Winter nicht ganz unschuldig. Wir haben eine Weile zusammen studiert. Und als er fragte, ob ich herkommen wolle, sagte ich zu.« Er legte die Hände gegeneinander und sah Christina lächelnd an. »Und du? Was ist aus dir geworden? Eine erfolgreiche Unternehmerin?«
Sie schüttelte den Kopf so entschieden, daß ihr das lange schimmernde Blondhaar ins Gesicht fiel. »Nein, ich hab’ mich durchgesetzt!«
Das klang sehr stolz, aber auch ein wenig trotzig. Markus merkte es sofort, und er fragte:
»Du hast also wirklich die Schauspielerei gewählt. Und, wie ich vermute, dir heiligen Ärger mit deinem Vater eingehandelt.«
Sie nickte. »Du kennst ihn gut. Er hat mich aus dem Haus geschmissen. Und wir haben uns seit fast zwölf Jahren nicht mehr gesehen.«
»Das ist traurig…«
Christina nickte. »Ja, da hast du recht. Aber er hat einfach nicht mit sich reden lassen. Auch als ich Erfolge vorweisen konnte, als ich ihm beweisen konnte, daß ich gutes Geld verdiene in meinem Beruf, konnte er mir nicht verzeihen. Dabei hat er einen ganz exzellenten Geschäftsführer, der ihn entlastet. Viel mehr, als ich es je gekonnt hätte.« Sie biß sich kurz auf die Lippen. »Weißt du, es tut immer noch weh, daß er so gar kein Verständnis für mich hat. Tante Käthe ist mein einziger Halt – und die einzige Verbindung zur Heimat.«
Er lächelte sie an, und viel von der alten Zuneigung lag in seinem Blick. »Jetzt hast du ja mich wiedergefunden«, meinte er. »Du weißt, daß ich immer für dich da bin, ja?«
Christina nickte, und ganz plötzlich liefen Tränen über ihr Gesicht. Sie weinte leise und verhalten, doch Markus Reinhardt merkte, daß viel von dem Kummer, den sie jahrelang unterdrückt hatte, jetzt zutage trat.
Er ließ sie in Ruhe und wartete, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte. »Komm.« Er streckte die Hand aus und zog sie hoch. »Wir gehen zusammen zur Intensivstation. Ich denke, daß die Kollegen deinen Vater inzwischen an die Überwachungsgeräte angeschlossen haben. Du brauchst keine Angst davor zu haben, es sieht immer viel schlimmer aus, als es ist.«
Christina nickte, aber als sie dann, in steriler Schutzkleidung, in der kleinen Kabine stand, bekam sie doch Angst. War der Mann, der dort blaß und teilnahmslos lag, noch ihr dynamischer Vater?
Ging es ihm wirklich gut? Konnte, durfte sie Markus glauben?
Es schien, als hätte er ihre Gedanken erraten, denn er nickte ihr mit einem aufmunternden Lächeln zu.
Sie blieben nur wenige Minuten, dann führte der Arzt die schöne blonde Frau wieder hinaus.
»Du wirst sehen, morgen geht es ihm schon besser. Vielleicht kannst du dann auch schon mit ihm reden.«
»Wenn er mich überhaupt empfängt«, warf Christina zweifelnd an.
»Wir werden sehen.«
Gerade als sie die Intensivstation verlassen wollten, kam Schwester Walli ihnen entgegen.
»Wollen Sie zu Klein-Katrin?« Fragend sah sie von Markus Reinhard zu dessen schöner Begleiterin.
»Eigentlich nicht.« Der Arzt zögerte, dann wandte er sich fragend an Christina. »Hast du noch einen Moment Zeit? Ich hab’ hier jemanden liegen, der mir sehr am Herzen liegt.«
Die Schauspielerin zuckte zusammen. Nur mit Mühe gelang es ihr, die Fassung zu wahren.
Markus war nicht mehr frei! Wie dumm von ihr, etwas anderes zu denken!
»Wenn ich nicht störe, komme ich gerne mit«, sagte sie.
Er führte sie zu dem Teil der Intensivstation, wo die Kinder und Säuglinge betreut wurden. Im Augenblick lagen nur ein kleiner Junge, der am Morgen operiert worden war, und Klein-Katrin hier.
»Das ist Katrin.« Mit einem zärtlichen Lächeln wies Markus auf den Brutkasten, in dem ein zartes, schwächliches Menschlein lag.
