Stewardeß sah Inga prüfend an und murmelte: »Das gefällt mir gar nicht. Entschuldigung, wie heißt sie?«
»Inga Matthäus«, murmelte Holger.
Sanft berührte die Frau Ingas Arm und fragte: »Hallo, Frau Matthäus, hören Sie mich?«
Inga öffnete die Augen und sah die Frau mit glasigem Blick an. Sie öffnete den Mund, brachte aber kein Wort heraus. Dann fielen ihr die Augen wieder zu, und ihr Kopf sank zur Seite. Die Stewardeß legte ihr eine Hand auf die Stirn und rief erschrocken aus: »Mein Gott, sie glüht ja förmlich! Aber sie muß doch schon vor dem Abflug krank gewesen sein. Waren Sie denn nicht mit ihr beim Arzt?«
Es gefiel Holger nicht, wie sich das Gespräch entwickelte, und so antwortete er abweisend: »Nein, ich sagte doch schon, daß es ihr nicht gut ging, aber so schlimm war es nun auch wieder nicht. Außerdem wollten wir auf jeden Fall zurückfliegen.«
Die Stewardeß warf ihm einen langen Blick zu, dann richtete sie sich auf und sagte ruhig: »Ich werde nachfragen, ob ein Arzt an Bord ist. Ihre Frau muß dringend untersucht werden. Ich werde auch den Kapitän benachrichtigen. Wenn wir landen, muß sie sofort in ein Krankenhaus.«
Holger konnte nicht antworten, denn er hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Was für ein schreckliches Urlaubsende! Daß Inga ihm das antat, würde er ihr niemals verzeihen. Im nächsten Augenblick schämte er sich für diesen Gedanken, denn sie war ja nicht absichtlich krank geworden. Das konnte schließlich jedem passieren.
Dann fiel ihm jedoch wieder diese Entwicklungshelferin ein, und er dachte erneut, daß es besser gewesen wäre, wenn Inga sich von ihr ferngehalten hätte. Aber sie hatte ja nicht auf ihn hören wollen!
In diesem Augenblick erklang die Stimme des Kapitäns, der sich in mehreren Sprachen an die Passagiere wandte. »Meine Damen und Herren, ich bitte für einen Moment um Ihre Aufmerksamkeit. Wir haben eine kranke Frau an Bord, um die wir uns Sorgen machen. Sie hat hohes Fieber und eine Art Ausschlag. Wenn sich ein Arzt oder eine Ärztin an Bord befindet, dann melden Sie sich bitte bei uns. Wir wären sehr froh, wenn uns jemand helfen könnte.«
Holger biß sich auf die Lippen. Die Passagiere, die in seiner und Ingas Nähe saßen, hatten natürlich mittlerweile alle mitbekommen, was los war, und drehten sich ständig nach ihnen um. Einige stellten mitleidige Fragen, andere steckten die Köpfe zusammen und tuschelten miteinander. Am liebsten wäre er in den Boden versunken. Er erregte ja gern Aufmerksamkeit, aber doch nicht auf diese Weise!
Die Stewardeß kam mit einem noch recht jungen braungebrannten Mann zurück, der sich Holger mit den Worten vorstellte: »Dr. Remmers, guten Tag. Ich bin Kieferchirurg – leider, hätte ich fast gesagt, denn Sie hätten sicher eher einen Internisten oder praktischen Arzt gebraucht. Aber ich sehe mal, was ich tun kann.«
»Weinmann«, murmelte Holger. »Das ist meine Freundin Inga Matthäus – es geht ihr mittlerweile ziemlich schlecht.«
Der gutaussehende junge Dr. Remmers warf einen Blick auf Inga und pfiff leise durch die Zähne. »Du liebe Zeit«, sagte er. »Ist sie allergisch gegen irgendwas? Das sieht ja übel aus.«
»Ich weiß nicht«, antwortete Holger unsicher.
»Zuerst muß sie hier weg, wir müssen sie hinlegen«, stellte Dr. Remmers fest und sah die Stewardeß fragend an. »Ist das möglich?«
Sie nickte. »Wir sind nicht ganz ausgebucht, ich habe mich schon erkundigt. Vorn in der Busineß-Class können wir sie hinlegen.«
»Dann tun wir das als erstes«, sagte Dr. Remmers.
