Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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erfreulich. Er schätzte die ruhige, kompetente Pflegerin sehr. Claudia war dunkelblond, wirkte sanft und immer höchst zurückhaltend. Doch wer glaubte, sie könne sich nicht durchsetzen, der irrte. Gerade weil sie nie die Beherrschung verlor, weil sie mit ihrer Ruhe Souveränität bewies, hatten alle Achtung vor ihr.

      Als er das Schwesternzimmer betrat, um sich einen Kaffee zu holen, lächelte Claudia ihm entgegen. »Das verspricht eine ruhige Nacht zu werden«, sagte sie.

      »Beschreien Sie’s nur nicht. Aus Erfahrung weiß ich, daß es nach Mitternacht besonders hektisch wird, wenn der Beginn eines Nachtdienstes sehr ruhig war.«

      Claudia nahm sich auch einen Kaffee. »Das ist mir noch nie aufgefallen«, meinte sie.

      »Sie sind ja auch viel jünger als…«

      Ein Alarmruf unterbrach ihn mitten im Satz. »Dr. Winter, bitte in die Notaufnahme. Herr Dr. Winter… bitte rasch in die Notaufnahme.«

      »Bin ja schon unterwegs«, murmelte er und stürmte aus dem Zimmer. Claudia, die ihm folgen wollte, kam kaum mit.

      In der Ambulanz war es recht ruhig, abgesehen von den beiden Schwestern und einem Pfleger, die sich um die neue Patientin kümmerten, die eben eingeliefert worden war.

      Als Adrian Winter sah, wer die junge Frau hergebracht hatte, schüttelte er leicht den Kopf. »Ich denke, du hast schon eine Weile frei?«

      Markus Reinhardt nickte. »Stimmt. Aber manchmal schickt einem das Schicksal einen Umweg.«

      »Und Schwester Walli wohl auch«, fügte Adrian ironisch hinzu.

      »Ich wollte sie heimfahren, verpaßte eine Abfahrt – und war mitten in einem Drama.«

      Schnell schilderte der Arzt, was er bislang über die junge Frau wußte, die inzwischen ganz ohne Bewußtsein war und von den Schwestern soeben entkleidet wurde, damit man sie besser untersuchen konnte.

      »Die Sachen sehen schrecklich aus. So was von verschmutzt…« Schwester Traudl war erst seit wenigen Wochen im Dienst und hatte noch nicht allzuviel gesehen.

      Walli lächelte knapp. »Wart’s nur ab, in zwei, drei Jahren erschüttert dich nichts mehr«, meinte sie.

      Traudl, dunkelhaarig und ein wenig pausbäckig, sah zwar zweifelnd drein, doch sie half weiter mit, die Schwangere zu versorgen.

      Dr.Winter trat an das Untersuchungsbett. »Sie ist hochgradig süchtig, was?«

      »Mit Sicherheit. Wenn du gesehen hättest, wie sie und ihre Freunde leben…« Markus Reinhardt seufzte. »Es ist wirklich eine menschenunwürdige Behausung. Und dann bekommt so eine Frau auch noch ein Baby.«

      Dr. Winter hatte sich inzwischen darangemacht, die Herztöne des Ungeborenen zu kontrollieren. Was er feststellte, gab zu höchster Sorge Anlaß.

      »Ist ein Gynäkologe im Haus?« fragte er.

      Schwester Claudia verneinte. »Leider nicht. Soll ich Dr. Halberstett anrufen?«

      »Ich denke, es wäre besser. Und einen Kinderarzt brauchen wir auch. Das Baby ist bestimmt geschädigt.«

      »Die Zeit der Wunder ist vorbei, wußtest du das noch nicht, Adrian?« Schwester Walli hatte sich inzwischen auch einen Kittel genommen und half, so gut sie konnte. »Wo sollen wir jetzt einen Kinderarzt auftreiben?«

      »Meine Schwester… ruf sie an!« bestimmte Adrian Winter. Er gab Esthers Telefonnummer durch.

      Lernschwester Traudl übernahm es, die Ärztin anzurufen, während Dr.Reinhardt mit dem Kollegen Halberstett telefonierte.

      Seine Frau Carmen, eine gebürtige Spanierin, war am Apparat. Als sie erfuhr, worum es ging, sagte sie: »Mein Mann kommt sofort. Kann ich was tun?«

      »Danke, nein. Aber es ist nett, daß Sie’s angeboten haben.«

      Markus Reinhardt kannte Carmen Halberstett zwar noch nicht persönlich, aber er hatte bereits von Adrian Winter gehört, daß sie ganz besonders sympathisch war.

