Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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liebte eigentlich lebhafte, temperamentvolle Frauen, die wußten, was sie wollten. Aber es nützte nichts. Anziehend wirkte er immer auf die anderen. Bis heute war Martin Sommer Junggeselle.

      Nun schrieb er: Ich werde zwei Wochen in Berlin verbringen und wollte Dich fragen, ob Du mich aufnehmen kannst. Wenn das zu viele Umstände macht (ich habe dafür jedes Verständnis), dann weißt Du vielleicht ein nettes Hotel oder eine kleine Pension in Deiner Nähe? Denn in jedem Fall hoffe ich sehr darauf, daß wir uns sehen können. Wir haben so viele gemeinsame Erinnerungen, daß ich es schade fände, wenn wir nicht einige davon ausgraben würden. Den genauen Tag meiner Ankunft kann ich Dir noch nicht mitteilen – aber es wird schon bald sein. Ich vertraue einfach darauf, daß Du zu Hause bist, wenn ich aufkreuze. Wenn nicht, wird mich das auch nicht umwerfen, Du kennst mich ja. Also, hoffentlich bis bald!

      Adrian freute sich. Das war eine wirklich angenehme Nachricht. Natürlich konnte Martin bei ihm wohnen. Seine Wohnung war zwar nicht so luxuriös groß wie die seiner Nachbarin, aber doch groß genug, um einen Freund eine Zeitlang zu beherbergen.

      Kaum war ihm Frau Senftleben eingefallen, als er auch schon, mit dem Brief in der Hand, seine Wohnung verließ und bei ihr klingelte. Er mußte nicht lange warten, bis sie ihm öffnete. Ihre grauen Haare waren klatschnaß, und sie hatte sich ein Handtuch um den Kopf geschlungen.

      »Frau Senftleben!« rief Adrian. »Ich wollte Sie nicht beim Haarewaschen stören.«

      »Sie wundern sich wohl, was?« fragte seine Nachbarin lächelnd. »Immerhin kennen Sie meine Gewohnheiten ja ganz gut. Also, ich habe versucht, mir eine blaue Tönung zu machen, aber ich fürchte, es ist schrecklich schiefgegangen. Kommen Sie bitte herein.«

      Er folgte ihr ins Bad und sagte sachkundig: »Lassen Sie mal sehen!«

      Sie ließ das Handtuch sinken und sah ihn dann aus ihren blauen Augen erwartungsvoll an. Carola Senftleben ging auf die siebzig zu, was ihr niemand geglaubt hätte, der das zum ersten Mal hörte.

      »Sehr blau!« stellte Adrian kopfschüttelnd fest. »Ihre Haare haben von Natur aus ein ausgesprochen schönes Grau. Können Sie mir mal erklären, warum Sie das auf einmal ändern wollen?«

      »Ein bißchen Abwechslung hat noch niemanden geschadet!« erklärte sie. »Und ich habe neulich wieder so eine Frau mit Silberhaar gesehen, das einen leichten Blauschimmer hatte – sehr elegant. Da habe ich beschlossen, das für mich auch mal zu versuchen. Kann ich mich so sehen lassen, oder muß ich zum Friseur?«

      »Wie lange hält sich das denn?« fragte Adrian stirnrunzelnd.

      »Ach, ich glaube, das wäscht sich mit der Zeit wieder raus«, behauptete Frau Senftleben achtlos. »Und so wichtig ist es ja auch nicht. Was ist das für ein Brief, den Sie da haben? Wollen Sie ihn mir vorlesen, oder was haben Sie damit vor?«

      Das brachte Adrian in Erinnerung, warum er eigentlich bei ihr geklingelt hatte. »Ich bekomme Besuch von einem guten alten Freund«, erzählte er. »Wollen Sie uns nicht einen Abend Gesellschaft leisten, Frau Senftleben? Martin ist ein ausgesprochen netter Mann, und ich glaube, Sie würden sich gut mit ihm verstehen.«

      »Eine richtige Einladung?« staunte seine Nachbarin.

      »Ja«, lachte Adrian. »Ich habe Angst, daß unsere Beziehung sonst etwas einseitig wird.«

      Nun lachte auch Frau Senftleben. Sie war eine leidenschaftliche Köchin und hatte es sich angewöhnt, ihren jungen Nachbarn, der so viel arbeitete, oft zum Essen einzuladen – was sich Adrian nur allzu gern gefallen ließ, zumal sie bei aller nachbarschaftlichen Freundschaft stets sehr zurückhaltend blieb. Niemals hätte sie sich ungefragt in seine Angelegenheiten gemischt.

