ich mich leicht gebückt, um von der Grösse in etwa einem halbaufrecht stehenden Känguru zu entsprechen. Die gleiche Nasen-Schnauzenhöhe mit ihnen und damit den erwünschten Augenkontakt erreichte ich, indem ich meine Beine stark anwinkelte oder ein Knie auf den Boden setzte und mich so noch kleiner machte. Hatte ich meine Position dann inne, hielt ich mich zunächst meist zurück und streichelte keins der Tiere. Nach einer „Anstandspause“ liessen sich die Tiere aber gerne an den für sie selber unerreichbaren Stellen, wie Nacken und Hinterkopf, kraulen, da dies ihrer Körperpflege diente. Auch gelang es mir, meine normalen Laufschritte so ihrem Hüpfen anzupassen, dass sie schon bald von meiner Anwesenheit kaum noch Notiz nahmen, sondern in mir den „Artgenossen“ sahen. Das Leben in der Gruppe verlief nun völlig normal und ungestört, ganz so, als sei ich überhaupt nicht anwesend. Die Tiere frassen, kümmerten sich um ihre Körperpflege, ab und an trugen die Männchen ihre Kämpfe miteinander aus. Dies waren ideale Bedingungen für die Beobachtungen, die ich mir vorgenommen hatte.
Alles ging gut, bis mir unwissentlich ein gravierender Fehler unterlief, der sämtliche Kängurus in Aufruhr versetzte. Zu jener Zeit war ich im Umgang mit diesen Tieren noch zu unerfahren und hatte daher die Anzeichen der beginnenden Paarung nicht bemerkt.
So schritt ich eines Tages in leicht gebeugter Haltung um die Gruppe liegender Kängurus herum zu Dora. Da plötzlich sprangen alle wie vom Blitz getroffen auf! Ein junges, gerade ausgewachsenes Männchen kam auf mich zu und schlug mir mit beiden Vorderpfoten heftig ins Gesicht. Eiligst hob ich meine heruntergefallene Brille auf und rannte aus dem Gehege, noch ehe mir Glücki zu Hilfe eilen konnte.
Nach gut einem Jahr hatten meine regelmässigen Besuche im Gehege so ein jähes Ende gefunden. Wenige Wochen nach dem Vorfall wurden die Kängurumännchen wegen jahrelang ausgebliebener Zuchterfolge gegen andere ausgetauscht. Doch die neuen Böcke waren selbst für die erfahrenen Tierpfleger des Basler Zoos nicht ganz ungefählich.
Beutelwäsche
„…ob die Kängurumütter das Kind im Innern ihres Beutels sauber waschen können. Ich habe es noch nie zuvor gesehen und beobachte es heute, am 16. Februar 1950, zum ersten Mal. Ich werde es nie vergessn… Ich war sehr schweigsam und erzählte nicht gerne davon, wie die Kängurumütter ihr Kind im Beutel leckten.“
Tief berührt schrieb ich diese Sätze in mein Oktavheft. Es war das erste Erlebnis dieser Art, das mich fesselte und eine starke Emotion in mir auslöste, die erst nach weiteren Beobachtungen etwas nachliess. Es war das Gefühl, Zeuge eines elementaren Vorgangs geworden zu sein. Da ich schon zuvor auf dem Bauernhof oder in Filmen gesehen hatte, wie junge Katzen und Huftiere von ihren Müttern sauber geleckt wurden, beschäftigte mich stets die Frage, ob und wie die Kängurumütter sich ebenfalls um die Sauberhaltung des Beutels samt Winzling bis zu dessen Ausstieg bemühten.
Ich beginne diese Episode mit dem 16. Februar 1950, jenem oben beschriebenen bedeutungsvollen Datum, nur wenige Wochen, nachdem ich Doras erste Mutterschaft mit ihrem noch verborgenen Baby erlebt hatte. Es war an einem föhnig warmen Wintertag, an dem die Kängurus ausnahmsweise ins Freie gelassen werden konnten. Abseits der Gruppe, nahe am Gitter reinigte Dora ausgiebig ihren Beutel samt Baby. Der ungewohnte Anblick ihres stark nach vorn gekrümmten Rumpfes löste bei mir ein heftiges Zittern aus. Im selben Augenblick begriff ich intuitiv, dass die Beutelpflege für das Junge lebenswichtig war. Heute denke ich, dass ich ohne dieses Erlebnis mit Dora vielleicht nie den Durchbruch in meiner Känguruforschung geschafft hätte.
Einen Monat später, es war bereits frühlingshaft warm, und ich freute mich schon auf das bald aus Doras Beutel herausguckende Köpfchen, als ich zu meinem grossen Schrecken bemerkte, dass ihr Beutel ganz flach und offenbar leer war! Sofort erkundigte ich mich bei Glücki, der mir betrübt erklärte, dass das Baby aus Doras Beutel gefallen sei. Nach diesem Unglück fühlte ich mich ausserordentlich niedergeschlagen und reagierte sehr heftig, ja sogar zornig, wenn Mitmenschen meinten, sich über meinen Bericht lustig machen zu müssen. Ich konnte einfach nicht verstehen, dass jemand erleichtert lachte, sobald ihm klar wurde, dass hier nicht ein Mensch, sondern „nur“ ein Tier gestorben war. Ich nahm mir fest vor, Glücki nicht weiter zum Verschwinden von Doras Baby zu befragen und das ganze als eines der Geheimnisse der Natur zu betrachten.
