Daphne Niko

DAS ORAKEL


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immer Langhams Preis war, er war bereit, ihn zu bezahlen. «Ich bin hier, nicht wahr?»

      «Gut.» Langham sprang mit mehr Tatkraft aus seinem Sessel, als man ihm zugetraut hätte. Er ging zu einem Aktenschrank und holte eine Mappe heraus. «Weston sagt, man kann Ihnen geheime Informationen anvertrauen. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.»

      Daniel gesellte sich zu ihm an den Esszimmertisch. Langham öffnete die Mappe. Eine Reihe von Fotografien eingelagerter Artefakte kam zum Vorschein. Diese Gegenstände kannte Daniel gut. «Die Elgin Marmore.»

      «In der Tat. Die Skulpturen und Friese des Parthenons, die Lord Elgin im frühen neunzehnten Jahrhundert nach England gebracht hat – Gegenstand vieler Kontroversen, wie Sie zweifelsohne wissen.»

      Daniel nickte. Er war gut mit dem Wunsch der Griechen vertraut, die Objekte zu repatriieren, und glaubte, Sie hatten ein gutes Recht auf diesen Anspruch. Er entschied sich dafür, seine eigenen Überzeugungen aus dem Gespräch herauszuhalten, denn die Briten hielten unerschütterlich an ihrem Standpunkt fest.

      «Ohne Zweifel eine unbezahlbare Sammlung», fuhr Langham fort. «Eine, die die Griechen gerne wiederhaben möchten. Wie es auch andere Kritiker innerhalb der internationalen Gemeinde tun, behaupten sie, dass Großbritannien kein Anrecht auf die Bildhauerei hat, weil sie ohne Erlaubnis weggebracht wurde.» Er blätterte zu einem anderen Foto um. «Das ist eine englische Auslegung einer offiziellen italienischen Übersetzung des originalen Fermans, der 1801 vom amtierenden Großwesir des Osmanischen Reichs ausgestellt wurde. Wie Sie wissen, beruht Lord Elgins Erlaubnis darauf, die Marmore im Namen seiner Majestät König George III. zu kaufen.»

      Daniel kannte das umstrittene Dokument. Viele Wissenschaftler hatten seine Echtheit angezweifelt, weil es eine Übersetzung zweiten Grades war. Schlimmer noch, es gab Diskrepanzen zwischen dem englischen und dem italienischen Text, die einen noch größeren Schatten über den Kauf warfen. Die englische Version enthielt Änderungen, die den Briten gelegen kamen – zum Beispiel nannte sie Lord Elgins Sekretär als offiziellen Disponenten, während die italienische Version das nicht tat – und wurde letztendlich vom Parlament akzeptiert, wodurch der Anspruch der Krone legitimiert war.

      «Natürlich behaupten die Griechen, dieses Dokument sei eine Fälschung. Sie pochen auf eine erneute Überprüfung beider Übersetzungen durch ein unabhängiges Organ und suchen nach Widersprüchen, die es ihnen erlauben würden, den Fall vor ein internationales Gericht zu bringen.» Langham presste die Lippen zusammen. «Es ist lächerlich.»

      «Lächerlich oder nicht, es ist die Realität. Großbritannien kann nicht viel dagegen tun.»

      «Es gibt eine Sache, die dem Disput ein für alle Mal ein Ende setzen wird: der originale, türkische Ferman, vom Großwesir selbst unterzeichnet.»

      «Aber der ist nie gefunden worden.» Daniel zog eine Augenbraue in die Höhe. «Wenn er überhaupt je existiert hat.»

      «Natürlich hat er existiert. Großbritannien hat diese Schätze auf rechtmäßigem Weg erworben und hat jetzt einen Anspruch darauf. Man glaubt, dass der Ferman während des Unabhängigkeitskriegs zerstört wurde, aber wir haben Grund zu der Annahme, dass er von griechischen Fanatikern gestohlen und über Generationen hinweg bewacht wurde.»

      «Ich nehme an, Sie werden mir sagen, dass Sie wissen, wo er ist.»

      «Wenn es nur so einfach wäre. Wir suchen ihn seit Jahrzehnten und wir sind recht nah dran – aber noch nicht ganz. Ich will es Ihnen erklären.» Er griff in den Schrank und zog eine weitere Mappe heraus. «Unsere Ermittlungen haben uns sprichwörtlich in einen ziemlich tiefen Kaninchenbau geführt. Wir haben die Spur eines Antiquitätenrings verfolgt, der angeblich griechische und ephesische Artefakte im Wert von mehreren Milliarden Dollar angesammelt hat, hauptsächlich auf unrechtmäßigem Weg.»

      «Sie meinen Diebstahl.»

      «Ganz recht. Schamloser Diebstahl sogar. Das Meiste davon geschieht unter der Nase der griechischen Behörden, die weder die Macht noch die Ressourcen haben, um es zu stoppen.»

      «Welchen Beweis haben Sie dafür?»