Holger und er schafften es irgendwie, Inga von ihrem Sitz zu heben und im vorderen Teil des Flugzeugs hinzulegen, wo die Stewardeß bereits alles vorbereitet hatte. Holger blickte sich vorsichtig um, ob ihn auch kein Unbefugter hören konnte, dann sagte er leise: »Sie war öfter mit einer Entwicklungshelferin zusammen, die zuletzt in Äthiopien gearbeitet hat. Halten Sie es für möglich, daß sie eine Krankheit mitgebracht hat von da, mit der sie Inga angesteckt haben könnte?«
Der Arzt starrte ihn an. »Wieso sagen Sie das erst jetzt, Mann? Sicher ist das möglich. Wann hat sie diese Frau kennengelernt?«
»Vor drei Wochen«, antwortete Holger. »Praktisch gleich nach unserer Ankunft.«
»Vor drei Wochen«, murmelte Dr. Remmers. Er beugte sich über Inga und sah sich die Flecken und Pusteln auf ihrem Gesicht genau an. Vorsichtig berührte er ihre Schläfe und erschrak ebenso wie die Stewardeß zuvor. »Sie hat sehr hohes Fieber«, sagte er nachdenklich. »Seit wann ist sie in diesem Zustand?«
Holger antwortete ausweichend, aber er vermied es, direkt zu lügen. Er beschönigte lediglich ein wenig, um sich nicht erneut dem Vorwurf auszusetzen, er habe es versäumt, noch in Südafrika einen Arzt zu konsultieren.
Dr. Remmers untersuchte Inga und murmelte dann: »Äthiopien! Ich will ja nichts voreilig behaupten, aber so wie Ihre Freundin aussieht…« Er unterbrach sich hastig und blickte sich um.
»Was meinen Sie?« fragte Holger. »Was kann sie denn haben?«
Der Arzt senkte die Stimme und murmelte: »Ich finde, sie sieht aus, als hätte sie die Pocken.«
»Was?« fuhr Holger auf, aber der Arzt unterbrach ihn sofort.
»Nun seien Sie bloß still!« knurrte er ihn an. »Wenn es wirklich so ist, dann ist hier ganz schnell die Hölle los, das kann ich Ihnen sagen. Dann wird hier ein Zirkus veranstaltet, den Sie in Ihrem Leben noch nicht kennengelernt haben. Aber ich glaube es ja auch nicht wirklich, daß sie die Pocken hat, denn offiziell sind sie ausgestorben. Das heißt natürlich nicht, daß sie nicht doch noch vereinzelt irgendwo auftreten können, aber es wäre ziemlich unwahrscheinlich. Trotzdem muß Ihre Freundin sofort vom Flughafen aus in ein Krankenhaus gebracht und dort isoliert werden, bis man sicher weiß, was sie hat.«
Er wandte sich an die Stewardeß und gab ihr mit leiser Stimme Anweisungen, während Holger fassungslos in einen der Sitze sank. Die Pocken! Es sei nicht wahrscheinlich, hatte der Arzt gesagt, aber völlig unmöglich war es offenbar auch nicht.
Und er hatte Inga auch noch angefaßt! Panik erfaßte ihn, am liebsten hätte er laut aufgeschrien.
*
»Herr Dr. Winter?« Schwester Claudia kam mit allen Anzeichen der Erregung angelaufen. »Es kam gerade ein Anruf vom Flughafen – eine Frau, die aus Südafrika kommt, ist offenbar schon schwerkrank an Bord gegangen. Niemand weiß genau, warum sie vorher nicht behandelt worden ist. Sie hat sehr hohes Fieber und ist bedeckt mit Pusteln und Flecken. Ansprechbar ist sie gar nicht, völlig benommen und apathisch.«
»Hat jemand sie untersucht?« fragte Adrian.
Schwester Claudia nickte. »Ja, an Bord war ein Kieferchirurg. Und jetzt kommts: Angeblich war von Pocken die Rede.«
»Wie bitte?« Adrian starrte die junge Frau an. »Pocken gibts nicht mehr, die Pockenimpfung wird bei uns schon seit den siebziger Jahren nicht mehr durchgeführt.«
»Ja, ich weiß«, erklärte Schwester Claudia. »Aber die Frau hat sich offenbar mit einer Entwicklungshelferin angefreundet, die unter anderem in Äthiopien war. Und deshalb…«
»Wissen Sie denn, was das bedeutet?« fragte Adrian. »Hat der Arzt veranlaßt, daß alle Passagiere in Quarantäne kommen? Ist Pockenalarm ausgelöst worden?«
Schwester Claudia schüttelte den Kopf. »Nein, nichts dergleichen. Ich nehme an, er hat vielleicht gesagt, das sieht so aus wie Pocken – aber er weiß natürlich auch, daß es die Krankheit nicht mehr gibt. Die Verbindung war ziemlich schlecht.«
»Das ist aber merkwürdig«, meinte Adrian. »Sie wissen nicht zufällig, welches Alter der Arzt hat?«
»Nein«, antwortete sie mit allen Anzeichen der Verwunderung.
Er bemerkte es und erklärte: »Ich selbst habe Pocken nicht mehr gesehen – einfach weil es die Krankheit nicht mehr gibt. Wenn es ein jüngerer Arzt ist, dann wird es ihm so gehen wie mir. Wenn man eine Krankheit noch nie gesehen hat, dann ist es