Kathrin Lange

Fabelmacht Bundle


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noch immer durch Milas Adern und die Gedanken in ihrem Kopf waren ein einziges, wirres Knäuel. Das unverhoffte Wiedersehen mit Nicholas hatte sie ziemlich durcheinandergebracht, fast mehr, stellte sie gerade fest, als es die Erkenntnis tat, dass sie eine geheimnisvolle magische Fähigkeit besaß, und sogar mehr als die Tatsache, dass auf sie geschossen worden war. Alles drei zusammen allerdings war zu groß für ihren Verstand. Sobald sie versuchte, auch nur eines davon zu fassen zu bekommen und intensiver darüber nachzudenken, entglitt es ihr, weil sich etwas anderes in den Vordergrund drängte. Um ihre innere Unruhe zu bekämpfen, begann sie, in dem größten der Räume auf und ab zu tigern. Von der einen Wand bis zur gegenüberliegenden waren es nur wenige Schritte.

      Sieben hin.

      Sieben zurück.

      Während sie lief, untersuchte Eric die Tür daraufhin, ob sie wirklich verschlossen war. Nicholas hingegen stand einfach da und wartete. Seine Miene wirkte völlig undurchdringlich.

      Schließlich blieb Mila mit einem Ruck stehen. »Okay, du bist also auch ein Fabelmächtiger«, sagte sie ihm auf den Kopf zu.

      Er schaute erstaunt und sie wusste nicht, was ihn so überraschte. Dass sie den Begriff kannte?

      »Ja«, antwortete er. Mehr nicht.

      »Und diese Typen sind hinter mir her, weil …?«

      Er zögerte. Schien zu überlegen. Dann zuckte er nur mit den Schultern.

      Eric hatte mittlerweile das intakte Schloss akzeptiert und einen Blick durch das völlig verdreckte, kleine Fenster geworfen, das auf einen Lichtschacht hinauszuweisen schien.

      »Dieser Serge«, mischte er sich ein. »Ist das derselbe Typ, der vorhin schon auf dem Bahnhof hinter Mila her war? Schwarzer Anzug? Groß, Muskeln wie aufgepumpt?«

      »Das klingt nach ihm, ja.« Nicholas lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und ließ sich langsam daran herunterrutschen. »Aber vermutlich war er nicht allein unterwegs.«

      »Nein. So ein Typ in Jeans und Sakko war bei ihm.«

      »Michel mit Sicherheit. Er war derjenige, der auf Mila geschossen hat.« Nicholas stellte ein Bein auf und legte seinen rechten Unterarm auf das Knie. Sehr sorgfältig zupfte er dabei den Ärmel seines Mantels über sein Handgelenk.

      Mila wurde bewusst, dass sie seit einer geraumen Weile schon auf ein mit altem Kram vollgestopftes Kellerregal starrte. Mit Gewalt schüttelte sie die Benommenheit ab. »Wir dachten, wir hätten sie am Bahnhof abgehängt. Wie haben sie uns hier gefunden?«

      »Sie müssen uns gefolgt sein«, vermutete Eric.

      Nicholas wandte den Kopf und musterte ihn. »Nein. Sie wussten, dass ihr hier sein werdet.«

      »Unmöglich!« Eric warf einen weiteren, völlig überflüssigen Blick durch das Fenster. Mit einer Schulter lehnte er sich an die gegenüberliegende Wand.

      Nicholas spielte mit dem Saum seines Ärmels. »Serge und seine Leute wissen leider sehr viel mehr, als ihr euch vorstellen könnt. Glaub mir: Sie könnten euch weitaus länger verfolgen, als du jemals wegrennen könntest.« Er überlegte und fügte hinzu: »Auch wenn du vermutlich ziemlich gut im Wegrennen bist bei deinem Job.«

      Ein Schatten flog über Erics Gesicht. Kurz dachte Mila, er würde auf Nicholas’ Beleidigung anspringen, aber dann tat er es doch nicht. Er stieß einfach nur Luft durch die Nase. »Wer ist also dieser … Villard Caruel? Und warum will er Mila töten?«

      »Villain«, korrigierte Nicholas. »Er heißt Villain. Klingt, als hätte ich ihm den Namen gegeben, oder? Ist aber nicht so.«

      Villain, übersetzte Mila im Stillen für sich ins Deutsche, war das französische Wort für Bösewicht.

      »Warum, Nicholas?«, hakte sie nach und dabei hatte sie das Gefühl, dass für einen Sekundenbruchteil seine Maske ins Rutschen kam.

      »Ich fürchte, das ist meine Schuld«, murmelte er.

