sich hinter ihrer Fröhlichkeit und ihrem Lachen. Von meiner Mama gab es oft Schelte, so zum Beispiel verbunden mit dem Hinweis, Hanni sei immer fleissig im Haushalt und helfe überall, während ich unwillig und mürrisch sei. Sehr bald verständigten wir beiden uns ohne Probleme in der Lautsprache, und ich versuchte, auch bei ihr eine Begeisterung für die Kängurus zu erwecken. Sie konnte sich jedoch nicht für diese Tiere erwärmen. Doch bewies sie mir ihre Sympathie, indem sie mir immer wieder mit selbstgedichteten, lustigen Sprüchen über meine „Manie“ Freude machte. Einmal, als ich mit Grippe im Bett lag, bekam ich eine Platte mit vielen geräucherten Sprotten, die ich jedoch zurückwies. Da kicherte Hanni und schrieb auf die Wandtafel: „Die Kängurus hätten sicher geschwind alles aufgefressen.“ Dagegen lernte ich durch sie das jüdische Symbol des Davidsterns kennen. Hanni zeichnete mit mir viele solcher Sterne und schrieb zu meiner allergrössten Freude jeweils hübsch in deren Mitte: „Känguru“!
Bald schon erkannte ich bei Hanni eine religiöse Lebensweise, die es in meiner Familie nicht gab. Wir lebten als assimilierte, nicht als orthodoxe Juden. Tante erklärte mir, dass Hanni am Samstag nicht strickte oder im Haushalt half, weil für sie der Samstag der Sonntag war. Von nun wollte auch ich den Sabbat heiligen und am Sonntag arbeiten. Doch das fiel mir schwer. Ich werde auf diese Dinge später noch ausführlich eingehen.
Als Hanni wieder daheim bei ihrer Familie in Holland war, schickte mich Mama zum Religionsunterricht bei einer jüdischen Lehrerin. Bald schon konnte ich recht gut hebräisch lesen und auch schreiben, jedoch nicht sprechen. Voller Begeisterung bedeckte ich nun alles mit hebräischen Buchstaben, sogar die Schulhefte und die Wandtafel. Vor allem schrieb ich natürlich immer wieder den Namen meines liebsten Tieres, als wünschte ich, es in meine neu entdeckte Religion irgendwie magisch einzubinden.
Vor meinem ersten Besuch eines Gottesdienstes in einer Synagoge sagte mir Mama, dass wir nun in die „jüdische Kirche“ gingen. Doch schon bald prägte sich mir das Wort „Synagoge“ tief und fest ein. Drinnen im Gebetshaus fühlte ich mich sofort in vertrauter Umgebung, als ich die Thora, die Thorarollen und die im Tallith betenden Männer erblickte. Das Ablesen der auf die Wände und die Kuppeldecke gemalten hebräischen Buchstaben beseelte mich. Die farbigen, orientalisch gemusterten Fenster liessen mein Herz höher schlagen. Ich liebte es, diesem morgenländischen Volk anzugehören. Allerdings staunte ich sehr darüber, dass hier – wie in allen Synagogen – die Orgel fehlte. Doch spürte ich oft den Gesang des Chores neben der Thora. Die würdevolle Haltung des auf der hohen Kanzel predigenden Rabbiners war Achtung gebietend und machte grossen Eindruck auf mich. Bei den Besuchen der Gottesdienste an jüdischen Feiertagen machte mir Mama leise die Predigten verständlich, die mir tief in die Seele drangen. Hier fühlte ich mich völlig anders als sonst im Alltag: Die Stille, in der ich allein war und das Lesen deutschsprachiger Gebetbücher – ich konnte natürlich nichts vom Vorbeter oder dem leisen Gemurmel der Mitbetenden hören –, all dies war schön und ergreifend und Balsam für meine Seele, und ich empfand in diesen Augenblicken eine grosse Nähe zu allen Kreaturen in Gottes Natur.
An einem Sonntag im Sommer kam mein Papa erhobenen Hauptes auf mich zu und erklärte mir ein wenig pathetisch, dass unser heutiger Zoobesuch ausfallen müsse. Denn in einer Stunde werde Rabbiner Weil mit seiner Frau uns besuchen. Ich solle Mama helfen, im Garten den Tisch für die Getränke und Snacks zu decken. Ausserdem ermahnte er mich, artig zu sein und nicht über Kängurus zu reden, denn, dies betonte er ausdrücklich, diese Leute seien sehr fromm! Überhaupt wurde ich immer wieder dringlich gebeten, die Hausangehörigen und meine Kameraden nicht mit meinen Kängurugeschichten zu langweilen. Zugegeben, dies fiel mir nicht leicht.
