Friedrich Kirchner

Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe


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      Algorithmus (arab. = Rechenbuch) ist zunächst der Personenname des Arabers Muhammed Ibn Musa Alchwarizoni, dessen Rechenbuch (Anf. des IX. Jahrh.) im Westen durch Übersetzungen verbreitet wurde. Er nahm in den lateinischen Übersetzungen des Buches die Form Algorithmi an. Später verstand man unter Algorithmus ein Rechenbuch oder die Rechenkunst. – Das Rechenbuch des Alchwarizoni vermittelte dem Abendland die Kenntnis der Null und des indisch-arabischen Rechnens. Es bildete sich daher im 12ten Jahrh. eine Schule der Algorithmiker, die den Sieg über die von Papst Gerbert (Sylvester II., 940-1003) herstammende Schule der Abacisten (von abacus = Rechenbrett) davontrug. – Unter logischem Algorithmus versteht man jetzt die in der Gegenwart eifrig betriebenen Versuche, die logischen Operationen durch ein besonderes Zeichensystem und Rechnungsverfahren zu ersetzen. Vertreter dieser Bestrebungen sind in Deutschland vor allem Schroeder, in England Mc-Coll, in Amerika Peirce, in Italien Peano u. a. Vgl. Reinaud, Mémoire géographique etc. sur l'Inde. Paris 1849. Tropfke, Gesch. d. Elementarmathematik. Leipzig 1902/3. Teil I S. 13 u. 14.

      Alienation (lat. alienatio = Entfernung, Entäußerung) heißt die Geisteszerrüttung. Vgl. Abalienation.

      alieni iuris homo heißt ein Mensch von rechtlicher Unselbständigkeit; Gegensatz ist: sui iuris homo.

      aliis ne feceris, quod tibi fieri non vis (lat.) heißt: Was du nicht willst, daß man dir tu', das füg' auch keinem andern zu; dieser Satz ist ein sehr einfaches und vielfach brauchbares Moralprinzip, welches schon im Neuen Testament Matth. 7,12 steht.

      aliud sceptrum, aliud plectrum heißt: Scepter und Zither sind nicht ein und dasselbe. Der Satz bedeutet: jede Beschäftigung, jeder Stand erfordert besondere Fähigkeiten.

      All oder Universum (lat.) ist der Inbegriff aller Dinge. Im Griechischen heißt All: pan (pan), daher nennen wir die Auffassung, welche das All-Eine (hen kai pan) als Gott setzt, Pantheismus (s. d.). Aristoteles Metaph. IV, 26 1024 a 1-3 nennt All (pan) ein Quantum mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende, bei dem die Stellung der Teile keinen Unterschied ausmacht, dagegen ganz (holon) ein solches Quantum, bei dem die Stellung der Teile einen Unterschied ausmacht (tou posou echontos archên kai meson eschaton, hosôn men mê poiei hê thesis diaphoran, pan legetai, hosôn de poiei, holon).

      Allegorie (gr. allêgoria Andersreden, bildliche Redeweise) ist im engeren Sinne die sprachliche Darstellung eines Gegenstandes oder Vorgangs durch einen sinnfälligen anderen, im weiteren Sinne überhaupt ein Bild, welches sich selber zeigt, aber auch zugleich ein anderes Sinnfälliges oder Gedankenhaftes darstellt. Die nicht nachahmenden Künste, Musik und Architektur, sind keiner Allegorie fähig, wohl aber die nachahmenden, die Bildhauerkunst, die Malerei und vor allem die Poesie. Der poetische allegorische Ausdruck heißt auch bildliche Redeweise, Metapher. Die Poesie verwendet zu ihrem Ausdruck vergleichende anthropomorphe und personifizierende Allegorien; die vergleichende Allegorie vertauscht ähnliche Gegenstände derselben Art, die anthropomorphe verkörpert Geistiges, die personifizierende stellt Körperliches persönlich dar. Allegorische Dichtungsarten sind die Fabel und die Parabel.

      allegorische Auslegung ist die Methode, die Bibel so auszulegen, daß den der religiösen Auffassung einer späteren Zeit, als die Entstehungszeit der biblischen Schrift ist, widersprechenden Stellen ein anderer Sinn untergelegt wird; dabei wird aber natürlich die grammatisch-historische Methode verletzt. Aus übertriebener Ehrfurcht vor dem Buchstaben und dem historisch Gegebenen und aus Willkür entspringend, verfällt die allegorische Auslegung in Willkür und Gewaltsamkeit.

      Alleinheitslehre, s. Pantheismus, Monismus.

      Alleinherrschaft, s. Staatsverfassung.

