Friedrich Kirchner

Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe


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bloß Erfindung, Anspruch auf Gefallen oder Mißfallen erlangt. Beim Schönen handelt es sich also um ein Bild, und die Ästhetik darf weder mit der Kunstgeschichte noch mit der Metaphysik verwechselt werden. Der Grund für das ästhetische Gefallen liegt nicht in den unverbundenen Teilen (der Materie) einer Vorstellung, sondern nur in deren Verbindung zu einem Ganzen (ihrer Form). Diese gefallen entweder wegen ihrer Stärke (Quantität), oder wegen ihres Inhalts (Qualität), d. h. es gefällt das Große und das Harmonische. Die Zusammenfassung beider in ein der Form des Charakteristischen entsprechendes Nachbild, eines die Formen der Vollkommenheit (Größe, Fülle, Ordnung), des Einklangs, der Korrektheit und des abschließenden Ausgleichs an sich tragenden Vorbildes erzeugt das Schöne. Die Durchführung jeder einzelnen Elementarform innerhalb eines Gesamtbildes führt zu den abgeleiteten Formen des ästhetischen Reinheits-, Freiheits-, Wahrheits- und Vollkommenheitssystems.

      Eigene Wege in der Ästhetik gehen Jean Paul (»Vorschule der Ästhetik« 1804), A. Schopenhauer (»Die Welt als Wille und Vorstellung«, 3. Buch, 3. Aufl. 1859), J. H. v. Kirchmann (»Ästh. auf realist. Grundlage« 1868) und E. v. Hartmann (»Philosophie des Schönen« 1888).

      Der Ästhetik hat, wie ihre Geschichte zeigt, bisher die richtige Methode gefehlt. Sie ist zu sehr den Bahnen der Metaphysik gefolgt. Die richtige Methode der Ästhetik kann nur die empiristische sein. Von der Beobachtung des Naturschönen und der auf die Kunstgeschichte gegründeten Kritik hat alle ästhetische Forschung auszugehn. Denn jedes Naturprodukt trägt seine eigene Schönheit in sich, und jedes Kunstwerk ist national, historisch und individuell bestimmt. Daneben freilich hat die Ästhetik das Wesen der Natur und des Menschen nach ihrer Allgemeinheit und Gesetzmäßigkeit zu untersuchen. An die biologischen und psychologischen Voraussetzungen haben sich Untersuchungen über das Wesen des künstlerischen Schaffens zu schließen, um endlich die Künste im einzelnen betrachten zu können. Die Ästhetik muß also nicht von der Metaphysik, sondern von der Erfahrung ausgehen; nicht der Begriff des Schönen, sondern das Wesen der einzelnen Schönheit ist ihre Basis. Ein absolutes Schöne gibt es höchstens als Ideal; in der Wirklichkeit existiert stets nur das Schöne eines bestimmten Gegenstandes. Die Gliederung der Ästhetik erfolgt, indem mit den Untersuchungen über die subjektiven und objektiven Bedingungen der Gefühle des Schönen und der ihm verwandten Gefühle begonnen, dann das Schöne der Natur und zuletzt das ganze Gebiet der Künste durchmessen wird. Vgl. C. Köstlin, Ästhetik 1863-1869, C. Lemcke, Populäre Ästhetik, 4. Aufl. 1873, und R. Prölss, Katechismus der Ästhetik 1878. J. Cohn, psychologische oder kritische Begründung der Ästhetik. Arch. f. system. Philos. 1904. H. Cohen, Kants Begründung der Ästhetik 1889.

      ästhetisch heißt im weiteren Sinne jeder Begriff, der in den Kreis der Ästhetik fällt, also auch außer dem Begriff des Schönen der Begriff des Anmutigen, des Reizenden, des Hübschen, des Niedlichen, des Komischen, des Häßlichen, des Furchtbaren, des Tragischen, des Erhabenen usw.; im engeren Sinne dagegen ist ästhetisch nur der Begriff des Schönen, Geschmackvollen. Kant (1724-1804) nennt in der Kritik der reinen Vernunft eine Vorstellung ästhetisch, wenn ihr die Form der Sinnlichkeit anhängt und diese daher auf das Objekt, d. h. als Phänomen (s. d.), übertragen wird; in der Kritik der Urteilskraft heißt ihm dagegen dasjenige ästhetisch, dessen Bestimmungsgrund nicht anders als subjektiv sein kann.

      Äternität (lat. aeternitas) heißt Ewigkeit.