Während der Unterhaltung meiner Eltern mit dem Rabbinerehepaar fühlte ich mich durch die Anstandsregeln bedrängt und geknebelt. Im Lauf der Zeit jedoch begann ich mich für diesen Rabbiner zu begeistern, nicht zuletzt wegen seiner schönen Predigten in der Synagoge, die Mama mir übersetzte. Jahre später ermunterte mich Mama, dem Angebot Rabbiner Weils zu folgen und beim Dekorieren der Laubhütte im Synagogenhof zum traditionellen Laubhüttenfest zu helfen. Nach langem Zögern stimmte ich zu und war anderntags, direkt nach meinem Zoobesuch, dabei um mitzuhelfen. Ich wagte es jedoch nicht, mich beim Rabbiner für den mir möglicherweise anhaftenden „Känguruduft“ zu entschuldigen. Konnte der Rabbiner diesen überhaupt wahrnehmen? Hatten die Aromen der Trauben, Nüsse und herbstlichen Blätter diesen übertönt? Jedenfalls lud er mich im Beisein von Mama zum Dank für meinen Fleiss zum festlichen Mittagsmahl in die Hütte ein. Ich wagte kaum einzuwilligen, bis er schmunzelnd sagte: „Ich werde Sie bestimmt nicht fressen!“ Dies besiegte meine Hemmungen, und so durfte ich voller Freude und Stolz auf einem „Ehrenplatz“ neben dem Rabbiner sitzen. Ob er wohl etwas wusste von meinem Kängurufimmel?
Eines Nachts träumte ich, ich befände mich auf dem Wege zur Synagoge. Da plötzlich spürte ich eine Stimme von oben, die mir sagte, dass es mir streng verboten sei, für die Kängurus zu beten.
Voller Unruhe berichtete ich am folgenden Morgen meiner Mama davon. Doch sie beruhigte mich liebevoll, dass ich für alle Geschöpfe Gottes beten dürfe.
Als fleissige Beterin las ich in der Synagoge viele Seiten des dicken Gebetbuchs. Jedes Mal, wenn ich auf das Wort „Tier“ stiess, spürte ich starkes Herzklopfen, das von meinem Traum herrührte. Und wenn ich zu dem von mir besonders tief empfundenen Satz kam: „…die Berge hüpfen wie Widder…“, überfiel mich blitzartig ein „Hauch“ der Kängurus, so dass mich von Kopf bis Fuss ein Kribbeln durchlief.
Doch irgendwie musste das Wissen um mein besonderes Verhältnis zu den Kängurus vom inzwischen verstorbenen Rabbiner Weil auf seinen Nachfolger übergegangen sein. Ja, es war Rabbiner Adler, der Mama und mich zum Sederabend (Vorabend vom Pessach) eingeladen hatte. Auf dem festlich gedeckten Tisch fand ich an meinem Platz ein kostbares Geschenk, das mich sprachlos machte: Es war eine Brosche in Form eines Kängurus aus schwarzem Email mit eingelegten Opalstückchen. Eine Aufmerksamkeit vom Rabbiner selber! Diese Geste erfüllte mich mit Dankbarkeit, war sie doch Sinnbild für die endgültige Versöhnung zwischen der geliebten Religion und den so geliebten Tieren.
Meinen Eltern wurde meine übergrosse Zuneigung zu den Kängurus irgendwann zuviel, und sie bedrängten mich, meiner Liebe zu diesen Tieren ein für allemal Adieu zu sagen. Doch das fruchtete nichts. Es blieb, wie es war, auch wenn Papa mir immer wieder zu erklären versuchte, dass der liebe Gott noch andere Tiere geschaffen habe, nicht nur die Kängurus…
*Dies ist das für einen Hörbehinderten allerwichtigste Training.
Vereitelte Brautwerbung
Erste Schreibversuche
Meine intensive Lektüre einfach und verständlich geschriebener deutschsprachiger Bücher hatte zur Folge, dass mich mit sechzehn Jahren eine kaum zu bändigende Schreiblust überkam, die schon Züge einer Schreibwut trug. So begeistert und besessen war ich vom Schreiben, dass ich überhaupt nicht bemerkte, wie ungenügend mein Ausdrucksvermögen noch war, da ich nur auf einen recht geringen Wortschatz zurückgreifen konnte. Ich kaufte mir also ein dickes Oktavheft und schrieb nun mit enormem Eifer an meinem neuen „Hauptwerk“, Titel: „Mein Leben mit dem Känguru, 1950/51 verfasst“, dessen erstes Kapitel mit dem Satz begann: „Ich war ein fröhliches, gehörloses Landmädchen von 11 Jahren …“
Mein Oktavheft schrieb ich fast voll. Doch alle, die es lasen, – meine Eltern, Tante, die Pfadis und Freundinnen –, wussten mir kaum etwas darauf zu sagen, ausser sich darüber lustig zu machen. Als ich mir einige Jahre später des vermeintlichen Blödsinns bewusst wurde, den ich da zu Papier gebracht hatte, liess ich das Heft irgendwo verschwinden, so dass es beinahe in Vergessenheit geriet. Doch kürzlich fand ich es beim Umräumen meiner Bibliothek zufällig wieder und getraute mich kaum, darin zu blättern, da es ein Gefühl der Peinlichkeit in mir hervorrief. Ich konnte es einfach nicht fassen, wie ich meine Erlebnisse und Empfindungen im elterlichen Hause, in der Schule, bei den Pfadfinderinnen, Erfahrungen mit der jüdischen Religion sowie Träume und Beobachtungen im Zoo, verwoben mit vielen versponnenen Känguru-Sprüchen, hier niedergeschrieben hatte. Die „Diagnose“ war klar: Hier war jemand, den das „Kängurufieber“ vorübergehend kräftig er-wischt haben musste!
Kampf gegen den seelischen Druck
Auf