiel gewonnen hatten. Den Vogel hatte aber diesmal Bayern München abgeschossen mit einem 9:0 gegen Tennis Borussia. Ein Tor von Jupp Kapellmann, drei von Karl-Heinz Rummenigge und Stücker fünfe allein von Gerd Müller! Wie mochte es danach wohl Hubert Birkenmeier zumute sein, dem Torwart von Tennis Borussia? Es war keine Schande, als letzter Mann von Gerd Müller ausgetrickst zu werden, denn das hatten auch Weltklassetorhüter wie Enrico Albertosi, Jan Tomaszewski und Gordon Banks schon erlebt, aber in einem Spiel durchschnittlich alle zehn Minuten ein Tor zu kassieren, das mußte einen fertigmachen. Und dazu kam ja noch die Gewißheit, daß hinterher Abermillionen Zuschauer der Sportschau und des Aktuellen Sport-Studios als Augenzeugen auf dem Sofa saßen.

      Weil