»Entschuldigung«, flüsterte sie. Sie formte ihre Lippen zu einem Schmollmund. »Ich wollte dir nur helfen, wenn du den Baum besteigst.«
»Dabei kannst du mir nicht helfen.«
»Doch, ich kann eine Fackel halten und den ersten Teil des Baumes mit dir nach oben steigen, um dir den Rest des Aufstiegs zu leuchten.«
Das war tatsächlich eine gute Idee.
Kathy trat näher. Ihre schmale Hand legte sich sanft auf seine Schulter. Dort, wo sie ihn berührte, begann Wärme sich auszubreiten. Sie kam noch einen Schritt auf Jeb zu, bis er ihren anschmiegsamen Körper an seiner Seite spüren konnte. Ihr Becken lag an seiner Hüfte. Ihm wurde heiß. Es fühlte sich gut an. Trotzdem war es weder die richtige Zeit noch der richtige Ort für so etwas. Jeb trat einen Schritt zurück.
»Gut. Danke, dass du mir helfen willst.«
Sie lächelte verführerisch. »Ich helfe gern, wo ich kann. In jeder Hinsicht.«
Was soll das? Will sie sich an mich ranmachen?
Nein, er musste sich täuschen. Kathy wollte wahrscheinlich wirklich nur helfen. Und doch war da dieser merkwürdige Blick. Wie sie versuchte, ihm tief in die Augen zu sehen. Noch immer lag ihre Hand auf seiner Schulter. Glitt seinen Nacken hoch. Kathys Lippen waren leicht geöffnet. Sie schimmerten verführerisch im Schein des Feuers. Das Mädchen hielt den Kopf etwas gesenkt und sah ihn unverwandt unter gesenkten Lidern an.
Diese Augen…
Jeb schüttelte den Kopf. Er löste sich von Kathy, ging zum Feuer und zog einen brennenden Ast heraus.
»Halt ihn ganz unten«, sagte er leise. »Dann verbrennst du dich nicht.«
»Ich verbrenne mich nie«, hauchte sie kaum hörbar.
Sie stellten sich nebeneinander unter den mächtigen Stamm des Baumes. Jeb griff nach dem untersten Ast und zog sich hoch. Als er Halt gefunden hatte, bedeutete er Kathy, ihm die Fackel zu reichen und ihm nachzukommen. Kathy schwang sich geschmeidig nach oben.
»Gut«, sagte er. »Ich steige jetzt weiter nach oben. Du folgst mir und leuchtest den Weg aus.«
Sie nickte kurz.
Es ging besser, als er gehofft hatte. Wann immer er sicheren Halt in einer höheren Position gefunden hatte, macht er Kathy ein Zeichen, ihm nachzukommen. So erklommen sie fast mühelos die Hälfte des Baumriesen, danach wurde es für Kathy zu gefährlich, mit nur einer freien Hand weiterzuklettern.
»Bleib hier und halt die Fackel hoch«, raunte Jeb ihr zu.
»Geht klar.«
Hier oben standen die Äste nicht so dicht wie in der Nähe des Bodens. Tatsächlich waren nur noch wenige Wolken am Himmel. Der Mond war aufgegangen. Sein fahles Licht schimmerte durch das Geäst, zusammen mit dem von unten heraufdringenden Fackelschein konnte Jeb die Äste als dunkle Schemen wahrnehmen. Vorsichtig stieg er weiter auf. Nach wenigen Metern konnte er einen Ast über ihm beiseiteschieben und zum Himmel spähen.
Dort! Er sah ihn deutlich. Der Stern funkelte am blauschwarzen Firmament, da immer wieder einzelne Wolkenfetzen darüberzogen, war er wie ein blinkendes Licht. Er schaute sich ausgiebig um, doch die Himmelsrichtung ließ sich nur schwer einschätzen.
Von unten drang Kathys heisere Stimme nach oben. »Siehst du was?«
»Ja«, raunte er nach unten. Kathy Gestalt war im Gewirr der Äste kaum auszumachen, aber der Fackelschein verriet ihre Position. »Der Stern ist da. So wie es auf dem Zettel steht.«
»Woher weißt du, dass es der richtige ist?«
»Es ist der einzige Stern am Himmel.« Plötzlich überfiel ihn eine unendliche Traurigkeit. Sie waren verloren. Hatte das nicht auch in der Botschaft gestanden? Es stimmte also wirklich. Alles stimmte. Energisch schob er alle negativen Gedanken beiseite und stieg ab. Als er Kathy auf halber Höhe erreicht hatte, bemerkte er ihren ernsten Blick.
