mehr als die reine körperliche Versorgung im Falle einer Pflegebedürftigkeit. Die Pflegetheoretikerin Friedemann entwickelt aus ihrer Erfahrung in der Gemeindekrankenpflege 1989 das systemische Modell der Familien- und umweltbezogenen Pflege. Die schrittweise Entwicklung weg von der pathogenetischen hin zur salutogenetischen Sichtweise war für Friedemann eine Notwendigkeit. Der Mensch definiert sich aus ihrer Sicht über die Beziehung zwischen der Umwelt, anderen Menschen oder auch Gegenständen.
»Nach der Theorie des systemischen Gleichgewichts« entsteht Kongruenz, wenn die vom Individuum gesetzten Ziele im richtigen Ausmaß erreicht wurden. Das Diagramm ist dynamisch, d. h. Ziele und Prozessdimensionen sind keine festgelegten Größen, sondern sind abhängig von den einzelnen Individuen. Je nach Lebenslage wird das eine oder andere Ziel mehr oder weniger bedeutungsvoll. Die Aktivitäten innerhalb der Prozessdimensionen können sich verschieben (vgl. Friedemann 2003, S. 20–25).
In dem Modell wird die Nähe zu den salutogenetischen Ansätzen Antonovskys sichtbar. Es geht um die Balance zwischen Kontrolle und Regulation, Wachstum und Spiritualität sowie die Stabilität. Friedemann entwickelte anhand von Fallbeispielen die Integration des Modells in den Pflegeprozess.
Das Metaparadigma Gesundheit beschreibt das intellektuelle, emotionale, physische soziale und spirituelle Wohlbefinden innerhalb einer Lebensspanne. Diese Faktoren schützen die Gesundheit und Pflege hat die Aufgabe, Einschränkungen solange zu kompensieren bis der Patient selbst wieder in der Lage ist, sich auf sein Wohlbefinden zu konzentrieren.
Heute wird der Begriff der Ganzheitlichkeit eher kritisch gesehen, die Diskussionen gehen dahin, ob es unter den heutigen Rahmenbedingungen in der Praxis möglich ist, angemessen auf die pflegerischen Anforderungen in der Patientenversorgung in allen Sektoren der Gesundheitseinrichtungen eingehen zu können (Stemmer 2003, Bischoff 1993).
Welche Verantwortlichkeiten der Begriff Ganzheitlichkeit beinhaltet, hängt auch mit der eingangs beschriebenen Conditio humana zusammen. Die Aspekte der Sorge, die im Dasein des Menschen zugrunde liegen werden anhand der Ausführungen von Heidegger und im weiteren der Care-Ethiken ausgeführt. Im Anschluss daran werden die Gedankengänge mit dem Blickwinkel auf das Ehepaar Meier näher analysiert.
2.5 Sorge und Fürsorge aus philosophisch-ethischer Perspektive
»Sein und Sorge« waren die Themen, mit denen sich der Existenzialist Martin Heidegger beschäftigte. Die philosophische Richtung des Existenzialismus entwickelte sich Mitte des 19. Jhd. aus der phänomenologischen Bewegung heraus. Als eine Ich-Philosophie dreht sich in dieser Philosophierichtung alles um die Existenz des Seins. Wie erlebe ich mich in der Welt, wie gestalte ich meine Freiheit, wie ist das Sein zum Tode (Heidegger), wie sind die Erfahrungen um die Brüchigkeit des Lebens in Grenzsituationen (z. B. Karl Jaspers; vgl. Anzenbacher 2003, S. 139). Heidegger betrachtet Existenz in Verbindung mit der Welt, sie ist immer vorhanden in Form als besorgendes und fürsorgendes Wesen in der Welt. Die Sorge (cura) als anthropologischer Grundbegriff entstand nach Heidegger aus der Angst, die aus dem Werden des Seins entsteht (vgl. Heidegger 1993, S. 183). Sorge ist ein Bestandteil des Daseins und es geht um die Sorge, um sich selbst sowie um den Anderen.
Der Grundcharakter des In-der-Welt-Seins der Menschen ist die Sorge. Diese Möglichkeit der Wesensausformung drückt sich in verschiedenen alltagsweltlichen Aktivitäten aus. Nach Heidegger sind dies die Fürsorge, das »Sein für jemanden«, wie z. B. für andere Menschen oder Tiere und »Sein bei etwas«, das sich auf das Besorgen von Gegenständen, Nahrung, Kleidung etc. bezieht (Heidegger 1993, S. 184).
Ausgehend von den Gedanken Heideggers konzipierten die Autoren Charlotte und Michael Uzarewicz eine Übersicht der Zusammenhänge um die Sorge. Die Angst ist der Motor des Seins und steht damit über allem. Demzufolge ist die Sorge eine Daseinsform, die in Besorgen und Fürsorge unterschieden wird. Das Besorgen umfasst alltagsweltliche Gegenstände und Konsumgüter, wie Kleidung, Nahrung das »Sein bei etwas«. Die Fürsorge beinhaltet die sozialen Beziehungen zu mir selbst als Mensch und zu anderen. Das Sein als Mensch ist geprägt als mit oder für jemanden. Diese Art von Fürsorge äußert sich als einspringende, vorausspringende (z. B. zur Gefahrenabwehr) Fürsorge sowie als Sorge abnehmende (abhängig) und Sorge zurückgebende Fürsorge (unabhängig). Als defizitärerer Gegenpol steht das Gegeneinander, ohne einander zu sein oder aneinander vorbeizugehen (vgl. Uzarewicz & Uzarewicz 2005, S. 39).
