Begriff Psychosomatik entstand im 19. Jahrhundert und wurde wahrscheinlich von Johann Christian August Heinroth eingeführt, der in Leipzig die erste bekundete Professur für »Psychische Therapie« innehatte. Er propagierte, dass sich jedes Krankheitsgeschehen in seinen psychischen, somatischen und biografischen Gesamtzusammenhängen verstehen lassen müsse. Darüber trat die Psychosomatik den mühsamen Weg an, sich in der Medizin einen festen Platz zu verschaffen und auch akademisch Akzeptanz zu erlangen. Das gelang zuerst in der inneren Medizin und Neurologie, die damals eine Einheit bildeten. Als Reaktion auf die einseitig naturwissenschaftliche Orientierung ihres Faches in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertraten bedeutende Kliniker wie Gustav von Bergmann, Ludolf von Krehl, Richard Siebeck und vor allem Viktor von Weizsäcker das Programm, »den Patienten als Subjekt in die Medizin zurückzuholen«.
Heute ist die Psychosomatik Teil der Medizin und wird dort als Psychosomatische Medizin bezeichnet. Diese hat sich seit den 1920er Jahren im Überschneidungsfeld vor allem zwischen Psychotherapie und Innerer Medizin und dort als »ärztliche Psychotherapie« etabliert. In der Psychologie ist sie als klinische bzw. medizinische Psychologie angesiedelt. Wenn eine verhaltenstherapeutische Orientierung betont werden soll, wird statt von Psychosomatik auch von Verhaltensmedizin gesprochen.
Inzwischen sind spezifische Arbeitsfelder der Psychosomatik entstanden, z. B. die Psychoonkologie, die Psychodermatologie oder die Psychoimmunologie, um spezielle Forschungsansätze zu nennen, oder die Palliativmedizin und die Reproduktionsmedizin als Beispiele für integrierte psycho-somatische Versorgungsgebiete.
Die Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ist als Spezialdisziplin mit dem umschriebenen Aufgabenfeld der psychotherapeutischen Behandlung psychogener Störungen ein relativ junges medizinisches Fach. Sie ist in Deutschland seit 1970 an den Universitäten im Pflichtunterricht vertreten, während sie in Österreich und der Schweiz als Teil der Psychiatrie gelehrt wird. Dabei hat es sich an der Universität eingebürgert, das Fach kurz als »Psychosomatik« zu bezeichnen, was dazu führt, dass viele Studenten überrascht sind, in diesem Gebiet überwiegend Patienten mit psychischen und Verhaltensstörungen (ohne körperliche Symptomatik) anzutreffen.
1992 wurde das Fach in Deutschland zunächst unter dem Namen »Psychotherapeutische Medizin« in der ärztlichen Weiterbildungsordnung etabliert. Im Jahre 2003 wurde die Bezeichnung in »Psychosomatische Medizin und Psychotherapie« geändert. In der Schweiz deckt es den klinischen Aspekt der ebenfalls relativ neuen »Psychosozialen Medizin« ab. In Österreich gibt es ein Diplom für Psychotherapeutische Medizin, die jedoch kein eigenes Fachgebiet darstellt.
2.3 Grundlagen
Die Psychotherapie und Psychosomatik als Anwendung psychologischer Verfahren zur Erforschung, Diagnostik und Behandlung psychogener Erkrankungen bezieht ihre Grundlagen aus der Psychologie einerseits, aus der Psychiatrie und den Neurowissenschaften andererseits.
Psychologische Konzepte und Theorien
In der Psychotherapie und Psychosomatik bestehen mehrere Strömungen und eine Vielzahl von Konzepten, Theorien und Methoden nebeneinander. Die wichtigsten, die auch die Basis für die psychotherapeutische Versorgung darstellen, sind die psychoanalytischen und die verhaltenstherapeutisch-behavioristischen Verfahren. In Ländern wie Österreich und der Schweiz stehen sie im Wettbewerb mit anderen Verfahren, insbesondere mit der Gestalttherapie, der Gesprächstherapie, systemtheoretischen und körperorientierten Verfahren.
• Die psychoanalytischen Verfahren basieren auf der Krankheitslehre der Psychoanalyse. Sie zentrieren beim Zugang zum Kranken bzw. zur Krankheit sowohl auf die bewussten als auch die unbewussten innerseelischen Vorgänge (Psychodynamik) und werden deshalb auch psychodynamisch genannt. Sie berücksichtigen auch störungsrelevante psychosoziale Krankheitsfaktoren.
