der ihn in die Operationsabteilung bringen sollte.
Dr. Winter stand schon am Waschbecken und schrubbte sich Hände und Arme. Als er den Freund sah, meinte er:
»Na, hast du alles überstanden?«
»Ich schon. Was ist mit dir? Du hattest Nachtdienst – und stehst schon wieder hier und willst operieren? Wann hast du dich erholt?«
Adrian lächelte. »Heute morgen, ist doch klar. Ich habe genau sechs Stunden und zehn Minuten geschlafen.«
»Du Held.« Markus schüttelte den Kopf. »Ehrlich, Adrian, du schuftest hier für drei. Übernimm dich nicht.«
»Keine Sorge, ich passe schon auf, daß es nicht zuviel wird. Aber wir sind nun mal chronisch unterbesetzt. Du ahnst ja nicht, was los war, bevor du kamst. Bernd Schäfer und ich haben manchmal im Akkord operiert.«
»Du hast in ihm einen erstklassigen Assistenten.«
Dr. Winter lächelte. »Ich weiß. Aber sag’s nicht zu laut, sonst wird er uns noch übermütig.«
»Ich habe gute Ohren.« Bernd Schäfer, groß und massig, aber mit einem Herzen aus Gold, war eben hereingekommen. »Schön zu hören, daß der Chef einen hin und wieder lobt.«
»Das tue ich doch laufend, du kannst dich absolut nicht beklagen«, gab Adrian zurück.
Ein paar Minuten später hatten die drei Männer ihr heiteres Wortgeplänkel vergessen. Konzentriert standen sie im OP und operierten eine etwa Vierzigjährige, die seit Jahren unter Magengeschwüren litt.
In den letzten Wochen waren die Beschwerden immer stärker geworden, und Adrian Winter hatte der Frau dringend zu einer Operation geraten. Es passierte immer wieder, daß Magengeschwüre perforierten. Es konnte auch vorkommen, daß sich ein Geschwür plötzlich verändert, daß aus einer harmlosen Geschwulst ein bösartiger Tumor wurde.
Im vorliegenden Fall war das allerdings nicht so. Es gelang, der Patientin den Großteil des Magens zu erhalten, und nur das krankhaft veränderte Gewebe zu entfernen.
Auch die Appendektomie verlief ohne Zwischenfall.
Bevor sie Herrn Bergmann in den OP holen ließen, gingen die Ärzte kurz in den Vorbereitungsraum und stärkten sich mit einem Kaffee.
»Draußen sitzt immer noch Frau Bergmann – die Tochter des Patienten«, berichtete Schwester Monika. »Ich hab’ ihr schon mehrfach gesagt, daß sie gar nichts für ihren Vater tun kann, daß außerdem der Eingriff nicht lebensbedrohlich ist. Aber sie läßt sich nicht abweisen.« Die junge Schwester mit den dunklen Locken biß sich auf die Lippen. »Irgendwie kommt mir die Frau bekannt vor. Aber ich weiß einfach nicht, wo und wie ich sie einordnen soll.« Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht ist sie Schauspielerin. Doch wann geht unsereins mal ins Kino.«
»Schauspielerin…« Dr. Reinhardt hatte das Wort völlig in Gedanken wiederholt. Er sah Christina Bergmann vor sich, wie sie in einer Schüleraufführung geglänzt hatte. Und ihm, Markus, hatte sie anvertraut, daß sie einmal Schauspielerin werden wolle.
»Mein Vater darf davon nichts wissen, er würde mich nicht verstehen«, hatte sie hinzugefügt. »Der gestrenge Herr Fabrikdirektor braucht eine Erbin, die sich ganz dem Konzern widmet.«
Auf einmal war alles wieder gegenwärtig.
Christina, die immer nervös mit ihren blonden Locken spielte, Christina, die sich stets von daheim wegschleichen mußte, wenn sie etwas mit ihren Mitschülern unternehmen wollte, Christina, die ihn, Markus, leidenschaftlich küßte…
»Können wir weitermachen?« Adrian Winter sah seine beiden Kollegen auffordernd an.
»Klar doch.« Bernd Schäfer stand auf und wusch sich nochmals, dann ließ er sich von einer Schwester in frische, sterile Handschuhe helfen.
Adrian Winter tat es ihm nach, und auch Markus Reinhardt erhob sich, um mit den Kollegen zurück in den OP zu gehen.
Der Eingriff verlief ohne Zwischenfälle, und allen, die im Raum anwesend waren, wurde klar, welche Bereicherung Dr. Reinhardt für das Chirurgie-Team der Kurfürsten-Klinik war.