      Eric schnaubte. Dann wandte er sich an Mila. »Also, wenn du mich fragst, dann ist das alles hier nur ein Trick. Vielleicht spielt er irgendein fieses Spiel mit dir.« Er funkelte Nicholas an. »Was beweist uns, dass wir dir trauen können?«

      Nicholas zupfte seine Hemdmanschette unter dem Ärmel hervor. »Nichts. Abgesehen vielleicht von der kleinen Tatsache, dass ich Mila eben das Leben gerettet habe.«

      Mila blieb die Luft weg bei der Erinnerung daran. »Danke dafür, übrigens«, sagte sie leise.

      Nicholas grinste sie an. »Ich hab gehört, nichts macht einen schneller zum Helden, als sich in eine Schussbahn zu werfen. Vorausgesetzt, man bleibt dabei am Leben.«

      Der Schmerz, den die Flammenschrift verursachte, war fies und Milas Gegenwart verwirrte ihn so unfassbar, dass er nicht anders konnte, als sich in Ironie und Sarkasmus zu flüchten. So fühlte es sich also an, wenn man jemanden über alles liebte?

      Es kam ihm eher vor wie eine Krankheit, die ihn angeflogen hatte. Herzjagen und ein flaues Gefühl im Magen, dazu etwas, das genauso gut auch Fieber sein konnte.

      Zu Risiken und Nebenwirkungen …, dachte er spöttisch, nur um sich gleich zur Ordnung zu rufen. Albernheit half ihm nicht weiter.

      Weil er sich für eine Weile besinnen musste, war er froh, als Eric und Mila sich in einen anderen Raum der weitläufigen Kelleranlage zurückgezogen hatten. Weniger froh war er allerdings, dass sie offenbar miteinander diskutierten, ob sie ihm vertrauen sollten oder nicht.

      Eigentlich hätte Mila sich der Geschichte zufolge gerade genauso fühlen müssen wie er, aber ganz offenbar tat sie es nicht. Er dachte daran, wie sie ihn auf der Terrasse angegiftet hatte.

      Hast du keine Angst mehr, dass ich mich in dich schockverliebe, hatte sie ihn gefragt.

      Es war gewesen, als hätte sie ihm eine Ohrfeige gegeben. Dabei hätte er doch eigentlich froh darüber sein sollen. Immerhin bewies es, dass seine Geschichte nicht solche Macht über sie hatte wie befürchtet.

      Er seufzte leise.

      Mit schief gelegtem Kopf lauschte er dann dem leisen Gemurmel der beiden und als das Flammenmal erneut ein Stück wuchs, schob er den Mantelärmel zurück und sah zu, wie es sich millimeterweise in Richtung Ellenbogen brannte. Wie aus den wenigen Worten ein Satz wurde.

      Der Tod ging über seine Mitternachtsaugen hinweg, stand dort jetzt.

      Nicholas presste die Lippen aufeinander. Klar. Die Flammenschrift wuchs, wenn er etwas anderes tat, als die Geschichte vorsah. Er hätte in diesem Moment mit Mila in einem Baum im Parc des Buttes-Chaumont hocken und sich vor Serge und seinen Männer verstecken müssen. Die ihn dort aber natürlich gefunden hätten, wenn Villain dafür gesorgt hatte, dass sie die ganze Geschichte kannten. Und danach sah es aus, denn sonst wären sie nicht auf das Abbruchhaus gekommen.

      Nicholas hatte daraufhin ausprobiert, ob er die Geschichte mit einem anderen Versteck verändern konnte – und tatsächlich war es ihm gelungen. Als dann der brennende Schmerz gekommen war und ihm Gewissheit verschafft hatte, dass die Geschichte sich wehrte, war seine Erleichterung ungeheuer gewesen.

      Aber er wusste nicht, wie lange er das noch würde durchhalten können. Die Schmerzattacken hinderten ihn daran, klar zu denken – und das war ein Problem. Zu viel stand auf dem Spiel und zu wichtig war es, dass er die Übersicht behielt.

      Er lächelte bei dem Gedanken, wie Serge und Michel die nächsten Stunden damit verbringen würden, jeden einzelnen Baum in dem Park abzusuchen.

      Die Flammenschrift wuchs ein weiteres Stück seinen Arm hinauf und um sich wenigstens für einen Augenblick von den Schmerzen abzulenken, nahm er sein Notizbuch aus der Manteltasche und zog ein Foto zwischen den Seiten hervor.

      Behutsam faltete er es auseinander.

      Es zeigte eine Frau und einen kleinen Jungen, die Hand in Hand einen Hügel hinabliefen und dabei aus vollem Hals lachten. Das Foto war bei Nacht aufgenommen worden und aus so einem ungewöhnlichen Winkel, dass der Vollmond