und somit vorrangig als Leistung und nicht nur als Herausforderung begreifen. Hier aber ist es erst die errungene Zuschauerposition des Theoretikers, die jene mythische Welt auf Distanz setzt und eine Selbstbehauptung gegen die ominösen Mächte erringt: »Die griechische Geistesgeschichte ist die Bewährung des menschlichen Selbstandes gegen das im Mythos waltende Seinsverständnis«,121 wie Blumenberg am Vorgang des Sehens illustriert: Bei Homer gebe es kein unbeteiligtes Sehen, stets sei der Sehende betroffen und ergriffen, die Welt dränge sich als Angeschaute geradezu auf. ›Theorie‹ dagegen kultiviert jene Distanz, die das Gesehene zu einem Gegen-Stand macht und so die ›Besessenheit‹ durch das in den Blick Genommene unterbindet. Zur Entmächtigung des Mythos gehört die Betrachtung der Welt als ›Kosmos‹, also als eine geordnete und schöne Wirklichkeit, deren Strukturen von uns – etwa mithilfe der Geometrie – gedacht werden können. Diese Vergegenständlichung der Welt macht den Menschen zum unbeteiligten Betrachter. »Selbstand und Gegenstand sind die strengen Korrelate innerhalb dieses Seinsverständnisses; die Auffassungsmöglichkeit des Seienden als Gegenstand ermöglicht den Selbstand – und umgekehrt.«122
Die unterstellte Logizität der Welt ermöglicht und intendiert eine Erkenntnisweise des Menschen, die dem Fluss des steten Wandels dauernde Identitäten abringt. Schon die Durchsetzung der Buchstabenschrift ist für Blumenberg eine »kaum faßbare Distanzierung«123 des Lautflusses menschlicher Rede, ermöglicht sie doch das Auflösen des Redens in seine Elemente und seine neue Zusammensetzung. Und während das Demonstrativpronomen ganz an eine Situation, einen Standort, einen Zeitpunkt gebunden ist – ›dieses Pferd hier‹ – überwinden der unbestimmte und bestimmte Artikel diese Kontextgebundenheit, wenn allgemein von ›einem Pferd‹ oder von der Spezies ›des Pferdes‹ die Rede ist.
Platon hat im Phaidon davon gesprochen, der Versuch, das Wirkliche unmittelbar zu sehen und sich mit allen Sinnen darauf einzulassen, führe zur Erblindung. Daher sei das Denken gezwungen, sich in die Logoi zu flüchten. »Der Mensch mag noch so sehr philosophierend ›sich aussetzen‹, über das Bildhaft-Annähernde, über das vermittelte Sehen ›in‹ und ›an‹ kommt er nicht hinaus. Die ontologische Distanz, wie Plato sie entdeckt, ist nicht ein methodisches Standortproblem oder eine Frage der Entschlossenheit des Denkens und seiner Leistung, sondern es ist die mit unserem Dasein selbst gegebene unaufhebbare ›Jenseitigkeit‹ und Entzogenheit des Seins.«124 Auch Aristoteles vollzieht für Blumenberg mit seiner Metaphysik einen »Rückzug in den Logos«.125 Für Aristoteles ist jedes Seiende ein Kompositum aus einer materialen und sinnlich wahrnehmbaren Hülle und einem nur gedanklich zugänglichen, formalen, unwandelbaren und intelligiblen Kern. Dieses zeitlose ›Wesen‹, diese ousia, diese essentia gilt es zu denken. Mit dieser metaphysischen Richtungsentscheidung ist die »Beheimatung im ›Logischen‹, letztlich: die ontologische Distanz«126 zum Ziel der Philosophie gemacht. Das »auf Distanz hin interpretierte Erkennen«127 entledigt sich dabei dem konkreten ›Rest‹ des Materiellen, der das Singuläre und Individuelle ausmacht, durch Nichtbeachtung. Jedes konkrete Seiende ist nichts als ein Exemplar der ihm innewohnenden Urform. Das nur ihm Zukommende ist der Aufmerksamkeit nicht wert. »Solches Ausgelassensein des Unfragwürdigen impliziert die Entschiedenheit der ontologischen Distanz.«128 Die Erfassung der Substanz als der unwandelbaren intelligiblen Form kommt einer Ausrichtung auf eine Zeit- und Geschichtslosigkeit gleich. Damit aber verstellt sich Aristoteles die Einsicht in die Unselbstverständlichkeit, dass überhaupt Sein ist und nicht Nichts. »Die Bestürzung vor dem Sein als Sein und noch ›diesseits‹ seines So-und-so-seins ist Aristoteles – und mit ihm allem wissenschaftlichen Denken – unbekannt.«129
Mithilfe der ontologischen Distanz wird also ein sicherer Stand eingenommen, freilich um den Preis der Ausblendung jener ursprünglichen Unmittelbarkeit des Seienden als Faktizität und Singularität. Im Grunde greift Blumenberg hier Einsichten seiner Doktorarbeit wieder auf, indem er das Problem der Individuation – dem sich unter schöpfungstheologischen Vorzeichen das Mittelalter zugewendet hat – gegen ein Universaliendenken in Stellung bringt. Für die Profilierung der ontologischen Distanz sind daher die Umbrüche, die programmatischen Einbrüche von besonderer Bedeutung. Der »Zusammenbruch des griechischen Seinsverständnisses« in der spätantiken Gnosis als »Entmächtigung der im ›Kosmos‹ versicherten ›Autarkie‹ des Denkens«130 ist dabei von einer Prägnanz, derer sich Blumenberg noch in der Legitimität der Neuzeit von 1966 bedienen wird. Der Gnosis wird der Kosmos zu einer befremdenden Unheimatlichkeit. Was Ordnung war, wird zum Kerker. Was als Beheimatung im Logos entworfen wurde, ist nun die Fremde, aus der erlöst zu werden nicht in unserer Macht liegt. Die Welt selbst wird zu etwas Dämonischem, der Leib zum Gefängnis, es bleibt nur die Flucht in eine Innerlichkeit, wo die Welt keinen Halt mehr bietet. Der erlösende Gott ist der fremde Gott, die Heimat im Ungekannten. »Nicht kehren die Menschen durch Erlösung in ihr Vaterhaus zurück, sondern eine herrliche Fremde ist aufgetan und wird ihnen zur Heimat«,131 so hat Adolf von Harnack das gnostische Versprechen formuliert.
