aufgrund herausragender Denkinnovationen eine »paradigmatische Epoche«60 darstellt.
Um verstehbar zu machen, worin denn der originelle Beitrag dieses ›paradigmatischen Zeitalters‹ besteht, unternimmt Blumenberg zunächst eine Kennzeichnung jener traditionellen Deutungen des Seins, gegen die eine mittelalterliche Ursprünglichkeit errungen worden ist. Er verweist auf vier aus der Antike herkommende Seinsverständnisse, die nicht zureichen sollen, das Sein in seiner Geschichtlichkeit angemessen zu denken: Zu ihnen gehören das Sein 1. als ›Hergestelltsein‹ begriffen, 2. als ›Vorhandenheit‹ aufgefasst, 3. als ›Wesenheit‹ interpretiert und 4. als ›Gegenständlichkeit‹ verstanden. Diese Aspekte verlangten nach einer ausführlicheren Darstellung; ich beschränke mich auf Stichworte, die jenen Hintergrund, vor dem sich die Ursprünglichkeit mittelalterlichen Denkens profiliert, andeuten.
Schon Heidegger hat es als für ein angemessenes Seinsverständnis irreführend beschrieben, wenn Seiendes als Seiendes durch Rückführung auf ein anderes Seiendes in seiner Herkunft bestimmt wird. Blumenberg pflichtet ihm bei, »der Grund von Sein« ließe sich »nicht aufweisen im Zurückverfolgen des Herkunftzusammenhanges zwischen Seiendem«.61 Der Umstand, dass ich das Kind meiner Eltern bin, erklärt nicht den Grund meines Seins überhaupt.
Inbegriff des Hergestellten ist für Heidegger wie für Blumenberg das Vorhandene, das über benennbare Eigenschaften verfügt, das abgesetzt und in sich geschlossen, das Fall und Exemplar einer Gattung ist und dabei gleichsam nur einen »›Rest‹ der ursprünglichen Zugänglichkeit von Sein«62 darstellt.
Ebenso unzureichend ist die Bestimmung des Seins als Wesenheit, also als substanzartige, unveränderliche Washeit von Seiendem. Denn in dieser Denkart wird jeder individuelle Mensch zu einer Aktualisierung der Wesenheit ›Mensch‹; gerade das dabei unverstandene Moment der Existenz des Menschen als Dasein wird dabei verfehlt, oder um es anders zu sagen: Die Faktizität der Existenz kommt nicht angemessen in den Blick, solange ein essenzialistisches Denken die Blickrichtung auf das Seiende als einer Realisierung einer ungeschichtlichen Washeit vorgibt.
Schließlich ist es irreführend, das Sein mit Gegenständen zu identifizieren. Vergegenständlichung ist die fundamentale Leistung des wissenschaftlichen Verhaltens, die freilich um den Preis erkauft ist, die Transzendenz alles Seienden außer Acht zu lassen, ist doch die Welt als Horizont aller Gegenstände nicht selbst ein Gegenstand, vielmehr das »unvergegenständlichte ›Worin‹ der Dinge«.63 Alle vier Seinszugänge, nur das soll hier angedeutet werden, stellen Verengungen dar, Reduzierungen auf einen Aspekt und somit ein Verfehlen des Seins in seiner Ganzheit.
In einem zweiten Schritt entfaltet Blumenberg den Nachweis eines ursprünglichen Seinsdenkens im christlichen Mittelalter. Für Heidegger betrachtet die mittelalterliche Ontologie das Sein ganz traditionell als etwas Hergestelltes. In christlicher Lesart ist es Gott, der das Sein geschaffen hat, sodass es mit Blick auf seinen Schöpfer zu verstehen sein soll. Damit bleibe das Mittelalter gefangen in den Grenzen antiken Seinsdenkens, denn »Geschaffenheit … im weitesten Sinne der Hergestelltheit von etwas«, heißt es bei Heidegger, sei »ein wesentliches Strukturmoment des antiken Seinsbegriffes«.64 Blumenberg dagegen widerspricht, es sei schon der im Alten Testament ausgebildete Schöpfungsgedanke einzigartig, und es ist für ihn Augustinus, der dem Denken einer »absoluten Seinssetzung«65 einen theologischen Boden bereitet hat. Heidegger unterschätze und verharmlose die Theologie der Schöpfung, da er sie vorschnell auf antike Denkweisen zurückführe, ohne deren Originalität in den Blick zu nehmen: »Der Schöpfer ist nicht äußerstes Erklärungsprinzip oder gar nur letzte metaphorische oder mythische Zuflucht des Fragens, sondern Person von der ganzen Dichte bezeugter Wirklichkeit. Schöpfung ist erfaßt als das aus der Tiefe der personalen Spontaneität hervorgehende, im willentlichen Entschluß ansetzende Tun Gottes. Schöpfung ist deshalb letztes Woher des Gründens, über das hinaus es kein Rückfragen gibt. Sie ist willentliche Setzung, und damit ist der Seinsgrund selbst willentlich. Alle deutenden Zugriffe, ihn zu rationalisieren und motivieren, müssen an dieser absoluten Willentlichkeit scheitern.«66
Damit hat Blumenberg ein Motiv eingeführt, das die Antike so nicht gekannt hat: die Uneinsehbarkeit des Willens, der sich jeder Rationalisierung seiner Motivation entzieht. In Platons Timaios hatte der Demiurg als der Weltschaffende auf die ewigen Ideen als zeitlose Vorbilder geschaut, für Aristoteles war der Kosmos ungeschaffen und ewig. Erst für Augustinus wird das Sein radikal abhängig vom schöpferischen Willen eines Gottes, der mit dem Senkblei der Vernunft nicht zu ergründen ist. Das klassische Herstellungsschema ist damit durchbrochen, nach dem das eine durch seine Herkunft vom anderen verstanden werden soll. Die Radikalität dieses Seinsbeginns hat bei Augustinus ihren Ausdruck in der Rede von der ›Schöpfung aus dem Nichts‹ gefunden, der creatio ex nihilo. Der anthropologische Hintergrund dieses Denkens ist die spontane Kraft des menschlichen Willens, die so uneinsehbar ist wie die Gottes. Was in dem Seinsdenken des Augustinus vorliege, sei somit »keine Synthese antiker und christlicher Konzeptionen«, vielmehr gelte, »daß hier ›von Grund auf neu‹ gefragt und philosophiert wird, ohne daß freilich ein Bruch der Geschichtlichkeit auftritt«,67 die Innovation verbirgt sich gleichsam unter der Oberfläche einer durchgehaltenen traditionellen Kontinuität.
