Kathrin Lange

Fabelmacht Bundle


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an der Garderobe gesehen.«

      Nicholas kam nicht dazu, die Information zu verarbeiten, denn in diesem Augenblick fühlte er eine Hand auf seinem Arm. Sicher, dass es Mila war, die hinter ihm stand, fuhr er herum.

      Aber es war das Mädchen in Schwarz, mit dem er eben Blickkontakt gehabt hatte. »Hallo!«, sagte sie mit einer Stimme, in der alles Mögliche mitschwang.

      Nicholas starrte auf die Serviette in seiner Hand.

       Luna.

      So hieß die Bar in seiner Geschichte. Und Mila war hier. Genau wie er es geschrieben hatte.

      Er spürte, wie Mutlosigkeit sich in ihm breitmachte. Als er gestern diesen Typen in Milas Nähe gesehen hatte, diesen Eric, der in der Geschichte nicht vorkam, hatte er Lucs Hoffnung geteilt, dass auch andere Dinge anders laufen konnten. Darum war er hier in diesen Club gekommen, von dem er glaubte, dass es ein völlig anderer war. Um sich selbst zu beweisen, dass alles vielleicht doch nicht so schlimm kommen würde.

      Bedächtig legte er die Serviette auf den Tresen.

      Noch hatte er die Chance, ein Zusammentreffen mit Mila in einer Bar namens Luna abzuwenden.

      Er zwang sich, dem Mädchen ein eindeutiges Lächeln zu schenken. »Hallo«, sagte er. »Ziemlich heiß hier drinnen.«

      Er kannte die Wirkung seiner tiefen Stimme und tatsächlich, sie verfehlte ihr Ziel auch diesmal nicht. »Willst du etwas trinken?«, fragte das Mädchen.

      »Ich glaube, ich würde lieber von hier verschwinden.« Nicholas’ Blick huschte durch den Raum auf der Suche nach Mila. Noch schien sie an der Garderobe zu sein.

      Luc riss ihn am Ärmel. »Was soll das werden? Was ist mit Mila?«

      »Hör auf, ihren Namen zu sagen!«, zischte Nicholas.

      »Wer ist Mila?«, erkundigte sich das Mädchen in Schwarz.

      »Ich versuche nur, dir zu helfen«, beschwerte sich Luc.

      Da schwankte Nicholas, weil das blaue Mal an seiner Hand aufglühte. Etwas ergriff Besitz von ihm. Er langte über die Bar und packte das Messer, mit dem der Barkeeper Limetten zerteilte. Kurz hielt er inne, lauschte auf das Finstere in seinem Inneren, doch dann, mit einer fließenden Bewegung, drehte er das Messer so, dass sein Griff auf Luc wies.

      Der fasste instinktiv danach und umklammerte ihn. »Spinnst du?«, murmelte er, aber Nicholas hatte bereits das Messer losgelassen. Er drängte sich an Luc heran, so dicht, dass die Klinge seine Bauchmuskeln berührte.

      Luc wollte zurückweichen, doch es war zu voll. Er rempelte den Kokser an und erntete einen bösen Blick von ihm. »Nicholas«, ächzte er und ließ das Messer sinken. »Ich … was soll das, verdammt?!«

      »Du kannst mir nicht helfen«, sagte Nicholas. »Und Mila auch nicht.« Er machte eine Pause, weil ihm bewusst wurde, dass er gerade genau das tat, was die Geschichte von ihm verlangte. Ihm wurde schlecht. »Obwohl?«, fügte er hinzu. »Mila doch. Wenn du hier und jetzt zustößt.« Er klang völlig ruhig dabei, auch wenn ihm vor Grauen die Haare im Genick zu Berge standen.

      Das Mädchen in Schwarz stieß einen Schrei aus.

      Er knirschte mit den Zähnen.

      »Schluss jetzt!« Der Barkeeper war plötzlich da und entwand Luc mit einem geübten Griff das Messer. »Noch so ein Ding und ich lass euch rauswerfen!«

      Mehrere Sekunden verstrichen, bis Nicholas sich wieder bewegen konnte. »Schon gut«, murmelte er.

      Und in diesem Augenblick erschien Mila in der Tür des Clubs. Sie trug wie das Mädchen am Tresen ein Minikleid, aber ihres war nicht schwarz, sondern flammend rot. Ihre widerspenstigen blonden Locken hatte sie mit mehreren Kämmen am Hinterkopf gebändigt. Einige hatten sich befreit und kringelten sich in ihrem Nacken und rechts und links ihrer Ohren.

      Nicholas sah zu, wie sie ihren Blick über die Menge schweifen ließ. Und kurz bevor sie ihn entdeckte, wandte er sich in seiner Not mit einem Ruck zu dem Mädchen in Schwarz um, packte ihr Gesicht und küsste sie.

