die absolute Gewissheit nicht in einem einzigen Schritt zu erreichen ist, sondern der Fortschritt auf Dauer gestellt werden muss, wird jeder Einzelne »zum Funktionär des szientifischen Prozesses der Gewißheitsbildung reduziert«.170 Die den wissenschaftlichen Fortschritt über Generationen versichernde Methode, an die sich alle Wissenschaftstreibenden zu halten haben, stellt dem ideellen Erkenntnissubjekt ›Menschheit‹ in Aussicht, was sie dem Einzelnen an Erkenntnis vorenthält.
Der in der Habilitationsschrift entwickelte Methodenaspekt der modernen Wissenschaft war Blumenberg so wichtig, dass er 1952 einen Aufsatz mit dem Titel »Philosophischer Ursprung und philosophische Kritik des Begriffs der wissenschaftlichen Methode« veröffentlichte. Von ontologischer Distanz ist darin schon nicht mehr die Rede, aber es werden auf knappem Raum die modernen Methodenansprüche mit einem Verständnis von Philosophie konfrontiert, für das das Ideal einer ›strengen Wissenschaft‹ nicht verpflichtend ist. Der Aufsatz liest sich als ein Befreiungsschlag, der dem Philosophieren Luft zum Atmen verschaffen und die Freiheit des Denkens jenseits methodischer Überregulierung garantieren soll.
Dazu verweist Blumenberg zunächst darauf, der ursprüngliche Wortsinn von méthodos sei: einer Sache nachgehen, etwas verfolgen, ganz im Sinne des räumlich-bewegungsmäßigen Nachsetzens. Im übertragenen Sinne verlange die methodisch ausgerichtete Theorie, einem Sachverhalt nachzugehen. »Immer bleibt das Gegebene, sei es real oder ideal, in seiner eigenen Bewegtheit im Blick.«171 Darauf kommt es an: Diese Art des methodischen Verfolgens lässt sich vom Gegenstand leiten, bestimmen, führen. Die Methode habe sich im Laufe der Geschichte dann aber in eine Technik verwandelt, wodurch das Wie einer Untersuchung in den Vordergrund gerückt und der Gegenstand aus seiner leitenden Funktion entlassen worden sei: »Der Erkennende heftet sich nicht primär an die Sache, sondern orientiert sich im Entwurf eines Ideenzusammenhanges, eines ›Systems‹, und die Sache hat ihre Bedeutung vornehmlich darin, daß sie die vorentworfene Topographie des Systems ›bestätigt‹.«172 Schlimmer hätte es kaum kommen können.
Für den Umgang mit Blumenbergs späteren Büchern ist die Beachtung von seinem als ›ursprünglich‹ ausgewiesenen Verständnis von Methode von überragender Bedeutung. Übersieht man seinen im Kern vormodernen Methodenbegriff, sind Irritationen vorprogrammiert, denn Blumenberg hat sich in seinen Schriften nicht dem Diktat der modernen Methodologie gebeugt. Daher rührt auch der berechtigte Eindruck, es mit einem ungemein souveränen, selbstbewussten und freien Denker und Autor zu tun zu haben. Blumenberg philosophiert aber auch nicht aus Prinzip wider den Methodenzwang, sondern legt seiner Philosophie eben jenen für ihn originären Methodenbegriff zugrunde. Etwa in den Paradigmen zu einer Metaphorologie: Nach wenigen Seiten Einführung, die nur die notwendigsten Bestimmungen und methodischen Auskünfte bieten, geht Blumenberg gleich ins ›Quellenmaterial‹ und lässt sich von den Metaphern leiten. Zwar bietet er für sie paradigmatische Typologien, aber es ist erkennbar das Ziel, sich vom zu Deutenden her bestimmen zu lassen. Blumenberg verweigert sich einer vorlaufenden Systematik, die die zu interpretierenden Metaphern zu reinen Bestätigungen verkommen lassen könnten. Es ist von hohem Aufschlusswert, dass Blumenberg im Rahmen der zu entwickelnden Metaphorologie zuerst einen Aufsatz, der den Paradigmen zeitlich noch vorausgegangen ist, vorgelegt hat: »Licht als Metapher der Wahrheit« aus dem Jahr 1957. Er wendet sich gleich dem ›Material‹ zu und verlässt sich auf systematische Grundintuitionen, die sich an den Quellen zu bewähren haben. Das setzt so etwas wie intellektuellen Spürsinn voraus, eine Kunst der Vermutung, das Vertrauen auf die eigene Intuition der Ahnung.
