Daphne Niko

DAS ORAKEL


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dieses Antiquitätenrings gelangt, während wir unsere Falle stellen. Leider waren wir nicht in der Lage, das durchzuführen, weil uns der richtige Partner vor Ort fehlte.»

      «Bestimmt könnte der Direktor der Ephorie …»

      «Die Griechen sind Dummköpfe. Man kann ihnen nicht vertrauen.» Er starrte Daniel mit funkelnden Augen an. «Was wir brauchen, um den Plan auszuführen, Dr. Madigan, ist ein sehr kluger und fähiger Anthropologe, der mit der Krone sympathisiert – oder uns wenigstens einen Gefallen schuldet.»

      Daniel konnte sehen, wohin das führte. «Und was genau würde das einschließen?»

      «Den Obelisken zu studieren und die Ergebnisse in den geeigneten akademischen Zeitschriften zu veröffentlichen. Und wenn die Plünderer kommen – und sie werden kommen – mit einem Team von Interpol zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass sie in Gewahrsam genommen werden. Von da an übernehmen wir und es steht Ihnen frei, zu gehen.»

      Daniel rieb sich über die pochende Stirn, zog seine Hand aber schnell zurück, als er ein scharfes Stechen von einem tiefen Schnitt über seinem linken Auge verspürte. Er stieß den Atem aus.

      «Wir können uns sofort um Ihre Einsatzpapiere kümmern – wenn Sie zustimmen.»

      Eine Falte bildete sich zwischen Daniels Augenbrauen. «Habe ich eine Wahl?»

      «Natürlich haben Sie eine Wahl. Wir sind hier nicht in einer Autokratie.» Langham legte eine Hand auf die Schulter seines Gastes. «Sie können wählen, auf sich allein gestellt zu sein. Zu diesem Zeitpunkt würden wir Ihnen viel Glück dabei wünschen, das Leben Ihrer Partnerin zu retten.»

      Langham hatte es unmissverständlich klargemacht: Wenn Daniel ihre Hilfe wollte, dann müsste er ihr Spiel spielen. «In Ordnung. Ich werde nach Griechenland gehen. Aber sie kommt mit.»

      «Sie können den Dalai Lama mitnehmen, wenn Sie das wollen. Aber niemand darf über den Auftrag Bescheid wissen. Das ist unverhandelbar.»

      Daniel drehte das Wasser ab. Die Kühle des Raums war wie Nadelstiche auf seinen nassen Körper. Langhams Plan hatte einfach gut genug geklungen, aber er war schiefgelaufen. Bevor Daniel eine Gelegenheit gehabt hatte, den Gegenstand zu untersuchen und darüber zu schreiben, war die Information auf andere Weise durchgesickert. Aufgrund dessen hatte der Einbruch sie überrascht – und jetzt bastelten sie mit Mühe und Not einen Plan B zusammen. Daniel hatte darüber nachgedacht, einfach abzuhauen und mit den Konsequenzen zu leben, aber er hatte sein Wort gegeben. Zumindest ihm selbst bedeutete das noch immer etwas.

      Der einzige Weg aus dieser Zwickmühle heraus führte durch sie hindurch.

      Das Bild von Sarahs verblüfftem Gesicht, vom bleichen Glanz des Mondlichts umrissen, war in sein Gedächtnis eingebrannt. Wenn sie jemals von dem Deal, den er eingegangen war, und dem Geheimnis, das er bewahrte, Wind bekäme, würde sie ihn sicher verlassen – diesmal für immer. Er könnte es ihr nicht verübeln. Aber selbst wenn es bedeutete, sie zu verlieren, war sein Gewissen rein: Er hatte getan, was nötig war, um ihr Leben zu retten.

      Er trocknete sich ab und schlüpfte in seinen verschlissenen Rutgers-Kapuzenpullover und die staubigen, zerrissenen Jeans, die er seit einer Woche trug. Es war an der Zeit, sich dem Tag zu stellen.

      Kapitel 8

      Obwohl sie wusste, dass die Plünderer hinter dem Messingpfahl her waren, hatte Sarah die Morgenstunden damit verbracht, etwas völlig anderes zu studieren. Sie hatte die Vermutung, dass das Wolfskopfrhyton Hinweise enthielt, die ihnen dabei helfen würden, eine Theorie zu dem mysteriösen Gegenstand zu entwickeln, den niemand identifizieren konnte.

      Sie betrachtete den Töpfereigegenstand im Neonlicht. Der traditionelle schwarzfigurige Stil Korinths war auf einen natürlichen Tonhintergrund gemalt. Die Technik war im siebten Jahrhundert vor Christus vom Peloponnes bis nach Mittelgriechenland vorherrschend gewesen, verschwand aber im frühen fünften Jahrhundert, als die Athener die rotfigurige Malerei einführten, die als weit überlegen galt. Sarahs Meinung nach wurde die frühe schwarzfigurige Malerei – das feine Herausarbeiten der Details silhouettenhafter Gestalten vor dem Brennen – unterschätzt.