      Mila war völlig unfähig, sich zu bewegen. Sie hatte Nicholas erkannt, obwohl er sich alle Mühe gab, sein Gesicht vor ihr zu verbergen. Die Art und Weise, wie er dieses Mädchen küsste, fühlte sich an wie eine kalte Hand, die sich um ihre Kehle legte und zudrückte. Sein Blick war ihrem nur einen Sekundenbruchteil lang begegnet, aber er hatte ausgereicht, um Mila komplett den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

      Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Und verlangsamte sich dann so sehr, dass sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen.

      Isabelle wedelte vor ihrer Nase herum. »He! Hast du ein Gespenst gesehen?«, schrie sie gegen die laute Musik an.

      Mila riss sich von Nicholas und dem Mädchen los. »Was? Nein. Natürlich nicht.«

      Aber Isabelle hatte längst bemerkt, wohin sie gestarrt hatte. Ihre Miene verfinsterte sich, als sie Nicholas beim Knutschen zusah. »Kennst du den Typen?«

       Nein!

      Fast hätte Mila das laut gesagt. Doch stimmte es auch? Die Wahrheit war, dass sie Nicholas gestern zum ersten Mal in ihrem Leben begegnet war. Aber trotzdem kannte sie ihn irgendwie schon seit vielen Jahren.

      Weil sie über ihn geschrieben hatte.

      Sie biss sich auf die Lippe, um das nicht laut auszusprechen. Isabelle hätte sie für völlig bekloppt erklärt. »Nicht wirklich«, schrie sie. Die Musik setzte kurz aus und die Menge auf der Tanzfläche kam zum Stillstand. »Ich glaube, ich bin ihm gestern am Bahnhof begegnet«, fügte sie etwas leiser hinzu. Sie dachte an Eric und ihr gestohlenes Portemonnaie. »Er hat einem Taschendieb die Sachen wieder abgenommen, die der mir gestohlen hatte.«

      »Hat er das? Wie ritterlich.« Isabelle betrachtete Nicholas mit neuem Interesse, aber dann rümpfte sie abfällig die Nase. Die Musik setzte wieder ein, in unverminderter Lautstärke. »Na ja«, brüllte sie. »Aber so, wie er die Tusse abknutscht, kommt er für weitere Betrachtungen wohl nicht infrage.«

      Stimmt, dachte Mila. Aber weniger, weil er das andere Mädchen so heftig küsst, als vielmehr deswegen, weil er Eric das Handgelenk gebrochen hat.

      Mit einem kalten Gefühl im Magen sah sie zu, wie Nicholas seine Hand auf die Schulter des Mädchens in Schwarz legte und ihr irgendwas ins Ohr sagte. Das Mädchen schaute erst verdutzt, dann freudig überrascht. Nicholas griff nach ihrer Hand und gemeinsam drängten sie sich in Richtung Ausgang durch die Menge.

      Mila verdrehte die Augen.

      Nicholas gab sich alle Mühe, ihr so weit wie möglich auszuweichen, aber so groß war der Club nicht und sie stand noch immer bei der Tür. Als die beiden in ihre Nähe kamen, blieb das Mädchen in Schwarz stehen. Nicholas wollte sie mit sich fortziehen, aber sie wehrte ihn ab. »Was glotzt du so?«, zischte sie Mila an.

      Mila versuchte, Nicholas’ Blick zu erhaschen. Vergeblich.

      »Er hat überhaupt kein Interesse an dir«, entfuhr es ihr.

      Ihre Worte ließen Nicholas zusammenzucken und sie selbst auch.

      Warum hatte sie das gesagt? Sie war sich irgendwie sicher, dass dem so war, auch wenn Nicholas sich alle Mühe gab, einen anderen Eindruck zu erwecken. Er hob seinen Blick, sah sie an, und das steigerte noch die Irritation, die sie empfand. Warum nur wusste sie so genau, dass er nichts von dem Mädchen wollte?

      Die Antwort auf diese Frage kam ihr augenblicklich in den Sinn.

      Weil der Nicholas in ihrem Notizbuch so gehandelt hätte.

      Doch von dem Notizbuch wusste er nichts. Er zog das Mädchen wieder an sich. »Ignorier sie«, rief er gegen die Musik an. »Sie ist nur irgendein Mädel und glaubt, es hätte was zu bedeuten, dass ich ihr gestern Nachmittag den Arsch gerettet habe.«

      Mila zuckte zurück. Die kalten Worte fühlten sich an wie Schläge. Und sie klangen alles andere als gespielt. Das hier ist die Wirklichkeit, dachte sie.