der Bauernhof… das ist meine Zukunft.«
Adrian, der noch nicht viel von der Patientin wußte, sah sie fragend an. »Wie soll ich das verstehen?«
Sie lächelte. »Das ist ganz einfach. Ich will ein Therapiezentrum für körperlich und geistig behinderte Kinder aufbauen. Auf besagtem Bauernhof. Und Reiten ist für diese Kinder mit die beste Therapie.«
»Das ist unstrittig«, bestätigte Dr. Winter. »Ich muß sagen, da haben Sie sich viel vorgenommen.«
Die junge Frau lächelte. »Es wird schon klappen. Ein paar gute Freunde werden mich unterstützen. Ein Glück nur, daß ich nicht selbst zur Dauerpatientin werde.«
Adrian lächelte. »Ich bin sicher, daß Sie in einigen Wochen wieder auf dem Pferd sitzen werden.« Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Vielleicht sollte ich Sie mit meiner Schwester bekannt machen. Sie ist Kinderärztin und hat ganz ähnliche Vorstellungen und Träume wie Sie.«
»Das wäre interessant. Grüßen Sie Ihre Schwester einstweilen von mir. Und sagen Sie ihr, daß ich mich freuen werde, sie eines Tages bei mir begrüßen zu können.«
Als sie die Patientin verlassen hatte, meinte Adrian: »Wenn doch alle so viel Glück hätten wie Veronika. Sie ist nur um Haaresbreite einem Leben im Rollstuhl entgangen.«
»Sei nicht so pessimistisch.« Walli knuffte ihn kurz in die Seite. »Komm mit zu Klein-Katrin, das wird dich aufmuntern. Dem Baby geht’s von Tag zu Tag besser. Sie hat den Entzug schon fast hinter sich. Und sie wird immer süßer.«
Und wirklich – als er sah, wie gut sich das kleine Mädchen entwickelte, kehrte der alte Optimismus zu Adrian Winter zurück.
*
»Sie ist immer noch in der Lage, ordentlich zu reden.« Markus Reinhardt trank im Stehen eine Tasse Kaffee und sah seinen Freund sorgenvoll an.
Adrian biß sich auf die Lippen. »Ich wünschte, mir fiele die richtige Diagnose ganz spontan ein. Aber wir werden weitersuchen müssen. Versuch, soviel wie möglich von Christina zu erfahren.«
Der junge Chirurg nickte. »Mach ich. Und du fahr jetzt heim und ruh dich ein wenig aus.«
Adrian nickte zustimmend. Er fühlte sich wirklich ziemlich erschöpft und ausgelaugt, außerdem sehnte er sich nach einem schmackhaften Essen. Wie gut, daß Frau Senftleben ihm für heute einen ihrer delikaten Eintöpfe angekündigt hatte!
Diese Nachbarin war einfach Gold wert. Sie schien immer genau zu ahnen, wann er ein wenig Aufmunterung brauchte – und sie wußte auch, daß ihm ein Essen und ein Glas Wein oft über einen stressigen Tag hinweghalfen.
Es war schon spät, als er seine Wohnung aufschloß. Frau Senftleben, die einen Schlüssel besaß, hatte in der Küche gedeckt und den Suppentopf auf den Herd gestellt.
Neben dem Weinglas lehnte ein Zettel:
Guten Appetit – und schlafen Sie sich endlich mal aus. Sonst können Sie noch für Appetitzügler Reklame machen! Gruß – Ihre Carola Senftleben.
Adrian Winter lächelte, als er den Eintopf wärmte und zur Entspannung ein Glas Rotwein trank.
Als er aß, fiel sein Blick wieder auf den Zettel – und dann sprang er so hastig auf, daß das Weinglas beinahe umgefallen wäre.
»Das ist’s!« stieß Adrian hervor.
Er nahm sich gerade noch Zeit zu kontrollieren, ob der Herd auch ausgeschaltet war, dann stürmte er mit großen Schritten aus der Wohnung.
Im Hausflur kam ihm Carola Senftleben entgegen. Sie trug ein elegantes nachtblaues Ensemble und summte laut eine Opernmelodie vor sich hin.
»Achtung… Mitmenschen!«
»Entschuldigung, Frau Senftleben!« Er umarmte sie kurz. »Sie sind ein Schatz, wissen Sie das?«
»Klar doch.«
Adrian war schon fast an der Haustür, als er rief: »Wenn das stimmt, was ich vermute, lade ich Sie ins Theater ein. Oder auch in die Oper – wenn’s nicht gerade Wagner gibt.«
»Ich nehme Sie beim Wort«, gab Carola Senftleben zurück und stieg, weiterhin summend, hoch zu ihrer Wohnung.