      Dieses Rhyton war ein perfektes Beispiel für die Technik an ihrem Höhepunkt. Das Gesicht einer Wölfin war in einem bedrohlichen Zähnefletschen gefangen. Ihre schmalen Augen vermittelten dem Betrachter eine Warnung: Trinke auf eigene Gefahr aus mir.

      Auf dem Rand des Rhytons, dem einzigen Teil, der rekonstruiert wurde, war eine männliche Figur abgebildet, die vor einer Gottheit kniete, die Sarah nicht identifizieren konnte. Sie drehte das Gefäß um und bemerkte eine weitere, einsame männliche Figur, nackt und kauernd wie aus Scham.

      Sie starrte auf die unklare Symbolik. Was hatte dieser Becher beinhaltet? Und wer hat von diesem Inhalt getrunken?

      Sie ging mit dem Rhyton zum ultravioletten Licht und legte es auf ein schwarzes Tuch. Dem Protokoll nach hatte Evan das Objekt unter der UV-Lampe betrachtet, aber nichts Außergewöhnliches gefunden. Sie wiederholte den Test für den Fall, dass ihm etwas entgangen war.

      Sie dimmte die Zimmerbeleuchtung und schaltete die Lampe ein. Zentimeter für Zentimeter begutachtete sie das Rhyton. Lange starrte sie die Ikonografie an und hoffte, diese würde etwas preisgeben. Aber genau wie Evan berichtet hatte, gab es nichts Bemerkenswertes.

      Sie dachte über den Symbolismus des Wolfs in der Antike nach. Das Tier war vermutlich Apollon geweiht, denn der Mutter des Gottes, Leto, sagte man nach, die Verkörperung einer Wölfin zu sein. Der Legende nach war die Quelle für Apollons Stärke und Weisheit die Milch einer Wolfsfrau.

      Wolfsmilch. Könnte etwas dahinterstecken?

      Sarah glaubte, von einer Pflanze gehört zu haben, die diesen Namen trug. Sie durchsuchte die Datenbank nach pflanzlichen Stoffen, die mit dem Wolf in Verbindung standen, und fand Euphorbia characias wulfenii – allgemein bekannt als Wolfsmilch. Es war eine Zierpflanze, die in der Mittelmeerregion wuchs. Eine erweiterte Suche nach ihren Eigenschaften enthüllte, dass der schwarze Nektar der Blütendrüsen giftig war und Krämpfe, Halluzinationen und möglicherweise den Tod verursachen konnten.

      Vielleicht hatte sie an der falschen Stelle nachgesehen.

      Sie stellte das Rhyton um und richtete das Licht auf dessen Öffnung. Sie hatte erwartet, Spuren eines klebrigen Safts zu finden, möglicherweise die Rückstände eines antiken, bewusstseinsverändernden Tranks, aber was sie fand, war etwas ganz anderes. Als sie das Licht hin und her bewegte, sah sie einen Buchstaben. Dann einen weiteren, und noch einen, die tief ins dunkle Herz des Gefäßes hinein führten. Ein einzelnes Wort, in Altgriechisch geschrieben.

      Das also war die Antwort.

      Sarah warf einen Blick durch das Obergadenfenster. Draußen war es schon hell, was bedeutete, die anderen würden jeden Moment hier sein. Sie schaltete das UV-Licht aus und verpackte das Rhyton sorgfältig wieder. Sie würde ihr Experiment später fortsetzen müssen.

      Wie aufs Stichwort ertönte ein Klicken von der anderen Seite der Tür. Sarah schaltete das Licht ein und kehrte an ihren Arbeitsplatz zurück. Sie hatte gerade genug Zeit, die Fenster auf ihrem Computerbildschirm zu minimieren, bevor Evan eintrat.

      «Sie sind aber früh hier.» Er zog seine Jacke aus und hängte sie an einen Haken bei der Tür. «Woran arbeiten Sie?»

      «Papierkram.» Sie nahm einen Schluck von ihrem kalten Kaffee.

      Evans Blick wanderte durch den Raum, bevor er sich an Sarah heftete. «Ich habe Daniel heute früh gesehen. Er sagte, es hätte einen versuchten Einbruch gegeben. Wissen Sie etwas darüber?»

      «Es stimmt. Ich vermute, es waren dieselben Kerle, die das Museum durchsucht haben.»

      Seine Nasenflügel blähten sich auf. «Ich sollte nicht der Letzte sein, der von solchen Dingen erfährt. Noch habe ich hier die Leitung.» Er hob seine Stimme leicht. «Und dass Daniel den Code änderte … wer gibt ihm solche Anweisungen?»

      «Ich schlage vor, das fragen Sie ihn selbst.»