Kathrin Lange

Fabelmacht Bundle


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      Mila schwieg. Sie wollte Isabelle sagen, dass sie Nicholas nicht vergessen konnte, aus dem einfachen Grund, weil sie seit Jahren über ihn schrieb und es sich so anfühlte, als würden sie sich ewig kennen. Und dann wiederum war ihr bewusst, dass der Junge in ihren Notizbüchern völlig anders war als der echte Nicholas. Wieder hörte sie Erics Handgelenk brechen. Wieder spürte sie Nicholas’ Lippen auf ihren, hart und fordernd, ohne jede Rücksicht.

      »Das geht nicht«, hörte sie sich sagen.

      »Warum nicht?« Die Lichter der Stadt strahlten Isabelles Haare von hinten an und ließen sie schimmern.

      Mila zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Irgendwie ist da eine Verbindung zwischen uns …«

      »Der schweigsame, düstere Unbekannte.« Isabelle stieß ein Lachen aus, dann hakte sie sich bei ihr unter. »Süße, ich bin vier Jahre älter als du. Glaub einer alten Freundin, wenn sie dir sagt, dass jedes Mädel die Finger von diesem Kerl lassen sollte.« Sie machte eine Pause. »Liebe auf den ersten Blick gibt es nicht«, erklärte sie dann kategorisch.

      Nicholas stand in den Schatten einiger Bäume und starrte Mila an.

      Das Mädchen im schwarzen Minikleid war zur Furie geworden, als er ihr auf die Frage, wer Mila war, keine befriedigende Antwort geben konnte. »Wer bin ich?«, hatte sie ihn angegiftet. »Die Idiotin, die dir hilft, die Kleine im roten Kleid eifersüchtig zu machen?« Sie hatte ihm sogar eine Ohrfeige gegeben, bevor sie davongerauscht war. Der Abdruck ihrer Finger war noch auf seiner Wange zu spüren und er wusste, er hatte ihn sich verdient.

      Vorsichtig schob er seinen Hemdsärmel hoch. Die Schrift schien in der Dunkelheit doppelt grell. Eilig wandte er sich ab und zog die Manschette nach unten, damit Mila nicht auf das Licht aufmerksam wurde. Der Schriftzug war jetzt ganz eindeutig zu erkennen.

      Mila und Nicholas, zog es sich auf der Innenseite seines Handgelenks entlang. In seiner eigenen Handschrift.

      Er schluckte gegen ein Würgen an und wandte sich wieder um.

      Milas Freundin sprach gerade. Isabelle hieß sie, wenn er das richtig verstanden hatte. »Vergiss ihn, Mila!«, sagte sie und als Mila antwortete, klang ihre Stimme ganz deutlich durch die Nacht.

      »Das geht nicht.«

      »Warum nicht?«

      »Keine Ahnung. Irgendwie ist da eine Verbindung zwischen uns …«

      Plötzlich fiel Nicholas das Atmen schwer. Hinter ihm befand sich ein schmiedeeisernes Geländer, dessen Metallstreben nicht mehr ganz in Ordnung waren. Eine war geborsten und verbogen. Wie eine schartige Klinge ragte sie in die Höhe.

      In seiner Geschichte stand er ebenfalls hier in den Schatten, aber da war kein scharfes Eisenteil.

      Jetzt schaute er auf seine Handfläche, zögerte. Dann schloss er die Hand um das schartige Stück Metall und drückte zu, bis das Blut an seinem Handgelenk hinablief. Bis das blaue Feuer an seinem Arm aufflackerte und ein weiteres Wort entstand.

       Tod.

      »Hier bist du!« Luc war da, er hatte ihn nicht kommen hören. »Ich habe die ganze Zeit nach dir ges…« Er unterbrach sich, als er das Blut bemerkte. »He, was machst du denn?« Er packte Nicholas’ Hand, zog sie von dem Eisenteil weg.

      Nicholas ächzte unter Schmerzen und es war die Flammenschrift, die ihn quälte, nicht die Verletzung.

      »In der Geschichte verletze ich mich nicht«, sagte er.

      Luc verstand, worum es ging. Er legte ihm eine Hand unter den Ellenbogen. »Du bist leichenblass.«

      Nicholas schob den Hemdsärmel erneut hoch, sodass sein Freund die Schrift lesen konnte. »Sie wächst.«

      Luc starrte erschrocken darauf. »Das wird …«

      »Meine Geschichte.« Milas Name. Seiner. Und das Wort Tod. Der einzige Text, den er jemals geschrieben hatte, in dem alle drei Worte vorkamen, war diese eine, elende Geschichte.