• Die verhaltenstherapeutischen Verfahren beruhen auf der Lernpsychologie und werden auch als Verhaltensmedizin (Behaviour Therapy) bezeichnet. Sie betrachten psychogene Krankheiten vor allem als gelerntes Fehlverhalten und beschäftigen sich daneben besonders mit der Krankheitsbewältigung. Heute gibt es ein breites Spektrum von verhaltenstherapeutischen Verfahren.
Neurobiologische Grundlagen
Durch das Zusammenwirken von neuroanatomischen und psychophysiologischen Forschungen gibt es heute eine rational begründete Vorstellung von der Entstehung und Veränderung psychischer Strukturen.11 Danach finden Erfahrungen in funktionalen Zuständen des Gehirns ihren Niederschlag. Diese beruhen auf elektrophysiologischen Potenzialen an den Verknüpfungspunkten (Synapsen) zwischen den Nervenzellen mit Hilfe biochemischer Neurotransmitter (Brückenstoffe). Diese neuronalen Verknüpfungen bilden funktionelle Systeme, die als neuronale Netze bezeichnet werden. Man kann sie nach heutigem Erkenntnisstand als somatische Korrelate von definierten Erregungszuständen betrachten. Dysfunktionale neuronale Netzwerke können durch Psychotherapie verändert werden.
Über dieses allgemeine Verständnis hinaus hat die Hirnforschung inzwischen außerordentlich differenzierte Erkenntnisse über die Lokalisation von emotionalen und affektiven, kognitiven und vegetativen Funktionen erbracht. Danach ist insbesondere das limbische System im Zwischenhirn als Schaltareal zwischen psychischen, kognitiven und körperlich-vegetativen Prozessen identifiziert worden. Für das Verständnis der Affektregulation, der Verarbeitung überwältigender affektiver Erregungen, z. B. bei Traumatisierungen, und für die Entstehung psychosomatischer Symptome kommt der Interaktion von hormonellen, zentralnervösen und autonomen Regulationen in diesen Arealen eine Schlüsselposition zu.
Averbale Formen der Kommunikation haben durch neurophysiologische Resonanzphänomene eine Erklärung gefunden. Diese beruhen auf der Aktivität von Spiegelneuronen, die bewirken, dass im Gehirn von Menschen, die mit einander in Beziehung sind, gleiche neuronale Prozesse ablaufen. Diese Prozesse bilden die neuronale Grundlage für Nachahmen, Lernen und Intuition und bilden die Basis für die Entwicklung der Persönlichkeit.
Als Mittler zwischen seelischen und körperlichen Prozessen spielt das Immunsystem eine bedeutende Rolle. Insbesondere Trennungen und Verluste verändern über spezifische Botenstoffe (z. B. Interleukin und Interferon) die Regulationsfähigkeit des Immunsystems und fördern z. B. die Anfälligkeit für Infektions- und möglicherweise auch für Tumorerkrankungen. Außerdem sind spezielle Hormone bekannt, die erlebnisreaktiv Einfluss auf das Affekterleben haben, z. B. Hypophysen-/Nebennierenrinden-Hormone mit speziellem Einfluss auf das depressive und Angsterleben.
2.4 Traditionelle und neuere Aufgaben
Den Anfang nahm die Psychotherapie, wie schon erwähnt, mit der Hypnosebehandlung von Konversionsstörungen. Das sind körperlich in Erscheinung tretende Konfliktstörungen, die wir heute zu den somatoformen Störungen zählen. Rasch kam die Behandlung von psychischen Konfliktstörungen hinzu, insbesondere von hysterischen und Zwangsneurosen. Sie bildete das Forschungsfeld, in dem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Psychoanalyse entwickelt wurde.
Mit dem Aufkommen des psychotherapeutischen Interesses in der Inneren Medizin gewannen Somatisierungsstörungen (
Um 1950 wandelten sich das Spektrum der Behandlung und der Verfahren in der Psychotherapie. Neben die Psychoanalyse, die bis dahin die beherrschende Behandlungsform bei neurotischen Konfliktstörungen war, trat die Verhaltenstherapie. Innerhalb der Psychoanalyse entwickelte sich die Ichpsychologie. Sie erweiterte das Verständnis für die »schwereren« Pathologien, für die das traditionelle