      »Wo wir schon mal dabei sind«, sagte sie vergnügt, »ich habe Rouladen gemacht, gestern schon, aber da war ich ja in der Oper und habe vorher auswärts gegessen. Haben Sie Lust, heute mit mir zu speisen?«

      »Mit Vergnügen, Frau Senftleben«, antwortete Adrian. »Ich habe übrigens noch eine Neuigkeit für Sie.«

      »Na?« fragte sie. »Welche denn?«

      »Ab morgen arbeite ich für vier Wochen auf der Isolierstation«, antwortete Adrian. »Was sagen Sie nun?«

      »Großartig!« erklärte Frau Senftleben im Brustton der Überzeugung. »Es ist gut, wenn Sie mal etwas anderes erleben als immer Ihre Notaufnahme. Sie werden sehen, Adrian, das gibt Ihnen wirklich jede Menge neuen Schwung.«

      Sie ging in die Küche. »Kommen Sie mit!« kommandierte sie. »Bis das Essen soweit ist, trinken wir ein Glas Wein auf all die Neuigkeiten. Sie können schon mal die Flasche aufmachen.«

      Das ließ sich Adrian nicht zweimal sagen, und gleich darauf saßen sie einander gegenüber und hoben ihre Gläser.

      »Wann kommt Ihr Freund denn?« erkundigte sich Frau Senftleben.

      »Keine Ahnung«, antwortete Adrian. »Bei solchen Terminen ist er nicht besonders präzise. ›Bald‹ hat er geschrieben. Wenn er sich nicht völlig verändert hat, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe, dann würde ich meinen, das bedeutet heute oder morgen.«

      Seine Nachbarin lachte vergnügt und hob ihr Glas. »Auf Ihren Besuch, Adrian!« sagte sie herzlich.

      *

      »Ich hab so ganz komische Flecken«, murmelte Inga am Morgen ihrer Abreise und hielt sich krampfhaft am Waschbeckenrand fest. »Ich glaub, ich hab auch Fieber, Holger.«

      Sie sah wirklich nicht gut aus, das mußte Holger zugeben. Die Nacht war ziemlich unerfreulich gewesen, sie hatten beide schlecht geschlafen. Inga hatte laut gestöhnt und sich hin und her gewälzt – mehrmals hatte sie ihn dadurch aufgeweckt. »Aber du kannst doch fliegen, oder?« erkundigte er sich stirnrunzelnd. Alles andere, dachte er, wäre eine Katastrophe gewesen. Der Urlaub hatte einen Haufen Geld gekostet, er durfte gar nicht daran denken, was es bedeuten würde, wenn sie vielleicht noch ein paar Tage anhängen mußten. Und vielleicht auch noch Arztkosten und jede Menge Ärger und Umstände…

      »Klar kann ich fliegen«, behauptete Inga mit müder Stimme, obwohl sie keineswegs davon überzeugt war, daß sie das konnte. »Ich muß mich ja wirklich nur ins Flugzeug setzen, das ist alles, und das werd ich schon noch schaffen.«

      Er atmete erst einmal auf. Und weil er so erleichtert war, zeigte er sich ungewöhnlich fürsorglich. »Bleib im Zimmer, bis ich unten alles erledigt habe«, meinte er. »Und die Koffer kann ich auch allein zu Ende packen. Du kannst dich ja noch ein bißchen auf dem Bett ausstrecken, wir haben noch fast zwei Stunden Zeit, bis der Bus zum Flughafen kommt.«

      Inga nickte dankbar, ging zurück zum Bett und legte sich wieder hin. Ihr war richtig schwindelig, und ihr Nacken fühlte sich ganz steif an. So schlecht hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Wenn sie nur erst wieder zu Hause in Berlin wären! Allein der Gedanke daran, daß sie stundenlang in einem Flugzeug sitzen mußte, auf einem dieser schrecklichen engen Sitze, ließ sie bereits schaudern.

      Außerdem hatte sie auch immer besonderes Glück mit ihren Sitznachbarn. Auf der einen Seite würde natürlich Holger sitzen – aber auf dem Hinflug hatte auf ihrer anderen Seite ein Mann gesessen, der eigentlich zwei Sitze benötigt hätte.

      Sie stöhnte leise. Warum mußte sie jetzt ausgerechnet daran denken? Das verbesserte ihr Befinden auch nicht gerade. Wie gut, daß Holger das mit dem Bezahlen übernahm. Sie hätte jetzt ganz bestimmt nicht an der Rezeption stehen und noch lange warten können.

      Ihre Gedanken wurden unscharf und verworren, sie hatte das Gefühl, daß es ihr nicht mehr gelang, sie richtig auseinanderzuhalten. Sie wußte nicht einmal mehr, worüber sie gerade eben noch nachgedacht hatte. Sekunden später war sie eingeschlafen.

      *

      Als Adrian auf der Isolierstation eintraf, erwartete ihn eine Überraschung. Schwester Claudia begrüßte ihn mit ihrem üblichen zurückhaltenden Lächeln und sagte: »Willkommen auf der Isolierstation, Herr Dr. Winter.«

      »Schwester Claudia!« erwiderte er erstaunt. Sie arbeiteten oft in der Notaufnahme zusammen, und er schätzte die junge Frau