»Du hattest recht mit dem Stern. Also stimmt wahrscheinlich alles andere auch. Ich habe dir vorher schon geglaubt, aber trotzdem wäre es mir lieber gewesen, du hättest den Stern nicht gesehen. Nun wissen wir wenigstens, woran wir sind, und können wieder abhauen. Ich hasse diesen Dschungel.«
»Du bist ziemlich tapfer«, sagte er leise.
Kathy zog den Arm mit der Fackel zurück. Gleichzeitig balancierte sie einen Schritt auf Jeb zu. Sie streckte ihre linke Hand nach vorn, legte sie unter sein Kinn. Bevor er reagieren konnte, beugte sie sich vor und küsste ihn auf die Lippen. Zuerst sanft, dann immer fordernder. Er roch Kathys Haar. Es duftete nach Honig. Ihre Lippen und ihre Zunge spielten mit ihm. Dann wurde ihm schlagartig bewusst, was Kathy mit ihm anstellte, und erschrak so heftig, dass er fast das Gleichgewicht verloren hätte.
»Was machst du da?«, fragte er verwirrt.
»Sieh es als Belohnung für deinen Mut an, den Baum zu besteigen. Und für alles andere, was du für uns getan hast.«
Kathys Augen ließen keinen Moment von ihm ab, sie beäugte ihn wie ein kostbares Insekt, das sie gerade gefangen und mit einer Nadel an den Baumstamm gepinnt hatte. Zorn und Erregung tobten in ihm. Am liebsten hätte er ihr deutlich seine Meinung über ihre unpassenden Verführungsversuche gesagt, gleichzeitig wünschte er sich, sie weiter zu küssen. Ihre Lippen waren weich gewesen. Und warm.
Da hörte er ein Rascheln. Er blickte nach unten.
Am Fuß des Baumes stand Jenna, den Kopf in den Nacken gelegt.
Sie hatte alles gesehen.
Jeb kletterte als Erster hinunter. Kurz darauf sprang Kathy neben ihm zu Boden. Sie sagte kein Wort zu Jenna, lächelte sie nur hochmütig an, warf die Fackel zurück ins Feuer und kroch dann in ihren Schlafsack. Jenna sah ihr nach, ohne eine Miene zu verziehen.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte Jeb. Seine Lippen brannten noch von Kathys Kuss und er spürte, wie seine Wangen glühten. Innerlich verfluchte er Kathy.
»Hast du ihn gesehen?«, fragte Jenna. Sie ließ sich nichts anmerken.
»Ja«, antwortete Jeb.
»Und du bist dir sicher, dass es der Stern ist?«
»Es ist der einzige am Himmel.«
»Der einzige? Wie kann das sein? Wieso stehen keine anderen Sterne am Himmel, wie sonst auch? All die Sterne… Heißt das, dass dann womöglich alles stimmt, was auf deinem Zettel steht?«
»Vielleicht wird ja alles gut«, meinte Jeb schwach.
»Jeb, nichts wird gut, hier läuft irgendetwas ziemlich schief. Wir sind hier gestrandet, haben keinen blassen Schimmer, wer wir sind. Wir sollen gegeneinander um unser Leben kämpfen! Und gejagt werden wir auch noch! – So sollte es nicht sein!«, sagte Jenna und es klang merkwürdig, wie sie es aussprach. Schluchzend kauerte sie am Boden und Jeb setzte sich neben sie, legte schweigend den Arm um ihre Schultern. Jenna flüsterte: »Verstehst du nicht, Jeb? Hier stimmt etwas nicht, so etwas darf einfach nicht wahr sein.«
Jeb war verwundert über ihren Ausbruch. So hatte er sie nicht eingeschätzt, Mary – ja, aber nicht die so gefasst wirkende Jenna. »Sieh mich an, Jenna. Wir werden zusammenhalten. Ja, es sieht vielleicht nicht gut aus und es ist besser, wir stellen uns aufs Schlimmste ein, als schon jetzt zu verzweifeln.«
Jenna schluckte merklich. Sie hob den Blick und sah ihm in die Augen. »Ich vertraue dir, Jeb, wir werden zusammenhalten.«
»Wir gehen im Morgengrauen los.«
»Dann solltest du dich auch noch ein wenig ausruhen.«
Er nickte. »Du auch. Ich glaube, wir brauchen keine Wachablösung, es ist so ruhig. Die anderen sollen lieber schlafen.«
Jenna ging zu ihrem Schlafsack hinüber, wickelte sich darin ein und drehte sich zum Feuer.
Jeb aber fand keinen Schlaf. Noch immer spürte er Kathys Kuss auf seinen Lippen, glaubte, den Honigduft