In dieser Ausdifferenzierung von Fürsorge werden die Abhängigkeit und Unabhängigkeit des Menschen in der Welt deutlich. Denkt man die Ausführungen Heideggers um die differenzierte Sichtweise auf die Sorge weiter, so könnte ein weiterer Fokus die Sorge um das Sein des vulnerablen Menschen sein.
Wie bereits erwähnt, ist der Mensch ohne die Welt nicht überlebensfähig, und es entsteht die Frage, wie sich das Sein bei Menschen, die aufgrund von Krankheit einen Teil ihrer Unabhängigkeit verlieren, gestaltet? Welche Rolle kann professionelle Pflege hier in Bezug auf die Versorgung des Ehepaars Meier übernehmen? Was bedeutet fürsorgliches Pflegehandeln in diesem Zusammenhang für die professionelle Pflege?
2.5.1 Bedeutung von Fürsorge für das Ehepaar Meier am Beispiel der Care-Ethiken
Im Folgenden wird der Begriff der Fürsorge in Bezug auf die Care-Ethiken näher betrachtet. Dabei werden in einem ersten Schritt in Kurzform ausgewählte Philosophinnen und Pflegeethikerinnen vorgestellt und in einem weiteren Schritt die Konsequenzen aus den Konzepten und Gedanken für das Ehepaar Meier gezogen.
Die Autoren Uzarewicz/Uzarewicz (2005) setzen sich in ihren Ausführungen mit dem modernen deutschen Sprachgebrauch des Wortes Pflege auseinander. So bilden sich um das Wort Pflege die Begriffe Sorge, Obhut, Betreuung, Pflicht. Die Autoren übersetzen diese Begrifflichkeiten »mit dem Einsatz für jemand Anderen«. »In der reflexiven Wendung ›sich für […] einsetzen‹ bleibt die Richtung offen; zum einen kann der Rückbezug auf sich selbst gemeint sein im Sinne für sich selbst einsetzen […] für jemanden oder etwas sorgen, sich für jemand anderen einsetzen.« (vgl. Uzarewicz & Uzarewicz 2005, S. 37).
Seit den frühen 1980iger Jahren hat sich in den USA eine breite Diskussion um die Care-Ethiken aus der feministischen Forschung heraus in der Pflegewissenschaft entwickelt, welche in Deutschland erst ansatzweise in der Pflege bekannt sind. In diesem Beitrag werden ausgewählte Dimensionen der Care-Ethiken dargestellt.
Worum geht es? In allen Care-Ethiken geht es um die Beziehung von Menschen zueinander und die fürsorgliche Haltung gegenüber Menschen. Patienten werden dabei als Individuen betrachtet und nicht in anonyme Gruppen klassifiziert. Dabei geht es in dieser Forschungsperspektive nicht ausschließlich um den Wettbewerbsgedanken zwischen Mann/Frau, sondern vorwiegend um die Sichtbarmachung von Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten sowie die Ausgestaltung von der Fürsorge schwacher und vulnerabler Menschen.
Nach Nel Noddings14 ist die individuelle Erfahrung, die jeder Mensch mit Pflege, z. B. in der Beziehung zwischen Mutter und Kind gemacht hat, prägend. Sie bezeichnet die Beziehung in einer Care-Interaktion als nicht rational. Die Natur von Pflege lässt sich nicht verallgemeinern und in Institutionen pressen (Noddings 1984, 1992). Dieser Ansatz ist nicht kritikfrei, so wird z. B. in der Kinderkrankenpflege die Mutter-Kind-Beziehung einseitig idealisiert, ohne die Rolle der professionellen Pflege in pflegerischen Arbeitsbereichen mit zu betrachten. Die Verschmelzung der Sorge um den Patienten mit der Sorge um sich selbst führt nach Hilde Nelson zum Selbst-Verlust der professionell Pflegenden (Nelson 1992).
Andere Sichtweisen auf den Begriff Care als Fürsorge entwickelte die Politikwissenschaftlerin Joan Tronto zusammen mit Berenice Fisher. Sie entwickelten zunächst vier Phasen, dann in 2013, die fünfte Phase zu der Bedeutung des Begriffes Care als Dimensionen für die Pflege:
1. Caring about: bedeutet »sich kümmern um« oder Anteilnahme und Aufmerksamkeit für den Pflegebedürftigen und dessen Angehörige. Caring about umfasst demnach die Anteilnahme und die Fähigkeit zu erkennen, wenn jemand Hilfe benötigt und in welcher Form genauso wie sich in die Lage des Anderen hineinzuversetzen (Empathie).
2. Taking care of: Übernahme von Verantwortung