      »Verflixt, sie geht uns weg!« Schwester Wallis Stimme alarmierte alle, die im Raum waren.

      Dr. Winter kontrollierte Puls und Atmung der Patientin. Beides war kaum noch meßbar. Auch die Herztöne des Babys waren immer schwächer geworden.

      »Wir können nicht warten«, stieß Dr. Winter hervor, »wir müssen sofort mit einem Kaiserschnitt anfangen. Ist ein OP-Team bereit?«

      »Nur eine Notfall-Mannschaft«, erwiderte Schwester Claudia.

      »Das genügt. Ich operiere selbst. Hoffentlich ist Halberstett bald da.«

      Er bekam keine Antwort, hatte auch keine erwartet. Alle konzentrierten sich jetzt darauf, das Leben von Mutter und Kind zu retten.

      Die Maschinerie, oft erprobt, lief an. Der OP war bereit, und Adrian atmete ein wenig auf, als er sah, daß Dr. Roloff, der Chefanästhesist, Dienst hatte. Der Zustand der jungen Frau, die bereits auf dem OP-Tisch lag, war höchst kritisch, ihre Kreislaufwerte waren katastrophal – es rächte sich jetzt, daß sie ihren Körper so lange Zeit mit Drogen geschwächt hatte.

      »Ich fange an«, erklärte Dr. Winter und ließ sich das erste Skalpell reichen.

      Immer wieder wurden die Instrumente kontrolliert, und kaum hatte Dr. Winter die Plazenta freigelegt, meldete der Anästhesist:

      »Ihr solltet euch beeilen, ich hab’ kaum noch meßbare Hirnströme. Und der Puls ist so flach…«

      »Ich brauche noch ein paar Minuten«, stieß Dr. Winter hervor.

      »Wann kommt dann Halberstett endlich?«

      »Ist schon im Vorbereitungsraum.«

      »Gott sei Dank! Steht ein Inkubator bereit?«

      »Ja. Und Ihre Schwester ist auch schon auf dem Weg hierher«, meldete eine nicht sterile Schwester, die in der Nähe der Schleusentür stand, die zum Vorbereitungsraum führte.

      Adrian Winter atmete erleichtert auf. Er ahnte, daß es ihnen nicht gelingen würde, die junge Mutter zu retten. Aber er wollte alles in seiner Macht Stehende tun, um auch ihr Leben zu erhalten.

      Endlich trat der Gynäkologe neben ihn, und gemeinsam führten sie die Section zu Ende durch.

      Es war bedrückend still im OP, nur hin und wieder sprachen die Operateure kurz miteinander, ihre Stimmen klangen gedämpft durch den Mundschutz.

      »Jetzt – ich eröffne!« Dr. Halberstett durchtrennte die dünne Wand der Gebärmutter.

      Ein Schwall von Fruchtwasser kam ihnen entgegen. Dr. Halberstett griff in den Gebärmutterkörper und hob das Baby heraus. Es war klein, sah aber auf den ersten Blick recht gesund aus.

      Während es abgenabelt wurde und sich der Gynäkologe und eine Schwester um das Neugeborene bemühten, kümmerte sich Dr. Winter um die Mutter.

      Es ging ihr schlecht, und der Narkosearzt machte ein ernstes Gesicht. Dennoch kämpfte Adrian Winter unverdrossen weiter. Als das Herz aussetzte, machte er Direktmassage, er gab eine Injektion direkt in den Herzmuskel, der leise die letzten Werte durchgab.

      »Keine Herzkontraktion«, meldete er plötzlich. »Die EKG-Wellen werden schwächer. Ich versuche noch…«

      Adrian Winter hörte ihm nicht mehr zu. Mit Verbissenheit versuchte er eine Herzmassage, und in Gedanken sprach er zu der jungen Frau.

      »Halt durch! Du mußt doch leben – für dein Baby! Komm, kämpf gemeinsam mit mir! Dann schaffen wir es bestimmt!«

      Er spürte, daß ihm jemand eine Hand auf die Schulter legte. »Laß es gut sein«, sagte Dr. Roloff, und erst jetzt fiel Adrian auf, daß der Anästhesist schon die Geräte abgeschaltet hatte. »Sie hat’s nicht gepackt. Es wäre auch ein Wunder gewesen. Und – wer weiß – vielleicht war’s auch besser so.«

      Adrian schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, es ist nie gut, wenn ein so junger Mensch sterben muß.