Christina biß sich kurz auf die Lippen, dann fragte sie: »Dein Kind?«
Er lachte leise auf. »Aber nein! Wie kommst du denn auf die Idee?«
Sie zuckte die Schultern. »Du hast gesagt, daß sie dir am Herzen liegt. Und so, wie du sie ansiehst…«
Der Arzt lächelte und trat dichter an den Inkubator. »Katrin ist ganz allein. Wer ihr Vater ist, weiß niemand. Und ihre Mutter ist gestorben, kaum daß das Baby den ersten Atemzug gemacht hatte.« Er seufzte auf. »Katrins Mutter war süchtig. Und das Baby ist es auch. Die Kleine wird jetzt entgiftet – es ist grausam, aber unbedingt notwendig. Sieh nur, wie ihre Glieder zucken… sie hat Entzugserscheinungen.«
»So ein armes Würmchen!« In Christinas Stimme schwang echtes Mitleid mit. »Kann man denn gar nichts tun, um ihr die Qualen zu ersparen?«
»Doch. Sie bekommt entsprechende Medikamente. Aber dennoch…« Er seufzte auf. »Wenn die süchtigen Mütter auch nur ahnten, was sie ihren Kindern antun…«
Er brach ab, denn Christina griff sich mit einem Stöhnen an den Kopf. Sie taumelte leicht und wäre vielleicht sogar gestürzt, wenn Markus Reinhardt sie nicht aufgefangen hätte. »Was ist los?« Besorgt sah er sie an.
»Gar nichts.« Sie versuchte sich an einem Lächeln, das jedoch kläglich mißlang. »Es ist wahrscheinlich nur die Aufregung. Und… Ich hab’ seit einer kleinen Ewigkeit nichts mehr gegessen.«
»Dann komm. Ich gebe dir erst mal ein bißchen Traubenzucker. Und dann fährst du heim und läßt dich von deiner Tante verwöhnen.«
Sie nickte. »Und – du?«
Er zuckte die Schultern. »Dienst. Leider. Aber morgen abend können wir uns sehen, wenn du magst. Es gibt doch noch so viel zu erzählen.«
Christina nickte. »Da hast du recht. Ich will alles von dir erfahren.«
»Umgekehrt ist’s genauso.« Er ging schnell in ein Schwesterzimmer und holte den Traubenzucker, dann begleitete er Christina bis zum Lift. »Bis morgen.« Er strich ihr kurz über das seidige Haar, und Christina mußte daran denken, daß er genau diese Geste schon früher immer gemacht hatte…
*
»Nun, Herr Bergmann, wie fühlen Sie sich?« Dr. Reinhardt trat an das Bett des Frischoperierten und kontrollierte automatisch den Puls.
»Wie soll ich mich schon fühlen? Elend natürlich. Stellen Sie sich vor, Sie lägen hier…« Er polterte los, ohne den Arzt wirklich anzusehen.
Markus lächelte. »Sie haben sich kaum verändert, Herr Bergmann.«
Jetzt hatte er doch die ungeteilte Aufmerksamkeit des Mannes. »Wir kennen uns?« fragte Christinas Vater.
Der Chirurg nickte. »Seit vielen Jahren. Ich war mit Ihrer Tochter zusammen in der Klasse.«
Der Patient preßte die Lippen aufeinander und stieß hervor: »Ich habe keine Tochter mehr. Nehmen Sie das zur Kenntnis.«
»Aber…«
»Nein. Und jetzt bin ich müde.« Demonstrativ drehte er den Kopf zur Seite und zeigte so an, daß er nicht bereit war, sich noch länger mit Dr. Reinhardt zu unterhalten.
Seufzend wandte der Arzt sich ab und verließ das Zimmer. Draußen auf dem Flur traf er Adrian, der eben ins Schwesternzimmer gehen wollte.
»Und? Was ist dir für eine Laus über die Leber gelaufen?« erkundigte er sich.
»Wieso? Dir auch?« fragte Markus zurück.
»Ich muß Operationsberichte diktieren und Krankenberichte vervollständigen. Ehrlich, hat das was mit unserer Arbeit als Arzt zu tun?«
Sein Freund lächelte ein bißchen bitter. »Genauso wenig, wie eine Diskussion mit starrsinnigen alten Männern. Es bringt alles nichts. Manche Leute wollen einfach nicht vernünftig sein.«
»Meinst du Herrn Bergmann?«
Markus nickte. »Er ist seit Jahren mit seiner Tochter