Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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wußte, daß sie alles, was sie tat, äußerst gründlich machte. Noch nie hatte es einen Grund gegeben, über sie zu klagen.

      Sie wirkte oft ein wenig distanziert, weil sie sich an Scherzen oder Späßen nur selten beteiligte, was aber nicht hieß, daß sie keinen Spaß verstand. Es war nur einfach so, daß sie ein eher ernster Typ war. Sein Stamm-Team in der Notaufnahme hatte sich daran gewöhnt, und alle arbeiteten gern mit Schwester Claudia zusammen, weil sie hundertprozentig zuverlässig war.

      »Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie hier zu sehen«, erklärte er seine Überraschung.

      »Aber ich hatte mit Ihnen gerechnet«, erwiderte sie und präzisierte dann: »Ich wußte, daß Sie für vier Wochen hier auf der Station sein würden, und ich habe gefragt, ob es möglich sei, in dieser Zeit mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ich lerne gern noch etwas dazu, und auf der Isolierstation bin ich bisher erst einmal ganz kurz gewesen.«

      Er streckte ihr spontan die Hand entgegen und sagte: »Auf gute Zusammenarbeit, Schwester Claudia.«

      »Wie bisher, oder?« fragte sie schüchtern.

      »Wie bisher!« bestätigte er, und sie errötete, was ihr sehr gut stand. Sie war eine unauffällige Frau, auch äußerlich, aber auf den zweiten Blick stellte man fest, daß sie hübsch aussah mit ihren dunkelblonden Haaren und den grauen Augen. Sie war keine Schönheit, aber ihr Äußeres war genauso angenehm wie ihre Art zu arbeiten.

      »Dann weisen Sie mich mal ein, Claudia«, bat Adrian. »Ich nehme an, Sie wissen schon Bescheid, wie es hier läuft?«

      Sie nickte. »Ich bin seit zwei Tagen hier. Bitte folgen Sie mir, die anderen Kollegen warten schon auf Sie.«

      Das tat Adrian, und erstaunt stellte er fest, daß er sich fühlte, als trete er eine Stelle an einem neuen Krankenhaus an. Er war aufgeregt und fast ein bißchen nervös, aber vor allem freute er sich auf die unbekannten Aufgaben, die vor ihm lagen.

      *

      Allmählich fing Holger doch an, sich Sorgen zu machen. Die Mitreisenden im Bus, der sie zum Flughafen bringen sollte, warfen Inga und ihm hin und wieder verstohlene Blicke zu, das entging ihm nicht. Sie hatte mittlerweile das ganze Gesicht voller Flecken und döste vor sich hin. Er hatte Mühe genug gehabt, sie zu wecken und anschließend aus dem Zimmer zu führen. In den Bus war sie schließlich nur gelangt, weil ihm ein Hotelangestellter dabei geholfen hatte, sie praktisch hineinzuheben. Der Mann hatte ein paar Bemerkungen vor sich hin gemurmelt, aus denen Holger geschlossen hatte, daß er Inga für betrunken hielt.

      Das war zwar peinlich genug, aber er hatte dem Mann lieber nicht widersprochen. Schlimmer wäre es, fand er, wenn sich die Fluggesellschaft weigern würde, sie mitzunehmen, weil irgend jemand sah, daß sie krank war und nicht etwa einen Kater hatte. Er konnte sich zwar nicht erklären, was für eine Krankheit das sein konnte, aber wenn man Inga genauer betrachtete, konnte man ohne weiteres auf die Idee kommen, daß sie transportunfähig sei.

      Darüber wollte er lieber überhaupt nicht nachdenken, denn sie konnten es sich nicht leisten, noch länger in Südafrika zu bleiben. Und so schön es hier auch gewesen war, er wollte jetzt zurück nach Hause – nein, verbesserte er sich in Gedanken: Er mußte nach Hause. Er hatte mit Freunden zusammen eine Bar eröffnet, und sie erwarteten ihn pünktlich zurück, er konnte sie auf keinen Fall im Stich lassen.

      Er streifte Inga mit einem kurzen Blick. Sie schien zu schlafen, jedenfalls hielt sie die Augen geschlossen. Das war vielleicht auch besser so, denn wenn sie begann zu sprechen, dann klang das nicht sehr verständlich. Er fragte sich, wie er einchecken sollte – aber mit diesem Problem würde er sich auseinandersetzen, wenn es soweit war. Vielleicht half ihm ja jemand. Er konnte es nur hoffen.

      Er sah aus dem Fenster. Das Ende des Urlaubs war gar nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Und vielleicht hatte Inga sich wirklich bei dieser Ulrike Monheim eine Krankheit eingehandelt. Was die alles über ihre Arbeit in irgendwelchen Slums erzählt hatte, war schrecklich gewesen. Er hatte von Anfang an nicht verstanden, was Inga daran so interessant gefunden hatte.