Diese Art von Umbruch in der Weltorientierung, durch die die errungene ontologische Distanz erschüttert wird, nennt Blumenberg ›Metakinese‹. Für die Frage nach der Geschichtlichkeit der Geschichte stellt sie den Schlüsselbegriff dar. Schon in seiner Doktorarbeit war mit Blick auf die Geschichte von den »Metakinesen ihrer Horizonte«132 die Rede, und noch in den Paradigmen zu einer Metaphorologie wird Blumenberg die »Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen«133 heranziehen. Aber nur in der Habilitationsschrift, wo er von der »Metakinese des Wiklichkeitsbewußtseins« und den »Metakinesen des geschichtlichen Sinnhorizontes«134 spricht, erläutert er diesen Begriff näher. Er schließt mit ihm an die Gnosis-Studien von Hans Jonas an, denen er sich ausdrücklich »sehr verpflichtet«135 weiß. Das meta ist für Jonas die »fundamentale Bewegungskategorie«136 gnostischer Sprache. Bis in den Begriffsgebrauch hinein vollzieht sich somit die Umwertung des Kosmos. Auch bei Blumenberg geht es nicht um die vordergründige Bewegung der ›Geschichte‹ im Sinne einer philosophisch vergewisserten Kontinuität, sondern eben – in den herangezogenen Worten von Jonas – um die Erfassung der »fundamentalen Bewegungskategorie«137 des geschichtlichen Hintergrundes. Ein einziges Mal spricht Blumenberg auch vom komplementären Begriff der »Metastatik« als der Kontinuität von »Sinn von Augenblick zu Augenblick«.138 In einer Fußnote versteckt führt Blumenberg dazu aus, die Mächtigkeit des traditionell Überkommenen in der Geschichte habe eine »ganz bestimmte Wurzel, nämlich den unabdingbaren Zug des geschichtlichen Lebens auf Erhaltung der Kontinuität des Wirklichkeitsbewußtseins« – das sei die üblicherweise in den Blick genommene Geschichte der Philosophie als bruchlos zusammenhängende Entfaltung eines werdenden Selbstbewußtseins –, die »Metakinetik des Geschichtlichen« dagegen ist dem Menschen »als offenkundige unerträglich; sie stellt seine Weltgewißheit infrage. Sie verbirgt sich daher hinter dem Schein der Kontinuität, den die Tradition erstellt.«139 Metakinesen zwingen das Denken, in der Terminologie der Doktorarbeit gedacht, zu ursprünglichem Denken, das ohne das Geländer der Tradition die erlittene geschichtliche Situation zu erfassen hat.
In Momenten des Zusammenbruchs der ontologischen Distanz ereignet sich die Geschichte als Metakinese, als Versagen der traditionellen Orientierung. Der ›Sinn von Geschichte‹ – Heidegger hatte nach dem ›Sinn von Sein‹ gefragt –, also das Verstehenkönnen der Geschichte als Geschichte, ist »nicht aus der Gegenständigkeit, dem verfügten Selbstand heraus zu er-greifen, sondern nur im Sich-stellen, in der Inständigkeit des Übernehmens und Sich-Betreffen-lassens«.140 So abstrakt lassen sich die Erfahrungen philosophisch ausdrücken, von der aktuellen Zeitgeschichte so betroffen gewesen zu sein, dass sich die Welt der Nazis in einen gnostischen Kerker verwandelt hatte und das Heil nur jenseits dieses Terrors zu erwarten war. Schon in der Doktorarbeit ging es Blumenberg auch darum, sein philosophisches Denken auf die Gegenwärtigkeit der geschichtlichen Situation zu verpflichten, sich betreffen zu lassen und darauf ursprünglich zu reagieren. Nun, in der Habilitationsschrift, denkt er es eine Stufe abstrakter: Die ontologische Distanz setzt auf Ruhigstellung des Unheimlichen durch das Erkennen des zum Gegenstand Gemachten. Im geschichtlichen Geschick der andrängenden Situation zeigt sich jedoch, »daß sich der Grundcharakter der unverstellten Erfahrung des Daseins nicht im