      Äther (gr.), bei Hesiodos der Sohn des Erebos (Dunkel) und der Nyx (Nacht), heißt zunächst bei den Griechen ein mythisches Wesen, eins der Grundwesen, aus denen die Welt entstanden sein soll; die orphischen Hymnen feiern ihn als Weltseele. Später erscheint er in der Philosophie bei den Hylozoisten (s. d.) als das Wärmeprinzip neben den vier Elementen, Wasser, Feuer, Luft und Erde, und noch später, namentlich auch bei Aristoteles (384-322), als die höchste fünfte Substanz (daher: Quintessenz!), der alles Sein und Denken entstammt. – Die moderne Physik nimmt an, daß ein überaus feiner und elastischer Stoff durch den Weltraum und in den Zwischenräumen der kleinsten Teile des Körpers verbreitet sei, aus dessen Schwingungen sie die Erscheinungen des Lichts, der Elektrizität und dergl. erklärt. Daher sind manche neuere Philosophen, z. B. Ph. Spiller auf die Idee gekommen, den Äther wieder als Gott zu setzen. – Naturwissenschaftlich wird der Äther noch sehr verschieden gedeutet, und wir sind in der Hauptsache noch in Unkenntnis über seine Beschaffenheit. Nach Fresnel (1788-1804) ist der Äther ein sehr elastisches Mittel von unkonstanter Dichtigkeit, während andere ihm konstante Dicke und veränderliche Elastizität beilegen. Nach Lord Kelvin (geb. 1824) ist er ein festes elastisches Mittel, dessen Starrheit 1/10000000 des Stahls und dessen Dichte 1-17 des Wassers beträgt. Stockes (geb. 1819) gibt ihm die Konsistenz einer dünnen Gallerte, da er sich den Lichtschwingungen gegenüber als fester Körper verhält, bei dem allein transversale Schwingungen vorkommen. Im allgemeinen versteht man also heute unter Äther nichts als ein Ding, das Wärme, Elektrizität und Licht verbindet, ohne zu wissen, welcher Art diese Verbindung ist. Vgl. Spiller, Gott im Lichte der Naturwissenschaften, Leipzig 1883.

      Ätherleib nennt J. H. Fichte (1796-1879) mit anderen Spiritualisten den von der Seele unmittelbar gewirkten Leib; er versteht darunter nicht den äußerlichen, sichtbaren, tierischen, sondern einen inneren, unsichtbaren Geistleib. (Vgl. Fichtes »Anthropologie« S. 273 f.) Danach besteht also der Mensch aus Geist, Ätherleib und Außenleib. Ähnlich lehrte schon der Neuplatoniker Porphyrios (233-304).

      Ätiologie (griech. aitiologia von aitia Ursache und logos Wort, Lehre), die Lehre von den Ursachen und ihren Wirkungen, gilt gewöhnlich als der zweite Teil der spekulativen Metaphysik, während der erste, die Ontologie, vom Wesen der Dinge und der dritte, die Teleologie, von dem Zwecke derselben handelt.

      Äußeres und Inneres sind Korrelate, d. h. Verhältnisbestimmungen, die sich aufeinander beziehen. Das Äußere für uns ist zunächst unser Leib, dann alles, was wir mit den Sinnen wahrnehmen können, die Außenwelt. Das Innere dagegen ist das unmittelbar im Bewußtsein Erlebte.

      Affekt (lat. affectus = Gemütszustand, gr. pathos) heißt eine vorübergehende, zusammenhängende, stärkere Gemütsbewegung, welche durch äußere Ursachen oder psychische Vorgänge veranlaßt wird und unseren geistigen und leiblichen Zustand stark beeinflußt. Der Affekt hat eine bestimmte Entwicklung, in welcher Anfangsgefühl, Vorstellungsverlauf und Endgefühl unterschieden werden können. Bewußtseinsstärke, Willen, Blutumlauf, Atmung, Absonderung der Drüsen, Muskeltätigkeit und Gliederbewegungen werden durch den Affekt entweder gefördert oder gehemmt. Im Affekt gerät der Mensch, wie man sagt, »außer sich«. Die Wucht, mit der die Affekte auftreten, und die Art, wie sie verlaufen, richtet sich einerseits nach der Konstitution und dem Temperament, nach der Erziehung und dem Bildungsstandpunkt des Menschen, andrerseits nach dem äußeren Anlaß.

      Kant (1724-1804) definiert den Affekt als das Gefühl einer Lust oder Unlust im gegenwärtigen Zustande, welche im Subjekt die Überlegung (die Vernunftvorstellung, ob man sich ihm überlassen oder weigern solle) nicht aufkommen läßt, (Anthrop. § 70) oder als Überraschung durch Empfindung, wodurch die Fassung des Gemüts (animus sui compos) aufgehoben wird. (Anthrop. § 71). Man kann die Affekte mit ihm einteilen in sthenische (wackere), welche unser Lebensgefühl fördern, und asthenische (schmelzende), die es hemmen (Anthrop. § 73), oder mit Nahlowsky in aktive und passive oder mit Drobisch in Affekte der Überfüllung und Entleerung. Zu jenen gehören z. B. Zorn, Freude, Begeisterung; zu diesen Scham, Furcht, Verzweiflung. Jene sind dem Rausch, diese der Ohnmacht vergleichbar. Möglich ist auch eine Einteilung der Affekte in allgemeine und besondere. Jene bestehen in einem gesteigerten Gefühl der Lust und Unlust, ohne daß sie eine besondere Eigenart zeigen. Diese dagegen sind 1) Affekte der Erwartung: so Ungeduld, Hoffnung, Verzweiflung, Furcht, Schreck, Überraschung. Sie gründen sich 2) auf ästhetisches Wohlgefallen resp. Mißfallen: so Bewunderung, Schwärmerei, Entzücken und ihr Gegenteil. Sie sind 3) intellektuelle Affekte: so Verlegenheit, Verblüffung, Staunen, Begeisterung. Es gibt 4) moralisch-religiöse Affekte: so Entrüstung, Rührung, Scham,