Einige Jahre lang getraute ich mich kaum, über die Säuberung des Beutels zu sprechen, denn ich befürchtete, die zum Teil recht drastischen Umstände bei diesem Akt könnten als unappetitlich und abstossend empfunden werden. Und doch handelte es sich dabei um eine lebenswichtige Funktion der Mutter-Kind-Beziehung.
Es war mir unbegreiflich, dass in den zoologischen oder populärwissenschaftlichen Büchern, die sich mit Kängurus befassten, fast nichts über die Beutelreinigung zu finden war. Auch gab es in Illustrierten keine Fotos von Kängurus, die Beutelpflege betrieben, sondern immer nur prächtige Bilder possierlich aufrecht sitzender Kängurumütter mit drollig aus ihren Beuteln herausschauenden Jungen. Hier wurde einem wesentlichen Punkt offenbar keine Beachtung geschenkt. Ich dachte an Topfpflanzen und ihre wunderbar farbigen Blüten. Niemand würde auf die Idee kommen, sie könnten diese hervorbringen ohne Wasser und jegliche Pflege. Oder ein kleines Menschenkind – wie könnte es heranwachsen und gedeihen, wenn es nicht gewindelt würde? Es erschien mir wirklich sehr merkwürdig, dass von der Sauberhaltung des Beutels und des Jungen in den Publikationen überhaupt keine Notiz genommen wurde. Und plötzlich witterte ich meine Chance. Mich packte der Forschungsdrang.
Dank meiner ungeregelten beruflichen Tätigkeit stand mir genügend Freizeit zur Verfügung, so dass ich mit eingehenden Beobachtungen sofort beginnen konnte, da Dora – nun bereits mehrfache Kängurumutter – und einige andere Weibchen wieder Beuteljunge trugen. Das, was ich sah, dokumentierte ich durch fotografische Bildserien.
Heute rufen meine wissenschaftlichen Veröffentlichungen schöne und aufregende Erinnerungen wieder in mir wach. Besonders stolz bin ich auf meine Aufnahmen der Bewegungsrichtungen während der Beutelreinigung, deren genauen Ablauf ich festhalten konnte. Natürlich war es mir – wie jedem anderen auch – unmöglich zu erkennen, was sich im völlig verborgenen Beutelinnern abspielt. Hier ein Zitat aus meiner Arbeit:
„Erstens ist zu beachten, dass die Kängurumütter die Beutelreinigung im Zeitpunkt der Kotabgabe des Beuteljungen vornehmen. Zweitens ist wesentlich, dass dabei – gemäss Angaben von Herrn Dr. Sharman (Australien) Darmmassage erfolgt. Da die Reinigung im Beutelinneren niemals verfolgt werden kann, muss man sich auf die Beobachtung von aussen beschränken, um Einblick in die Jungenpflege zu erhalten. Von mir beobachtete Kieferbewegungen deuten auf wirkliches Saugen und Schlecken hin, wenn das Muttertier Exkremente direkt von After- und Genitalgegend des Beuteljungen aufsaugt. Während dieses Vorgangs des Reinigens bleibt die Schnauze meistens bis zur Hälfte im Beutel. Der Rücken des Junges liegt – entsprechend seiner Grösse – fest auf dem Beutelfundus. Beim Saugen, begleitet von deutlichen Kieferbewegungen, bleibt der Kopf des Muttertiers meist ganz ruhig im Beutel versenkt, während beim Auslecken verschiedenartige Bewegungen ausgeführt werden.“
Und an anderer Stelle: „Ich habe es Dora zu danken, dass sie mir gestattete, ihre äussere Beutelwand zu betasten, um die Lage des Jungen festzustellen.“
Später dann, im australischen Freiland, gelang es mir tatsächlich auf wunderbare Weise den gesamten äusseren Beutel zu betasten, während die halbwilde Kängurumutter sein Inneres reinigte. Dabei staunte ich sehr, dass das Junge im Beutel nicht einmal zappelte oder strampelte. Es verhielt sich viel ruhiger als ein Menschenbaby während des Windelns.
Gewöhnlich liegt das Junge mit dem Rücken auf dem Beutelgrund und mit Schwanz und Hinterbeinen der mütterlichen Bauchwand zugewandt. Will es herausschauen, muss es den Kopf samt Oberkörper um 180 Grad drehen.
Die Kängurumutter reinigt ihren Beutel samt Jungem etwa dreibis fünfmal pro Tag, und zwar zwei bis acht, selten mehr als zehn Minuten lang, Pausen mit eingeschlossen. Niemals streckt sie die Vorderpfoten in den Beutel hinein, um das Junge nicht mit den Krallen zu verletzen. Vor Beginn der Reinigung krümmt sie sich nach vorne, krallt sich mit beiden Pfoten am äusseren Beutelmund fest, zieht diesen auseinander und schiebt die Schnauze dann so tief hinein, dass ihre Augen oft den Beutelrand berühren. Wenn sie die oberen und unteren Teile des Beutelinnern reinigt, sind die Kopfbewegungen des Ausleckens von aussen deutlich zu erkennen. Während der Reinigung