      Er schauderte allein bei der Erinnerung, und dann fiel ihm ein, daß über Inga auch er sich angesteckt haben könnte. Dieser Gedanke war für ihn so schrecklich, daß er ihn die ganze restliche Fahrt über beschäftigte.

      *

      »Ist Tante Inga jetzt schon in der Luft?« erkundigte sich Kitty.

      »Noch nicht, aber bald«, antwortete Lolly nach einem Blick auf die Uhr.

      »Ich will auch mal so ne weite Reise machen«, verkündete Kai. »Oder noch weiter. Zehntausend Kilometer weit.«

      »Du kannst nach Australien reisen, weiter nicht«, sagte Kitty herablassend. »Das liegt von hier aus genau auf der anderen Seite. Da stehen alle Leute auf dem Kopf, und sie müssen ständig Angst haben, daß sie von der Erde herunterfallen.« Sie kicherte über ihren Witz.

      »Kitty, Kitty!« seufzte ihre Mutter. »Was du alles erzählst, wenn der Tag lang ist!«

      »Glaubst du etwa«, fragte Kai seine Mutter empört, »ich fall auf so nen Quatsch rein?«

      »Das ist kein Quatsch, das war ein Witz!« verteidigte sich jetzt Kitty. »Aber wir dürfen ganz bestimmt mit zum Flughafen, um Tante Inga abzuholen, Mami? Auch wenn das Flugzeug etwas Verspätung hat?«

      »Ja, das dürft ihr. Aber wie oft willst du mir diese Frage eigentlich noch stellen? Ich habe sie dir mindestens schon zehnmal beantwortet! Ich frage mich manchmal, wieso ich eigentlich solche Nervensägen als Kinder habe!« Lolly lächelte liebevoll, als sie das sagte.

      »Wahrscheinlich warst du auch eine«, erwiderte Kai altklug. »Außerdem war ich gar keine Nervensäge. Ich habe keine einzige Frage gestellt.«

      »Diesmal nicht, aber sonst bist du in dieser Hinsicht kein bißchen besser als deine Schwester, Kai. Versuch bloß nicht, den Unschuldsengel zu spielen.«

      »Undschuldsengel, Unschuldsengel«, sang Kitty und hüpfte um ihren Bruder herum. »Mein Bruder ist ein Unschuldsengel.«

      »Kitty, es reicht!« Diesmal klang Lollys Stimme strenger, und Kitty erkannte die Zeichen der Zeit und setzte sich brav wieder an den Tisch. Aber Ruhe gab sie immer noch nicht. »Warten ist langweilig«, murrte sie. »Ich wünschte mir, Tante Inga wär schon da. Hoffentlich hat sie uns was mitgebracht.«

      »Klar hat sie«, sagte Kai. »Das hat sie versprochen, und was sie verspricht, das hält sie auch.«

      »Ihr könnt mir ein bißchen im Garten helfen«, schlug Lolly vor. »Es ist schönes Wetter, und wenn wir uns ranhalten, können wir eine Menge schaffen.«

      »Ooch, Garten«, meinte Kitty. »Unkraut ausrupffen?«

      »Und Rasenmähen«, sagte Lolly listig. Den rasanten Rasenmäher, den Burkhard gegen ihren Willen angeschafft hatte, liebten die Kinder. Man konnte auf ihm sitzen und bequem hin und her fahren, während er seine Arbeit erledigte. Für die Kinder war er so etwas wie ein Mini-Auto. Burkhard und sie hatten den Gebrauch streng eingeschränkt. Aber heute war vielleicht eine gute Gelegenheit, die Zwillinge damit ein bißchen zur Ruhe zu bringen.

      »Und wir dürfen wirklich Rasen mähen? Ganz allein?«

      »Ganz allein nicht, ich bin ja dabei. Also los, zieht euch alte Sachen an, und dann gehen wir raus.«

      Aufgeregt diskutierend, wer zuerst auf dem Rasenmäher fahren durfte, verschwanden die beiden, und Lolly atmete auf. Zumindest die nächste Stunde würden Kai und Kitty beschäftigt sein, und sie hatte etwas Ruhe.

      *

      »Geht es Ihrer Frau nicht gut?« fragte die Stewardeß besorgt.

      »Ich glaube, sie wird krank«, antwortete Holger. »Ihr war vorher schon elend, aber wir haben nicht damit gerechnet, daß es so schlimm werden würde. Sie ist auch ziemlich heiß, wahrscheinlich hat sie Fieber.«

      Er hatte mittlerweile wirklich Angst bekommen. Es war jetzt unübersehbar, daß Inga krank war. Sie war mit roten Flecken und auch Pusteln übersät – nicht nur im Gesicht,