      Allgegenwart (omnipraesentia) bezeichnet in der christlichen Dogmatik diejenige göttliche Eigenschaft, daß Gott an jedem Orte zugleich ist. Sie wird zu den operativen oder transeunten Eigenschaften Gottes gerechnet, die das Bestehen der Welt voraussetzen, und wird bald zu der Allmacht, bald zu der Allwissenheit in Beziehung gesetzt. Nach Schleiermacher ist Gott durch seine Allgegenwart die alles Räumliche und den Raum selbst bedingende Ursächlichkeit. Vgl. Allmacht.

      allgemein (universal oder generell) heißt dasjenige, welches einer Gesamtheit von Gegenständen in gleicher Weise zukommt; das Allgemeine ist also je nach dem Umfang der Gesamtheit das der Art oder das der Gattung Angehörige. Sein Gegensatz ist das Besondere und in letzter Linie das Einzelne. Der Allgemeinbegriff (Klassenbegriff) faßt die Merkmale zusammen, welche einer Gesamtheit von Gegenständen zukommen, z. B. Fisch. Sein Gegensatz ist der Sonderbegriff der Einzelbegriff, der die Merkmale des Individuums enthält, z. B. der Brocken, der Kohinor, Sokrates. Die Allgemeinheit bildet eine Stufenfolge der Begriffe, in der immer der eine Begriff allgemeiner ist als der andere. Weil dem weniger allgemeinen Begriff gewisse Merkmale eigentümlich sind, die der mehr allgemeine Begriff nicht enthält, kann man weder vom Einzelnen noch vom Besonderen aufs Allgemeine schließen, sondern nur umgekehrt. Was von Sokrates gilt, gilt keineswegs von jedem Athener. Aber was von allen Athenern gilt, gilt auch von Sokrates. Platon (427-347) und Aristoteles (384-322) schrieben dem Allgemeinen einen höheren Wert zu als dem Besonderen und Einzelnen; aber Platon lieh dem Allgemeinen gesonderte Existenz, Aristoteles suchte das Allgemeine im Einzelnen. Über den Streit der Scholastiker um die Universalien vgl. Universalien, Nominalismus, Conceptualismus, Realismus.

      Allgenugsamkeit (Aseïtät) bezeichnet in der christlichen Dogmatik Gottes völlige Unabhängigkeit von der Welt; Gott ist nur von sich (a se) abhängig.

      Allheit (Totalität) heißt eine Vielheit von Gegenständen, sofern sie als Einheit gedacht wird und neben ihr gleichartige Gegenstände nicht vorhanden sind, z. B. Volk, Menschheit, Welt. Kant (1724-1804) erklärt: Allheit ist »nichts anderes als die Vielheit als Einheit betrachtet« (Kr. d. r. V., II. Aufl., S. 111). Diese Erklärung bedarf des obigen einschränkenden Zusatzes.

      Allmacht (omnipotentia) bedeutet in der christlichen Dogmatik das unbeschränkte Können Gottes. Nach Schleiermacher (1768-1834) faßt die Allmacht Gottes sich in den Sätzen zusammen: 1. Alles was ist und geschieht, kommt von Gott; 2. Alles was in Gott ist, wird verwirklicht. Gott ist also nach Umfang und Intensität absolute allwirksame Ursächlichkeit.

      Allotriologie (vom gr. allotriologeô = Fremdes reden) heißt die Einmischung fremder Dinge in einen Vortrag; dies kann ein dialektischer Kunstgriff, aber auch ein Akt der Zerstreutheit oder der Zerfahrenheit sein.

      Allsinn nannte die Identitätsphilosophie Schellings (1775-1854) die Einheit von innerem und äußerem Sinne; der Allsinn sollte, über die Formen der Zeit und des Raumes hinausgerückt, eine unmittelbare Erkenntnis des allgemeinen Lebens der Dinge gewähren. Er sollte zwar eines besonderen Organs entbehren, aber doch als Komplement der Vernunft, Verstand und Anschauung in sich vereinigen, weswegen er auch »anschauender Verstand« genannt wurde. G. M. Klein, Anschauungs- und Denklehre. Bamberg 1824. § 77. Schon bei Kant kommt die Idee eines intuitiven Verstandes vor, aber nur im Gegensatz zum menschlichen und nur problematisch gedacht.

      Allweisheit heißt in der christlichen Dogmatik die vollkommene Verbindung des Wissens und Wollens in Gott. Schleiermacher (1768-1834) bestimmt sie als Vollkommenheit der Liebe.

      Allwissenheit (lat. omniscientia) ist in der christlichen Dogmatik eine Eigenschaft Gottes, die Schleiermacher (1768-1834) als die schlechthinige Geistigkeit der Allmacht bestimmt.

      Aloger (gr. alogos) hießen die Leugner der Logoslehre im 2. Jahrh.; auch die Socinianer im 17. Jahrh. hießen so, weil sie in Christus einen wirklichen Menschen sahen.

      alogisch