Die christliche Erfahrung von Personalität aufgrund der Freiheit des Willens, sowohl des Menschen als des Gottes, ist für Blumenberg ein so neues und nachantikes Motiv, dass es nach einer ursprünglichen Vergewisserung verlangte. Man denke nur an die autobiographischen Bekenntnisse von Augustinus, die Confessiones, die ein Zeugnis der Rechenschaft über den individuellen Lebensverlauf in epochalem Maßstab darstellen. Dabei gilt für Blumenberg als ausgemacht, dass das Individuelle »für die unmittelbare Erfahrung das Erstgegebene und als solches Fraglose« ist, unsere philosophische Tradition aber sei »von Anfang an bestimmt durch die Verwunderung über die Möglichkeit des Begriffs in seiner Allgemeingültigkeit«.68 Alles Individuelle sei daher lediglich als ein exemplum eines Allgemeinen begriffen und in seiner Einzigartigkeit verkannt worden. Der Zusammenhang des individuellen Willens und der Personalität ist erst dem mittelalterlichen Denken aufgegangen.
Bereits hier taucht eine Lesart auf, die für Blumenbergs weitere Studien zum Mittelalter und zur Genese der Neuzeit bestimmend sein sollte: Für ihn ist Gott nicht zuerst absolute Vernunft, sondern absoluter Wille. Blumenberg verfolgt daher nicht zuerst die Geschichte des theologischen Intellektualismus, sondern die des Voluntarismus. Eine der zentralen Auskünfte ist für ihn daher die Antwort des Augustinus auf die Frage, warum Gott die Welt geschaffen hat: Quia voluit, weil er es wollte!69 Das bedeutet, »daß die Frage nach dem Seinsgrund nicht wiederum auf Seiendes zurückgehen kann, das heißt, daß das Gründen von Sein nicht nach dem Schema des Ursachenzusammenhanges zwischen Seiendem interpretiert werden darf«.70 Der uneinsehbare Wille Gottes entzieht sich ja jeder kausalen Dechiffrierung.
Daher ist die Welt nicht länger notwendig, sie ist auch nicht zufällig, sondern ›kontingent‹, ist sie doch vom freien Willen Gottes abhängig. Der Gedanke der Kontingenz der Welt ist ein zentrales Motiv der Doktorarbeit und der gesamten Philosophie Blumenbergs. Einen seiner Lexikonartikel hat Blumenberg dem Begriff der Kontingenz gewidmet und darin darauf verwiesen, Kontingenz sei »einer der wenigen Begriffe spezifisch christlicher Herkunft in der Geschichte der Metaphysik«.71 Damit ist eine nachantike Dramatisierung des Weltbezugs vollzogen, denn »die Welt ist kontingent als eine Wirklichkeit, die, weil sie indifferent zu ihrem Dasein ist, Grund und Recht zu ihrem Sein nicht in sich selbst trägt. Das Sein der Welt nimmt Gnadencharakter an. Der antike Kosmos war weder in seinem Ursprung noch in seinem Bestand einem absoluten Willensakt zugeordnet. Er war die volle Ausschöpfung des eidetisch Seinsmöglichen. Seitdem aber Augustin auf die Frage, warum Gott die Welt geschaffen habe, mit dem ›Quia voluit‹ geantwortet hatte, beruhte die Welt auf einem unbefragbaren Hoheitsakt.«72 Das christliche Mittelalter ist somit nicht – wie es Heidegger in seiner Verfallsgeschichte des Seinsdenkens insinuiert – eine Fortsetzung der Denkfehler der Antike mit anderen Mitteln, sondern ein Neueinsatz ursprünglichen Denkens, das der Wirklichkeitserfahrung gesteigerter Individualität, der Willensfreiheit und der spannungsvoll bedachten Kontingenz Ausdruck verliehen hat: »Die Reflexion des Mittelalters,