hat«.156 Blumenberg sucht der geschichtlichen Erfahrung konkreter Faktizität die Treue zu halten. Was Husserl in Aussicht stelle, sei doch »die letztentdeckte und letztendeckbare, die ›fernste‹ Region« des Erlebten: »Die radikale Reflexion auf die absolute Gewißheitssphäre des reinen Bewußtseins, die von Husserl geübt wird, ist geradezu das Auf-Distanz-bringen dessen, was uns im schlichten Leben am nächsten und unablösbarsten erscheint, nämlich unserer Innerlichkeit gerade als der unsrigen, eigensten und wenigst allgemeinen in ihrem Hier und Jetzt.«157 Jahrzehnte später, in der Beschreibung des Menschen, wird Blumenberg die mangelnde Berücksichtigung einer Anthropologie durch die Phänomenologie anmahnen und zu korrigieren suchen. Zu Beginn seiner Husserl-Rezeption ist es die Geschichtslosigkeit der Phänomenologie, die er kritisiert.
Dabei hat Husserl in seiner Spätphilosophie der Krisis-Schrift viel spekulativen Aufwand betrieben, die Geschichte der Wissenschaft als einen ideellen Kontinuitätswillen zu beschreiben. Aber das ist eben, in der Terminologie Blumenbergs, lediglich eine Philosophie der ›Geschichte‹ als eines – zwar gefährdeten, aber stets reformierbaren – Vollstreckungszusammenhangs. Von Metakinesen der Geschichte als jenen Wenden, die den gesamten Wirklichkeitsbezug betreffen und als geschichtlicher Hintergrund den Wandel der Epochen bedingen – trotz aller vordergründigen Kontinuität etwa in der Terminologie –, ist bei Husserl nicht die Rede. Für Husserl ist der Gang der Wissenschaftsgeschichte ein methodisch zu sichernder Prozess, der über Generationen führt und die absolute Gewissheit als Ziel in Aussicht stellt.
Verheißung und Zumutung hängen dabei eng zusammen. Denn ein solcher »Aufschub auf die unendlich zukünftige absolute Gewißheit hin verliert seinen Sinn, indem sich die Möglichkeit des Daseins als endliche erfährt, angewiesen auf die faktische Erschlossenheit des Seins für die jemeinige Existenz«.158 Dem einzelnen Menschen fehlt es an Zeit, in den Genuss eines sich über unzählbare Generationen hinziehenden Gewissheitsprojektes zu kommen. Wo von unendlichen Aufgaben geredet wird, verliert die konkrete Geschichte ihren Sinn. Damit erweist sich aber die Phänomenologie als eine Vermeidungsstrategie: »Phänomenologisch stehen die Begriffe ›Welt‹, ›Zeit‹ und ›Unendlichkeit‹ in engstem wesentlichen Zusammenhang; das Phänomen, das einzig diesen Zusammenhang infragestellen kann, nämlich die ›Geschichte‹, ist ausgelassen.«159
Im Schlussabschnitt seiner Habilitationsschrift setzt Blumenberg dem Unendlichkeitsentwurf der Phänomenologie die Endlichkeit des Denkens entgegen, das sich nicht in die methodische Reinigung von seiner geschichtlichen Situation fügt. Gegen die Vollendung der ontologischen Distanz gelte es, »die ganze Gewalt der aufgebrochenen geschichtlichen Erfahrung in ihrer unüberschreitbaren Endlichkeit zur Geltung«160 zu bringen. Mit dem Versagen der Phänomenologie vor der radikalen Erfahrung der Geschichtlichkeit als unverfügbarem Geschick scheitert die Moderne als Wille zur absoluten Gewissheit. Denn Geschichte ist der »Titel der Grunderfahrung, an der sich der Gewißheitsentwurf der Aufklärung gebrochen hat«,161 und die »Unendlichkeit« ist »dem philosophischen Anspruch als einem geschichtlichen gerade abgeschnitten«.162
Im Gegensatz zum späteren Versuch, die Neuzeit gegen Infragestellungen ihrer Legitimität zu verteidigen, diagnostiziert Blumenberg hier noch das Scheitern der Neuzeit unter dem Stichwort der ontologischen Distanz. Auf einen Satz gebracht hat sich die Neuzeit an ihrem Gewissheitsanspruch verhoben und die Form der Theorie im Allgemeinen und der Philosophie im Besondern mit einer nicht zu erfüllenden Forderung überfrachtet. Der neuzeitliche, von Descartes ausgehende Gewissheitsentwurf »ist zusammengebrochen«,163 somit sind »Ursprung und Krisis der Neuzeit … ein Thema«.164
