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Jetzt ist doch noch was Schreckliches passiert.
Ziemlich genau fünf Jahre bin ich nun Polizeichef im Dorf. Besondere Vorkommnisse hat es in der Zeit nicht gegeben. Vor meinem Antritt als Polizeioberkommissar im Dorf ist allerdings schon mal ein Mord passiert. Damals war ich noch Jungspund in Ehingen. Für Kapitalverbrechen wie Mord war damals die Kriminalaußenstelle Ehingen zuständig. Der Mordfall wurde damals ziemlich schnell aufgeklärt. Ich selbst hatte damit eher weniger zu tun. Eigentlich gar nichts.
Wie gesagt, besondere Vorkommnisse gab es in den letzten Jahren nicht. Was nicht heißt, dass mir langweilig gewesen wäre. Es gab genug zu tun. Streitende Betrunkene, kleine Ladendiebstähle, renitente Rathausbesucher, Störer bei Versammlungen, Streit unter Nachbarn, Verkehrsunfälle und noch einiges mehr.
Nicht zu vergessen die Ehestreitigkeiten, die ein Polizist so im Laufe eines Jahres schlichten muss.
Ja, und dann war da noch die Hufnagel. Sie ist ungefähr so lästig wie Schnaken bei schwüler Hitze. Selbst der Pfarrer sagte mal seufzend: „Sie ist ein Prüfstein in meiner Arbeit als Seelsorger dieser Gemeinde. Aber die Wege des Herrn sind halt unergründlich.“
Mich hat sie offensichtlich besonders ins Herz geschlossen. Sie sorgt ständig dafür, dass ich nicht von der Langeweile erschlagen werde. Eine Anzeige pro Woche ist die Regel. Oft gegen unbekannt. Allerdings gehe ich den wenigsten Anzeigen wirklich nach, weil, man kennt ja die Hufnagel. Die hat schon zwei Jungs angezeigt, weil diese sie erst freundlich gegrüßt und danach hämisch gelacht haben. Was soll man mit so einer Anzeige schon machen? Man wirft sie in den Papierkorb oder geht damit aufs Klo.
Am liebsten habe ich Streitigkeiten auf salomonische Art geklärt. Salomonisch deshalb, weil, die Oma Dodel behauptet immer, sie wäre mit dem Wilhelm Dodel verwandt, der von 1892 bis 1913 in dem schönen Städtchen Blaubeuren als Oberamtsrichter sein „Unwesen“ trieb. Über die Landesgrenzen hinaus war der Dodel berühmt für seine salomonischen Urteile. In Juristenkreisen nannte man ihn den „schwäbischen Salomon“, „Blautopfkretzer“ und vor allem – wie er sich selbst nannte „der Dodel vo Blaubeure“. Weil zur damaligen Zeit das Vieh im Stall fast noch wichtiger war, als die Ehefrau, erfand der Dodel auch noch den „Scharfen Eid“. So manchen Eidpflichtigen ließ er sagen: „Jetzt schwätzet Se mir noch: Wohr isch und i lüg net. So wahr mir sonst mein ganzes Vieh verrecken soll.“
Und weil meine Oma, Katharina Dodel, immer wieder davon erzählt hat, habe ich mir das Büchlein „Dodeldum“, besorgt. Die Geschichten von Dr. Karl Setz zusammengestellt, haben mir dann so gut gefallen, dass ich das unbedingt auch mal anwenden wollte. Der Erfolg war einfach umwerfend. So umwerfend gut, dass ich es zwischenzeitlich mindestens zehn oder gar schon zwölf Mal angewendet habe.
Als Beispiel nehme ich mal am besten die Geschichte mit dem Richard und der Hufnagel. Die Hufnagel kümmert sich um das eine oder andere Grab auf dem Dorffriedhof, weil die Angehörigen des oder der Verstorbenen weit weg wohnen. Das macht sie, weil der Pfarrer ihr das geraten hat. Dafür bekommt sie von den Angehörigen ein bisschen Geld. Eines Tages kommt sie auf den Friedhof um die Blumen der ihr anvertrauter Gräber zu gießen. Da sieht sie, wie der Richard Mager sich über das Grab der verstorbenen Frau Helfer beugt. In der Annahme, der Richard wollte Blumen klauen, hat sie ihm in ihrer furchtlosen Art aus ihrer Gießkanne Wasser ins Gesicht geschüttet. Nun sollte man annehmen, dass der Richard Anzeige erstattet hätte. Aber falsch. Die Hufnagel hat Anzeige gegen den Richard erstattet. Wegen Beleidigung. Ich habe die beiden in meine Amtsstube gebeten. Der Richard blieb bei seiner Aussage, er hätte die vom Regen heraus gespülte Pflanze wieder in die Erde gedrückt. Plötzlich und völlig unerwartet wäre dann die Hufnagel neben ihm gestanden und hätte ihm Wasser ins Gesicht geschüttet. Daraufhin hätte er ganz anständig zu ihr gesagt, dass sie eine Sau ist.