      «Ich will es Ihnen zeigen.» Langham zog einen Stapel Fotos aus der Mappe und warf sie auf den Tisch.

      Daniel sah durch die Bilder, die Kisten in einem Warenhaus und Nahaufnahmen von deren Inhalt zeigten – Marmorskulpturen, klassische schwarzfigurige Töpferei, Schmuck aus Bronze und Gold. «Wo wurden die aufgenommen?»

      «In einem Südlondoner Lagerhaus, angemietet von einem berühmten Galeristen, einem ägyptischen Kerl namens Ishaq Shammas. Einer unserer Agenten hat uns den Tipp gegeben, dass die Lieferung eine Büste von Apollon beinhaltete, die vor ein paar Jahren aus dem Olympia-Museum gestohlen wurde. Also sind wir hingegangen, um das zu überprüfen, und haben Mr. Shammas schließlich für den Handel mit Diebesgut festgenommen. Aber dabei haben wir etwas sehr Interessantes entdeckt. Zur Lieferung davor gehörte ein Dokument türkischen Ursprungs, das aus der Zeit der osmanischen Besatzung Griechenlands stammt. Laut dem Protokoll des Warenhauses war das Dokument vom Kaymakam – dem Großwesir – des Osmanischen Reichs unterzeichnet.»

      Daniel rieb sich die Augen. Die Kopfschmerzen, die ihn seit dem Absturz quälten, wurden stärker. «Wollen Sie sagen, dieser Typ war im Besitz des originalen Fermans?»

      «Das ist exakt das, was ich sagen will.»

      «Und was ist damit passiert?»

      «Das ist es, was wir nicht wissen. Vermutlich wurde er zusammen mit dem Rest der Lieferung an einen Sammler ausgehändigt, dessen Identität zu enthüllen Mr. Shammas verweigert hat, sogar nachdem er inhaftiert wurde. Inzwischen wurde er an Ägypten ausgeliefert und sitzt nun eine Strafe in einem ziemlich widerwärtigen Gefängnis in Kairo ab.»

      «Und was bedeutet das für Sie?»

      «Wir müssen die Information schlicht auf einem anderen Weg beschaffen. Was nicht schwer sein sollte, wenn man bedenkt, dass die Plünderung griechischer Artefakte weitergeht. Es gab Unmengen von Diebstählen in Griechenland und an der türkischen Küste, von welchen wir glauben, dass sie mit Mr. Shammas und seinem Hauptsammler im Zusammenhang stehen. Zu diesem Schluss kamen wir, als wir während der Durchsuchung der Galerie-Computer etwas entdeckten.» Er holte eine Zeichnung aus der Mappe. «Diese Darstellung war einer Email angehängt, die Mr. Shammas einem seiner Zwischenhändler geschickt hatte. Darin stand nur: Jeder Preis. Das Problem ist, kurz nach der Verhaftung wurde dieser Zwischenhändler erhängt in seiner Wohnung aufgefunden.»

      Daniel studierte die Künstlerskizze von einem goldenen Obelisken mit einem scharfen Ende wie dem eines Pfahls. Die fehlende Ausschmückung machte es schwierig, ihn einer Epoche zuzuordnen. Er hatte noch nie etwas Derartiges gesehen und stellte infrage, ob es überhaupt antik war. «Das verstehe ich nicht. Warum ist das wichtig?»

      «Wir wissen es nicht. Aber dank eines erstaunlichen Glücksfalls wissen wir, wo es ist. Und mit ihm steht und fällt unser Vorhaben, an diesen Sammler heranzukommen – und an das Dokument, welches rechtmäßig der britischen Regierung gehört.»

      «Kommt jetzt der Teil, in dem Sie mir sagen, was Sie von mir wollen?»

      Langham schloss die Mappe und legte sie in den Aktenschrank zurück. Er bedeutete Daniel, ihm zur Bibliothek zu folgen. Sie setzten sich einander gegenüber in rote, lederne Lehnsessel, die leicht nach Tabak rochen. Langham zog an einer nicht angezündeten Zigarre und begann: «Zusätzlich zu meinen Pflichten für die Regierung Ihrer Majestät fungiere ich auch als Vorsitzender der A.E.-Thurlow-Stiftung. Sie haben vielleicht davon gehört.»

      Daniel hatte davon gehört. Sie war eine der ältesten britischen Einrichtungen, mit einem Kapital von zwei Milliarden Pfund, und ein wichtiger Geldgeber für archäologische Forschungen weltweit. «Fahren Sie fort.»

      «Als wir Recherchen über diesen Obelisken anstellten und herausfanden, dass er sich in der Obhut eines kleinen Museums in Griechenland befand, entschieden wir uns für einen durchaus erheblichen Zuschuss für die örtliche Ephorie. Da sie sich in einer großen Notlage befanden, waren sie über die Nachricht hocherfreut – und bereit, alles zu tun, was wir verlangten. Unsere Bedingung war,