Blumenberg hat seine Habilitationsschrift, über die akademisch erforderlichen Exemplare hinaus, nicht der Öffentlichkeit übergeben. Im Marbacher Literaturarchiv ist dem dortigen Exemplar ein von ihm selbst angefertigter Zettel beigefügt: Er enthält die Zeichnung eines Totenkopfes und den Vermerk: »mit grosser Vorsicht zu geniessen!«, als hätte das Schriftstück etwas Toxisches an sich. In der Tat ist der Blick auf diese Arbeit von der Warte des später Ausformulierten aus ambivalent. Blumenberg argumentiert in dieser Schrift noch in den Denkbahnen der Ontologie: »Geschichte ›reicht‹ nicht nur in das Sein hinein, sondern sie ist dessen ›Wesen‹.«165 Er hat den Weg der Ontologie nach seiner Habilitation nicht weiter verfolgt und statt vom Sein vielmehr von den Wirklichkeiten, in denen wir leben, gesprochen. Während Heidegger sich nach seiner ›Kehre‹ ganz und gar dem Sein denkerisch verpflichtet zeigte und den dazu in Sein und Zeit eingeschlagenen Umweg über das Dasein des Menschen als exemplarisches Seinsverständnis hinter sich lassen sollte, schlug Blumenberg den umgekehrten Weg ein. Vom Sein war bei ihm immer weniger, vom Menschen immer mehr die Rede. Husserl wird in der Habilitationsschrift einer grundlegenden Kritik unterzogen, wenngleich er zu einem Referenzautor der folgenden Jahre aufsteigen wird, vor allem dank des von ihm bereitgestellten Begriffs der ›Lebenswelt‹. Die Neuzeit gilt Blumenberg noch als gescheitert, wobei er schon zwei Jahre später, in einem Zeitungsartikel für die Düsseldorfer Nachrichten ein »Plädoyer für diese Zeit« halten und mit ihm den »Versuch einer Ehrenrettung für eine schlecht beleumundete Epoche«166 unternehmen wird. Die spätere Verteidigung der Neuzeit kündigt sich an. Besaß die Doktorarbeit die Souveränität einer Argumentation auf dem Fundament sicherer Mittelalterkenntnisse, stellt der erste Auftritt auf der Bühne der neuzeitlichen Philosophie eher einen Zwischenschritt dar. Dennoch wird ein Aspekt uneingeschränkt gültig bleiben: die Einsicht in die Metakinese des geschichtlichen Hintergrundes. Von daher ist die Habilitationsschrift auch für den heutigen Leser durchaus zu genießen, aber eben mit Vorsicht.
Das Verfolgen der Phänomene:
Anmerkungen zur Methode
Was bleibt, wenn man die Flucht in die Gewissheit ausgeschlagen hat, um der ursprünglichen Erfahrung der geschichtlichen Situation die Treue zu halten? Es bleibt die Verpflichtung, dem Philosophieren eine eigene Form zu verleihen. Das veranlasst mich zu einer ersten Zwischenreflexion: Schon in seinen beiden Qualifikationsschriften hat sich angedeutet, dass die moderne wissenschaftliche Methode für Blumenberg einen eigenen Reibungspunkt darstellt. Mit einem Wort: Er will die Philosophie davor schützen, sich als ›strenge Wissenschaft‹ begreifen zu müssen. Diese Abwehr eines auf sie übertragenen Anspruchs ist für Blumenbergs gesamtes weiteres Werk von nicht zu überschätzender Bedeutung.
Im Rückblick und mit größerer Distanz zu Husserls Vorhaben, die Geschichte der abendländischen Theorie auf die Phänomenologie zulaufen zu lassen, erscheint Blumenbergs Identifikation der Neuzeit mit dem cartesischen Willen zu absoluter Klarheit und Deutlichkeit freilich als allzu enggeführt. Ein einziger Blick etwa in die Genesis der kopernikanischen Welt reicht zur Verdeutlichung, wie sehr Blumenberg selbst sein frühes Bild von der modernen Wissenschaft korrigiert, erweitert und vertieft hat. Schon in seinem Aufsatz »Weltbilder und Weltmodelle« aus dem Jahr 1961 weist er die alleinige Verbindlichkeit cartesischer Leitvorstellungen für das moderne Theorietreiben zurück, sei doch offensichtlich, »daß die Funktion der Wissenschaften in unserer gegenwärtigen Wirklichkeit nichts mehr mit den Motiven ihres frühneuzeitlichen Ursprunges gemein hat«.167
Doch lohnender als eine Kritik an den Stilisierungen und unhistorischen Vereinfachungen, die sich die Habilitationsschrift noch erlaubt, ist ein Blick darauf, wie der überscharfe Kontrast vom Streben nach absoluter Gewissheit und Endlichkeit des Denkens die weitere Physiognomie von Blumenbergs Philosophie geformt hat. Ich möchte das mithilfe von einigen locker gereihten Anmerkungen andeuten.
Eine der zentralen Bedingungen der modernen Organisation von ontologischer Distanz durch die Wissenschaft ist die Verpflichtung auf das Einhalten methodischer Vorgaben. Erst mit Descartes hat das methodisch abzusichernde und zu verantwortende Vorgehen in der Wissenschaft die heutige dominante Stellung erlangt – man denke an Platons Dialoge oder an die ›scholastische Methode‹ des Hochmittelalters, um sich die Radikalitätsdifferenz zur modernen Methodologie vor Augen zu führen. Die neuzeitliche methodische Disziplinierung des Forschens zielt nach Blumenberg auf eine »Eliminierung der Subjektivität«,168 die in ihrer konkret-faktischen Gestalt gleichsam einer Verunreinigung der Wissenschaft gleichkommt.