Berkeley – Los Angeles – London 2013
Herer J, Bröckers, M, Katalyse-Inst. (1993) Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf, Zweitausendeins, Frankfurt/M
Heuser O (1927) Die Hanfpflanze. In: Herzog O (Hrsg.) Hanf und Hartfasern, Julius Springer, Berlin
Hingst W, Mackwitz H (1996) Reiz-Wäsche, Campus-Verlag, Frankfurt
Körber-Grohne U (1988) Nutzpflanzen in Deutschland – Kulturgeschichte und Biologie, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart
Schultes RE, Hofmann A (1992) Pflanzen der Götter – Die magischen Kräfte der bewusstseinserweiternden Gewächse, AT Verlag, Aarau (Schweiz)
Sowie www.eiha.org, diverse Informationen, z.B. aktuelle Anbaudaten
2 Kulturgeschichte der medizinischen Verwendung
Manfred Fankhauser
2.1 Spurensuche
Die Geschichte von Hanf als Medikament ist noch nicht geschrieben. Dazu passend das Zitat von Behr:
„Die Geschichte [des Hanfes] ist eine unendlich lange Treppenflucht, deren untere Etagen aus deprimierend wenig gesicherten Tatsachen und umso mehr Vermutungen bestehen.“ (Behr 1992)
Das erste schriftliche Dokument zur medizinischen Verwendung von Cannabis stammt aus China. Dem mythischen Kaiser und zugleich einem der Väter der chinesischen Medizin, Shen-Nung, wird dieses, um 2700 v. Chr. erschienene Grundwerk der Medikamentenkunde zugeschrieben (Haenel 1970).
Von China scheint die Pflanze um 800 v. Chr. nach Indien gelangt zu sein (Dreyfus 1973). Es gilt als sicher, dass der Hanf schon zu vedischer Zeit als Heilmittel verwendet wurde. Die in Persien entstandene heilige Schrift der Perser, die Avesta, wurde vermutlich im 6. Jahrhundert v. Chr. durch Zarathustra geschrieben. Bereits dort wird auf die betäubende Wirkung des Hanfs hingewiesen. Die Perser kannten auch ein Abortivum mit Namen „Bhanga“, was auf Cannabis hindeutet (Tschirch 1910).
In Ägypten ist die Präsenz von Cannabis seit zirka 1500 vor Christus belegt (Manniche 1989). Es finden sich jedoch Hinweise auf die Pflanze in 1.000 Jahre älteren Papyri. Auch das 1872 entdeckte, umfassendste Dokument zur ägyptischen Medizin, das Papyrus Ebers, liefert mehrere Hinweise zum medizinischen Gebrauch von Cannabis im 16. Jahrhundert vor Christus (Mechoulam 1993).
Erste ausführliche Beschreibungen des übermäßigen Gebrauchs (oder Missbrauchs) beschreibt Herodot im 4. Jahrhundert v. Chr. Er spricht über die Dampfbäder der Skythen, einem indogermanischen Reitervolk des 7. Jahrhunderts v. Chr.:
„Von diesem Hanf nun nehmen die Skythen die Körner, kriechen unter ihre Filzzelte und werfen die Körner auf glühende Steine. Wenn die Körner auf diese Steine fallen, so rauchen sie und verbreiten einen solchen Dampf, wie er sich in keinem hellenischen Dampfbad findet. Die Skythen aber heulen vor Freunde über den Dampf. Er gilt ihnen als Bad, denn im Wasser baden sie niemals.“ (Reininger 1941)
Auch aus dieser Zeit stammen Kräuterbuchfragmente aus Assyrien (zwischen Tigris und Euphrat liegend, daher auch Zweistromland (Mesopotamien) genannt), heutiger Grenzbereich zwischen Iran und Irak. Cannabis erscheint unter verschiedenen Namen (meist als „azallu“) und wird ausgesprochen vielseitig verwendet: Äußerlich gegen Schwellungen, Quetschungen, Augenleiden, zudem wird die Anwendung als Medizinalbad zur Linderung depressiver Zustände empfohlen. Auch innerlich soll es gegen Stimmungsschwankungen helfen, zudem wurde es empfohlen gegen Impotenz, Nierensteine und Hexerei. Die Hanfsamen werden verwendet (zusammen mit Safran und Minze in Bier) gegen verschiedene Frauenleiden.