*
Christina Bergmann lag blaß und fahl in ihrem Bett. Besorgt stellte Markus Reinhardt fest, daß sie immer mehr auszutrocknen drohte. Auch konnte sie wieder nicht reden, sah ihn aber immer wieder mit einem so verzweifelten Blick an, daß er am liebsten losgeheult hätte.
Er hatte schon die Internistin Julia Martensen hinzugezogen, doch auch sie wußte nicht, was zu tun war, und mußte eingestehen, daß sie sich selten so hilflos gefühlt hatte.
Niemand ahnte, daß Schwester Bea, 18 Jahre alt, blond und keß, am Abend ein langes Gespräch mit dem Patienten Bergmann geführt hatte.
»Wissen Sie eigentlich, daß Ihre Tochter auch Patientin bei uns ist?« hatte sie unumwunden gefragt, als sie das Abendessen abgeräumt hatte.
»Ich habe keine Tochter mehr«, hatte der Fabrikant nur geknurrt.
»Unsinn. Hören Sie auf, mir den Griesgrämigen vorzuspielen. Ich weiß genau, daß Sie ganz anders sind.« Bea hatte dem Fabrikanten ihr schönstes Lächeln geschenkt – und tatsächlich seine Aufmerksamkeit geweckt.
»Was ist los? Was wollen Sie mir sagen?« hatte der Kranke gefragt.
»Ihre Tochter Christina ist schon seit Tagen in Berlin. Genauer gesagt seit dem Tag, an dem Sie hier eingeliefert wurden. Sie macht sich große Sorgen um Sie. Aber das wissen Sie ja.« Bea hatte die Arme vor der Brust verschränkt. »Ich hab’ genau gehört, daß Dr. Winter mit Ihnen über Ihre Tochter gesprochen hat und…«
»Sie belauschen also Ihre Patienten.«
»Unsinn. Ich nehme nur alles wahr, was wichtig ist. Und wichtig ist, daß Ihre Tochter seit heute hier liegt – und daß sich alle große Sorgen um sie machen. Sie hat irgendeine Krankheit, die ganz offenbar niemand kennt.«
»Und?« jetzt richtete der alte Mann im Bett sich auf, Sorge stand in seinem Gesicht. Von Ablehnung keine Spur mehr.
Bea mußte eingestehen, daß sie nicht mehr wußte. »Ich wollte Ihnen nur sagen, was los ist. Ich finde, Sie müssen wissen, daß Ihr Kind krank ist. Oder?« Jetzt hatte sie doch ein wenig Angst vor der eigenen Courage bekommen.
»Sie haben recht, Danke.« Seine Miene war wieder undurchdringlich, aber davon ließ sich die kesse Bea nicht beeindrucken.
»Wenn Sie etwas möchten – oder wenn ich Sie irgendwohin bringen soll mit dem Rollstuhl, müssen Sie’s nur sagen.«
Ein Knurren vom Bett her war die einzige Antwort, doch damit war Bea schon zufrieden.
Es vergingen aber noch mehr als fünf Stunden, bis Sebastian Bergmann läutete und zur Überraschung von Schwester Monika nach Bea verlangte.
»Sie meinen unsere Lernschwester Bea?« fragte sie ungläubig.
»Ja. Wenn sie bildhübsch, blond und frech mit dem Mundwerk ist.«
»Ist sie«, bestätigte Monika, und sie ging hinaus, um Bea zu dem Fabrikanten zu schicken.
»Also doch!« Bea strahlte höchst zufrieden.
»Was hast du wieder angestellt?« fragte Monika, die das überschäumende Temperament der jungen Kollegin nur zu gut kannte.
»Nichts.« Bea tat ganz unschuldig. »Ich hab’ nur versucht, ein bißchen Familienzusammenführung zu betreiben. Und jetzt wird mich Herr Bergmann wahrscheinlich bitten, ihn zu seiner Tochter zu bringen. Ich nehme mir schon mal einen Rollstuhl mit.«
So ausgestattet, betrat sie nach kurzem Anklopfen das Zimmer des Fabrikanten, und ohne sich noch lange mit Widerspruch oder Diskussionen aufzuhalten, brachte Bea ihn zu Christina.
Der alte Mann zuckte zusammen, als er seine Tochter wiedersah. So elend wirkte sie!