*
Christina Bergmann ging nervös über den langen Klinikflur. Sie machte sich Vorwürfe, daß sie nicht schon früher hergekommen war. Aber es war einfach nicht möglich gewesen! Sie hatte in Paris vor der Kamera gestanden, als ihre Tante sie angerufen und von der bevorstehenden Operation unterrichtet hatte.
»Dein Vater will nicht, daß ich dich informiere«, hatte Tante Käthe gesagt. »Aber… ich hab’ noch nie getan, was der alte Sturkopf wollte.«
Christina lächelte in der Erinnerung. Ihre Tante Käthe! Sie war die unverheiratete Schwester ihres Vaters und hatte versucht, Christina die Mutter zu ersetzen. Camilla Bergmann war verunglückt, als Christina gerade dreizehn gewesen war.
Tante Käthe hatte der jungen Schauspielerin Christina auch immer wieder heimlich Geld zugesteckt, denn von ihrem Vater bekam die junge Studentin nichts. Da sie nicht bereit gewesen war, Betriebswirtschaft oder wenigstens Jura zu studieren, hatte ihr Vater beschlossen, sie mit Verachtung zu strafen. Dazu gehörte auch, daß er ihr kein Geld gab. Und Christina war viel zu stolz gewesen, ihn daran zu erinnern, daß es eigentlich seine Pflicht gewesen wäre, für ihre Ausbildung zu sorgen – ob ihm ihre Berufswahl nun genehm war oder nicht.
Aber sie war auch ohne ihn fertig geworden. Sie hatte gejobbt, hatte dankbar Tante Käthes heimliche Schecks angenommen und letztendlich ihre Ausbildung mit Bravour gemeistert. Gleich nach der Schauspielschule hatte sie ein Engagement in Hamburg bekommen. Dann war sie nach Köln und München gegangen. Schließlich ins Ausland, wo sie im Film die ersten großen Erfolge feierte.
Paris wurde ihre zweite Heimat. Und dort hatte sie auch Tante Käthes Anruf erreicht…
Und jetzt lief sie hier in der Kurfürsten-Klinik auf und ab. Immer wieder. Wie oft, konnte sie schon gar nicht mehr zählen.
Da, endlich, kam ein Arzt auf sie zu!
Christina ging ihm ein paar Schritte entgegen – und blieb so abrupt stehen, als sei sie gegen eine Wand gerannt.
»Du? Markus, bist du’s wirklich?« Die Stimme wollte ihr kaum gehorchen.
Dem Arzt erging es ganz ähnlich. Auch er war von dem unverhofften Wiedersehen so überwältigt, daß er zunächst nichts sagen konnte. Dann trat er schnell zu Christina und zog sie in die Arme.
»Tina…« Er hielt sie von sich, ohne sie loszulassen, und schaute ihr in die Augen. »Dann ist es also wirklich dein Vater, den wir eben operiert haben. Als ich seinen Namen hörte…«
»Wie geht’s ihm?« unterbrach sie ihn.
Markus Reinhardt lächelte ein wenig. »Man sagt doch so schön den Umständen entsprechend. Mehr kann ich auch noch nicht sagen. Er hat den Eingriff gut überstanden, Herz- und Kreislaufwerte sind stabil. Jetzt müssen wir abwarten.« Er zog sie wieder an sich. »Mach dir keine Sorgen, ich bin sicher, er wird alles gut überstehen.«
»Er ist hart im Nehmen, ich weiß«, sagte die junge Frau sehr leise.
»Das stimmt.« Er ließ sie endlich los und legte dann doch gleich wieder den Arm um ihre Schultern, während er mit ihr über den Flur ging, hinüber zu seinem Büro auf der Chirurgie, wo sie ungestört reden konnten.
Als sie sich dann gegenübersaßen, sprachen sie nicht mehr von Christinas Vater, sondern erst einmal von sich.
»Was hast du all die Jahre über gemacht?« wollte die junge Frau wissen.
»Studiert, als Arzt gearbeitet… ich bin den ganz normalen Weg eines Chirurgen gegangen«, erwiderte Markus.
»Aber du warst nicht immer hier in Berlin, oder?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich hab’ eine Weile in Amerika gelebt. Es hat mich fasziniert, dort ganz andere Arbeitsweisen, dieses wahnsinnige Tempo mitzuerleben. Außerdem stehen die Kollegen drüben allem Neuen wahnsinnig aufgeschlossen