Franjo Grotenhermen

Cannabis und Cannabinoide


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in Europa waren es auch in den Vereinigten Staaten vorerst Künstlerkreise, die dem Haschisch zu großer Popularität verhalfen. Aber bereits im Jahr 1860 verfasste das Medizinische Komitee des Bundesstaates Ohio einen detaillierten Bericht über die Verwendung von Cannabispräparaten in den USA. Viele der erwähnten Ärzte übernahmen die bekannten Indikationen aus Europa, daneben experimentieren einige mit vorerst neuen Anwendungsgebieten wie Asthma und Bronchitis.

       2.7 Der Aufschwung hält an

      Dass die meisten europäischen Länder wie auch die USA den indischen Hanf in ihre Landespharmakopöen aufnahmen, verdeutlicht den Stellenwert, der diesem Heilmittel mittlerweile eingeräumt wurde. Aus praktisch allen westlichen Ländern folgten wissenschaftliche Arbeiten über Cannabis. Nach wie vor waren es vor allem Frankreich, England und die USA, die viel dafür taten, diesem Heilmittel in der westlichen Medizin endgültig zum Durchbruch zu verhelfen. Aber auch in Deutschland wurde die Erforschung des indischen Hanfes vorangetrieben. Eine umfangreiche, oft zitierte Arbeit dieser Zeit ist diejenige von Bernhard Fronmüller aus dem Jahr 1869. Dieser hatte sich schon seit längerer Zeit mit den Eigenschaften der Hanfpflanze beschäftigt. Seine Cannabisversuche im Rahmen der „Klinischen Studien über die schlafmachende Wirkung der narkotischen Arzneimittel“ führte er mit exakt tausend Probanden durch, die bedingt durch verschiedenste Ursachen an Schlafstörungen litten. Die erzielten Resultate waren im Großen und Ganzen sehr zufriedenstellend.

       2.8 1880 bis 1900: der Höhepunkt

      Diese Zeitspanne kann als Höhepunkt sowohl der damaligen Cannabisforschung als auch der Verwendung der Hanfpräparate bezeichnet werden. In Europa war es insbesondere das Verdienst der Firma E. Merck in Darmstadt, dass Cannabispräparate gegen Ende des 19. Jahrhunderts vermehrt verfügbar waren und verwendet wurden. Aber auch die Firmen Bourroughs, Wellcome & Co.. in England stellten solche Präparate her. In den Vereinigten Staaten waren es Squibb, dann vor allem Parke-Davis & Co. und später auch Eli Lilly & Co., die diese Rolle übernahmen. Dank diesen (und einigen anderen) Unternehmen standen qualitativ hochwertige Rohstoffe und mehrere Fertigpräparate zur Verfügung (vgl. Abb. 4).

      Abb. 4 Typische Aufbewahrungsgefäße für Cannabis um 1900 (Foto: M. Fankhauser)

      Um die Jahrhundertwende waren Cannabispräparate in der westlichen Schulmedizin bei folgenden Indikationen beliebt: Schmerzzustände (vor allem Migräne- und Menstruationskrämpfe), Keuchhusten, Asthma. Zudem wurden sie als Schlaf- und Beruhigungsmittel eingesetzt. Zusätzlich war Haschisch relativ häufig als Zusatz in Hühneraugenmitteln zu finden. Folgende Beschwerden wurden auch, aber seltener, mit Hanf therapiert: Magenschmerzen und -verstimmungen, Depressionen, Durchfall, Appetitlosigkeit, Juckreiz, Gebärmutterblutungen, Morbus Basedow und Wechselfieber. Es ist bezeichnend, dass sich Ärzte, die sich intensiv und vielfach über Jahre mit dem Arzneimittel Cannabis beschäftigten, dieses meist als wertvolles Medikament einstuften. Andere lehnten es ab, hielten es oft für wertlos oder gar gefährlich.

      Einen außerordentlich wichtigen wissenschaftlichen Beitrag zur Cannabisforschung gegen Ende des 19. Jahrhunderts lieferte der sogenannte „Indian Hemp Report“ von 1894. In dieser von England in seiner Kolonie durchgeführten Erhebung ging es hauptsächlich darum, die Gewinnung von Drogen aus Cannabis, den Handel mit demselben und dessen Auswirkungen auf die Gesamtbevölkerung zu untersuchen. Zudem sollte abgeklärt werden, ob sich ein allfälliges Verbot dieser Präparate rechtfertige. Zu diesem Zweck wurde eine Expertenkommission gegründet, deren Bericht den Stellenwert des Rausch- und Heilmittels Cannabis in Indien gegen Ende des 19. Jahrhunderts wiedergibt. Im Wesentlichen kommt die Kommission zu dem Schluss:

       „Aufgrund der Auswirkungen der Hanfdrogen scheint es der Kommission nicht erforderlich, den Anbau von Hanf, die Herstellung von Hanfdrogen und deren Vertrieb zu verbieten.“ (Leonhardt 1970)

      Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienen vermehrt chemisch orientierte Arbeiten über Cannabis. Man war bestrebt, das Geheimnis des „aktiven Prinzips“ dieser Pflanze zu lüften. Im Weiteren war das Standardisieren der Cannabispräparate ein großes Thema. Da man die Medikamente nicht genau auf einen bestimmten (noch nicht bekannten) Wirkstoff einstellten konnte, beklagten sich immer wieder Ärzte mit deren unzuverlässigen Wirksamkeit. Ein ebenfalls oft diskutiertes Thema war die Wirksamkeit von einheimischem Hanf. Überhaupt begann man nach dem ersten Weltkrieg Cannabis sativa wieder vermehrt zu berücksichtigen, weil indischer Hanf in Europa praktisch nicht mehr erhältlich war.

       2.9 Das Ende naht

      Nachdem die Cannabispräparate um die Jahrhundertwende noch rege benutzt wurden, verschwanden sie gegen Mitte des 20. Jahrhunderts vollständig. Dies waren die Gründe:

       2.9.1 Medizinisch-pharmazeutischer Fortschritt

      Für alle Hauptanwendungsgebiete der Cannabispräparate wurden noch vor Beginn des 20. Jahrhunderts neue spezifische Arzneimittel eingeführt. Zur Behandlung der Infektionskrankheiten (Cholera, Tetanus, etc.) wurden Impfstoffe entwickelt, die nicht nur wie Cannabis die Symptomatik bekämpften, sondern sogar Schutz vor Infektionen boten. Andere bakterielle Erkrankungen wie die Gonorrhoe, die häufig mit Cannabis therapiert wurden, konnten etwas später durch das Aufkommen der Chemotherapeutika (bereits 1910 wurde das von Paul Ehrlich entdeckte Salvarsan in die Therapie eingeführt) therapiert werden. Auch als Schlaf- und Beruhigungsmittel bekam Haschisch Konkurrenz in Form chemischer Substanzen wie Chloralhydrat, Paraldehyd, Sulfonal und insbesondere der populären Barbiturate. Anders als die Vielzahl von Opiatmedikamenten wurden die Cannabispräparate auch als Analgetika bald von chemischen Mitteln verdrängt. Große Bedeutung erlangten schon kurz nach der Einführung das Antipyrin und das Aspirin.

       2.9.2 Pharmazeutische Instabilität

      Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die unterschiedliche Wirksamkeit der Cannabispräparate auffiel. Verschiedenste Faktoren wie Provenienz, Alter, Lagerung und Galenik der Droge waren dafür verantwortlich, dass das Arzneimittel hochwirksam war oder unwirksam blieb. Anders als bei Alkaloid-Drogen wie dem Opium gelang die Isolierung des Tetrahydrocannabinols (THC) in reiner Form erst 1964, damit verbunden gab es zuvor Standardisierungsprobleme.

       2.9.3 Wirtschaftliche Aspekte

      Durch Einschränkungen in den Produktionsländern (vor allem Indien) und bedingt durch den ersten, dann aber auch noch am Rande durch den zweiten Weltkrieg, wurde es immer schwieriger, hochwertigen indischen Hanf nach Europa zu importieren. Auch für die Droge Cannabis galt das Gesetz von Angebot und Nachfrage, sodass die Preise sowohl der Rohprodukte als auch der Präparate massiv stiegen.

       2.9.4 Rechtliche Einschränkungen

      Durch die immer restriktiveren länderspezifischen und internationalen Gesetzgebungen wurde die Verwendung der Cannabismedikamente immer stärker eingeschränkt. Früher oder später wurden sämtliche Haschischpräparate der Betäubungsmittelpflicht unterstellt, was deren Anwendung in der Praxis massiv erschwerte, bis schlussendlich ein generelles Verbot die Verwendung verunmöglichte.

       2.10 Das Comeback

      Nachdem Cannabis allmählich der Betäubungsmittelpflicht unterstellt wurde, kam 1961 das eigentliche Ende der medizinischen Karriere von Cannabis. Im Jahr 1958 war die medizinische Verwendung von Cannabis weltweit noch in 26 Ländern der UNO gestattet. Das sogenannte Einheits-Übereinkommen (Convention on Narcotic Drugs) führte nun de facto zu einem kompletten Verbot von Cannabis. Dies galt auch für die medizinische Anwendung, mit Ausnahme der wissenschaftlichen Forschung. Diese Ausnahmeregelung sollte sich noch als sehr wertvoll erweisen, denn