      »Tut das weh?«, fragte Luc, während Mila und ihre Freundin Seite an Seite davongingen.

      Nicholas keuchte auf.

      »Es tut weh, oder?«, fragte Luc. Sein Blick wanderte forschend von Nicholas’ Arm zu seinem Gesicht und wieder zurück zu seinem Arm.

      Nicholas schaute den beiden Mädchen hinterher, dann senkte er resigniert den Kopf.

      »Wie die Hölle«, murmelte er.

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      Am nächsten Morgen schien die Sonne hell in Milas kleine Kammer, die Isabelle für die Dauer von Milas Besuch für sie freigeräumt hatte. Mila erwachte aus einem Traum, an den sie sich nur schlecht erinnern konnte. Alles, was sie noch wusste, war, dass in diesem Traum eine dunkle Stimme gefleht hatte: »Lass mich gehen!«

      Sie setzte sich im Bett auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen und lauschte auf die Geräusche, die aus der Wohnung kamen. Der schwache Duft von Kaffee drang unter der Tür hindurch.

      »Guten Morgen!«, begrüßte Isabelle sie gut gelaunt, als sie sich aus dem Bett geschwungen hatte und auf bloßen Füßen und im Schlaf-T-Shirt aus ihrem Zimmer getappt war. Der buttrige Duft frischer Croissants gesellte sich zu dem des Kaffees und ließ Mila das Wasser im Mund zusammenlaufen.

      Kurzerhand setzte sie sich auf einen der Stühle an den Tisch und zog ein Bein unter ihren Po. »Lecker!« Isabelle grinste. »Na? Von einem sexy Mistkerl mit Schlafzimmeraugen und unmöglicher Frisur geträumt?« Es störte Mila, wie sie über Nicholas redete. Aber sie konnte es natürlich verstehen. »Ja, sicher«, konterte sie. Und streckte Isabelle die Zunge raus.

      Ihre Freundin lachte. Dann jedoch machte sie ein schuldbewusstes Gesicht und schob Mila ihr Handy über den Tisch zu. »Es hat heute Morgen schon dreimal geklingelt. Und da du noch geschlafen hast, habe ich gedacht, ich gucke mal nach, ob es etwas Wichtiges ist.«

      Mila drehte das Telefon zu sich herum. Ein Blick in die Anruferliste ließ sie aufstöhnen. Nach Isabelles Frage gestern, ob sie tanzen gehen wolle, hatte Mila an Helena denken müssen und ein schlechtes Gewissen gehabt. Also hatte sie Helena wenigstens eine Nachricht geschickt. Sie hatte ihr geschrieben, dass sie eine weitere Nacht bei ihrer Freundin verbringen würde, was ja, genau genommen, nicht gelogen war. Und daraufhin hatte Helena mit einem für sie völlig untypischen »Okay. Pass auf dich auf!« geantwortet, über das Mila sich fast gefreut hatte.

      Vielleicht, so hatte sie gedacht, lernte ihre Mutter endlich, dass sie kein kleines Kind mehr war.

      Allerdings hatte Helena während der Nacht offenbar beschlossen, ihren Kontrollzwang nicht länger zu unterdrücken. Alle drei Anrufe waren von ihr gekommen.

      Mila seufzte.

      »Na«, sagte Isabelle. »Willst du meine Meinung hören?«

      Mila nahm missmutig ein Croissant und riss es in der Mitte durch.

      Isabelle verstand das als Zustimmung. »Ich denke, du hast allen Grund, sauer auf sie zu sein, aber findest du nicht, du hast sie genug gestraft?« Sie hatte ihre Haare noch nicht gekämmt und wirkte zerzaust. Eine Windsbraut. Eine moderne rothaarige Hexe, dachte Mila und betrachtete eines der Bilder, die neben dem Esstisch an die Wand gelehnt standen. Es war eine von Isabelles Auftragsarbeiten, eine Ansicht der Kathedrale Notre-Dame in schreiend bunten Farben und leicht zerflossen wirkender Optik.

      »Meinst du, ich soll ihr sagen, wo ich bin?«, fragte Mila.

      »Keine Ahnung.« Isabelle stellte einen Fuß auf die Kante ihres Stuhles und umschlang ihr Knie mit den Armen. »Du hast mir erzählt, dass deine Mutter Schreikrämpfe kriegt, wenn jemand Paris auch nur erwähnt.«

      Mila seufzte erneut. Das Croissant in ihrer Hand war noch