2.2 Cannabis in der antiken Medizin
Welche Bedeutung Cannabis bei den Griechen und Römern gehabt hat, ist unsicher. Man glaubt zwar, dass die psychoaktive Wirkung des Hanfs bekannt, die Verwendung als Rauschmittel aber kaum gebräuchlich war; bezeichnenderweise fehlt Hanf im Corpus hippocraticum (Stefanis et al. 1975). Diese, im 4. Jahrhundert vor Christus entstandenen, dem Vater der Medizin, Hippokrates, zugeschriebenen Schriften, gelten als Fundament der abendländischen Medizin. Andere, Nichtärzte, erwähnen Hanf zwar vor Christi Geburt, gehen jedoch nicht auf die medizinische Verwendung ein (Brunner 1973).
Vielfach zitiert wird die bei Homer (evtl. 7./8. Jahrhundert v. Chr.) im vierten Gesang der Odyssee beschriebene Telemachszene. Helena wirft in den Wein des Telemach und seiner Genossen das Arzneimittel „Nepenthes“, welches das Vergessen aller Leiden bewirken soll. Homer schreibt:
„Und sie tat in den Wein, von dem sie tranken, ein Mittel, Sorgen und Zorn zu stillen und alles Leid zu vergessen. Wer das Mittel genoss mitsamt dem Weine des Mischkrugs, dem rann keine Träne den Tag die Wange herunter, lägen ihm auch tot darnieder Vater und Mutter, selbst, wenn man vor ihm den lieben Sohn oder Bruder mit dem Schwert erschlüge vor seinen Augen.“ (Homerus 1938)
Dass es sich beim Nepenthes um ein Haschischpräparat handelte oder wenigstens Teile davon zu finden sind wird für möglich gehalten. Andere glauben allerdings, dass es sich beim Nepenthes um eine dichterische Erfindung handelt. Interessant ist, dass bereits in der Antike über die Zusammensetzung dieses sagenumworbenen Pharmakons diskutiert wurde.
In der Arzneimittellehre des Dioskurides (um 50 n. Chr.) wird Cannabis erstmals in einer abendländischen Schrift erwähnt (s. Abb. 2):
„Gebauter Hanf. Der Hanf – einige nennen ihn Kannabion, andere Schoinostrophon, Asterion – ist eine Pflanze, welche im Leben sehr viel Verwendung findet zum Flechten der kräftigsten Stricke. Er hat denen der Esche ähnliche übelriechende Blätter, lange einfache Stengel und eine runde Frucht, welche, reichlich genossen die Zeugung vernichtet. Grün zu Saft verarbeitet und eingeträufelt, ist sie ein gutes Mittel gegen Ohrenleiden.“ (Dioskurides 1902)
Abb. 2 Die erste bekannte Abbildung von Cannabis (aus: Codex vindobonensis des Dioskurides [512 n. Chr.])
Nebst Dioskurides erwähnt auch einer der berühmtesten Ärzte der Antike überhaupt, Galen, Hanf in zwei seiner zahlreichen Schriften. Neben blähungswidrigen und aphrodisischen Wirkungen schreibt er, dass ein zu häufiger Gebrauch der Körner zu Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und schließlich zu Impotenz führe. Den grünen Saft der Samen empfiehlt er gegen Ohrenschmerzen. Trotz einiger konkreter Hinweise auf die betäubende Wirkung der Pflanze, unter anderem auch von Galen, ist dessen Bedeutung als Rauschmittel im Gegensatz zum Opium als klein einzustufen. Nicht zuletzt deshalb, weil in dieser Zeit vom Hanf fast ausschließlich die nicht betäubend wirkenden Samen und nicht das Kraut als Arznei verwendet wurden.
Mit dem Zerfall des alten Römischen Weltreichs begann gleichzeitig das Aufblühen von Byzanz und, damit verbunden, die Überlieferung der klassisch-antiken Medizinkonzepte in die arabische Welt.
2.3 Haschisch in der arabischen Welt
Die Rezeption der antiken Medizin in der arabisch-islamischen Welt fand im 10. Jahrhundert ihren eigentlichen Höhepunkt. Die großen Autoren der Antike waren ins Arabische übersetzt worden, das medizinische Wissen in den arabisch-islamischen Sprach- und Kulturraum übernommen und durch eigene wie auch Einflüsse anderer Kulturen (z.B. aus Indien) ergänzt. Bezüglich Hanf waren die Verhältnisse ganz anders als in der Antike. Nicht wie dort das Opium, sondern Haschisch (bedeutet in arabischer ursprünglich „dürres Kraut“; das „Haschischat al-foqarâ“ wird als das Kraut der Armen bezeichnet) (Gelpke 1975) hatte die größere Bedeutung als Medizinal- und Rauschpflanze. Zahlreiche angesehene Ärzte gehen auf die medizinische Verwendung von Cannabis ein, so auch Avicenna, der Übervater der arabischen Medizin. Er erwähnt die Pflanze in seiner etwa um 1.000 v. Chr. entstandenen Schrift „Canon medicinae“. Diese