Ich habe die Hufnagel in meiner salomonischen Art gefragt, ob sie glaubt, dass eine Sau eine Gieskanne halten und damit schütten könne. Was sie natürlich verneinte. Also habe ich ihr geraten, von der Anzeige Abstand zu nehmen. Weil, wenn eine Sau Wasser geschüttet hätte, könne man dagegen gar nichts machen. Wenn aber eine Frau einem Mann Wasser ins Gesicht schüttet, ist das ein tätlicher Angriff und das kann sogar mit Gefängnis bestraft werden. Das hat sie dann eingesehen. Sie ist aus dem Raum gestampft und hat die Tür so zugeschlagen, dass das Bild vom Polizeipräsidenten zu Boden gekracht ist. Noch Tage später habe ich Glassplitter vom Boden aufgesammelt.
Bei meinen Nachforschungen der übrigen HufnagelAnzeigen kam nur wenig heraus. Auch nicht bei den Drohbriefen, die sie manchmal bekommt. Meistens wird sie darin nur beschimpft. Wobei Lompamensch, Planschkuah, Schnättergosch, Schnalle und Wetterhex noch die harmlosesten Ausdrücke sind.
Ansonsten geht es im Dorf im Großen und Ganzen recht gesittet zu. Da bleibt natürlich auch nicht aus, dass der eine oder andere schon mal bemerkt: „Du schiebst im Dorf doch eine recht ruhige Kugel.“
Alleine schiebe ich die „ruhige Kugel“ allerdings nicht. Jedenfalls nicht immer. Aber meistens. Weil, mein Kollege Benno Holzer ist oft weg, auf Lehrgängen, Weiterbildung und so. Er hat nicht vor, als Dorfpolizist zu versauern, sagt er immer. Er will weiterkommen, zur Kripo und da am liebsten zur Mordkommission. Also bin ich doch oft alleine. Zur Verstärkung hole ich mir da sehr oft und sehr gern eine Kollegin aus Blaubeuren. Die Marina Domino. Mit der arbeite ich am liebsten zusammen.
Das passt dem Kollegen Haberkorn natürlich gar nicht. Weil, so sagt er, wenn sie bei mir ist, fehlt sie bei ihm. In Kollegenkreisen munkelt man, wir beide, die Marina und ich hätten was miteinander. Woher das Gerücht kommt, wissen wir nicht. Aber ich vermute sehr stark, dass der Haberkorn es in die Welt gesetzt hat. Dass das aber nicht der Wahrheit entspricht, wissen wir beide, die Marina und ich, wohl am besten. Freilich, ich mag sie sehr und sie mich auch. Das merkt man ja als Mann. Doch so richtig zusammen, also intim und so, waren wir noch nicht. Geküsst habe ich sie schon. Mehrmals. Eigentlich sogar sehr oft. Das bleibt ja auch nicht aus, weil, manchmal ist sie einfach zu süß. Mehr war aber noch nicht. Wenn es nach der Marina ginge, wären wir beide längst schon ein Paar. Irgendwann werde auch ich mal so weit sein, wenn ich meine Scheidung und das Trauma mit meiner Mutter verdaut habe. Aber im Moment traue ich mich noch nicht.
Ganz zum Leidwesen von Oma Dodel. Ich habe das Glück, in dem Dorf Polizist zu sein, in dem auch meine Oma wohnt. Oma Dodel ist die beste Köchin weit und breit. Gut, vielleicht liegt es auch daran, dass sie nur das kocht, was ihr Lieblingsenkel gern mag. Dass ich ihr einziger Enkel bin, wiegt natürlich doppelt und dass sie ganz vernarrt in Marina ist, wiegt in dem Fall sogar dreifach.
Also soweit wäre alles in Ordnung. Nur das mit dem Telefon ist nicht in Ordnung. Es klingelt penetrant. Und das frühmorgens um zehn nach neun. Dabei habe ich mir vorgenommen, heute mal länger zu schlafen. Auch dem Polizeichef im Dorf steht das mal zu. Schließlich ist es gestern spät geworden. Sehr spät sogar.
Auch wenn ich gestern Abend nicht richtig im Dienst war. Ein bisschen Dienst war es doch. Weil nämlich der Siegfried Löhle, seines Zeichens erster Vorstand des Schützenvereins, mich gebeten hat, doch als zweiter Vorstand des Vereins zu kandidieren. Dass ich einstimmig gewählt werden würde, davon war er fest überzeugt.
Er konnte allerdings nicht verhehlen, welchen Zweck er mit meiner Wahl zum zweiten Vorsitzenden verfolgte. Obwohl er es nicht offen aussprach, war mir klar: Nicht der Privatmann Hanno Köberle, sondern der Polizist Köberle sollte in den Vorstand gewählt werden. Nach all den Amokläufen in der letzten Zeit, sind die Schützenvereine bei