Zugleich verlangt es die Kunst der Selbstzurücknahme. Blumenberg hat sich dagegen ausgesprochen, ein ausdrückliches Selbstverständnis pflegen und vorweisen zu müssen. Er habe keinerlei ›Interesse‹ – die Leitvokabel von Habermas’ Erkenntnis und Interesse durch Anführungszeichen auf Distanz gesetzt – an einem Selbstverständnis: »Es stört dabei, das zu verstehen, was man doch vor allem, wenn nicht ausschließlich, verstehen möchte.«173 Insofern das leitende Interesse als der Ausgriff eines vereindeutigten Selbstverständnisses auf etwas zu Untersuchendes genommen werden kann – in der Art: ›Ich als Soziologe interessiere mich für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten in einem Stadtteil von Berlin‹ –, sucht die gewollte Interessenlosigkeit mit der Variabilität möglicher Selbstverständnisse jene Elastizität des theoretischen Nachverfolgens, bei der ein festgelegtes Selbstverständnis nicht beschränkend im Weg steht. Leitend ist für Blumenberg daher nicht das fokussierte ›Interesse‹, sondern die wahrnehmungsoffene ›Neugierde‹, nicht das ›Problem‹, sondern das ›Phänomen‹.
Dem ursprünglichen Methodenbegriff, der sich vom zu erkennenden Gegenstand leiten lässt, entsprechen Wissensformen, die inzwischen jenseits der strengen Wissenschaft angesiedelt sind: etwa der Bericht oder die Erzählung.174 Beides kultiviert Blumenberg in seinem Werk, indem er von ›Gipfeltreffen‹ zwischen Geistesgrößen berichtet – etwa Marcel Proust und James Joyce – und indem er große Bögen der Bewusstseinsgeschichte nacherzählt. Daher rührt der Verdacht aller in der modernen Methodologie Gefestigten, hier verkomme jemand zum ›erzählenden Philosophen‹, der von Anekdoten berichte.
Als nächstes erläutert Blumenberg in seinem Methodenaufsatz die Leitidee moderner Methodologie, das forschende Individuum disziplinieren und das Feld des wissenschaftlichen Zugriffs abstecken zu wollen. Im Grunde arbeitet die wissenschaftliche Methode mit einer doppelten Verobjektivierung: Auf der einen Seite sorgt die strenge Methode für eine Homogenisierung der Gegenstandswelt, mit der es die Theorie zu tun haben will. Descartes etwa reduzierte alle Substanzen auf geistige und ausgedehnte, wodurch der nichtgeistige Objektbereich auf quantifizierbare Gegenstände eingegrenzt wurde. Diese Art von methodisch geschaffener Homogenität stellt eine Vorentscheidung darüber dar, was mit den Mitteln einer Methode überhaupt als Erkenntnisgegenstand erscheint. »Hierin liegt die spezifische ›Selektion‹, die den Wirklichkeitsbegriff der Neuzeit entscheidend bestimmt; sie konstituiert sich aus ›Heraus-Sehen‹ und ›Über-Sehen‹. In ihr präformiert sich die Welt zum ›Gegenstand‹ der Naturwissenschaft, zum Herrschaftsfeld der Technik«,175 heißt es schon in der Habilitationsschrift.
Zum anderen soll auch der Bereich des Subjektiven homogenisiert werden: »Die ›Vernunft‹ als Träger des Erkenntnisprozesses ist zwar ›Subjekt‹, aber sie ist nicht ›subjektiv‹.«176 Dadurch werden »Individualität und Geschichtlichkeit … zu gleichgültigen und reduzierbaren Momenten«.177 Erst so lässt sich die Fiktion eines umfassenderen Erkenntnissubjekts erzeugen, dem die vielen Individuen zugeordnet sind: »Die Methode integriert die Vielheit der Funktionäre der neuen Wissenschaft im Prinzip zu einem Subjekt, indem sie ihre Erkenntnistätigkeit so einrichtet, daß sie von ihnen wie eine einzige geistige Aktion vollzogen wird, als ob sie aus einem einzigen Intentionszentrum gesteuert würde.«178
Blumenberg weigert sich, als Philosoph zum Funktionär einer methodisch geleiteten Wissenschaftsidee degradiert zu werden. Dazu wahrt er Abstand zu allen etwaigen Forderungen nach Auskünften über seine Methode. Nicht von Ungefähr verzichtet er selbst in seinen Hauptwerken auf zusammenhängende Darstellungen seines philosophischen Vorgehens. Wer darin nur Unfähigkeit zur methodischen Präzision vermuten möchte, verkennt den philosophischen Streitwert, der mit dieser Unterlassung markiert wird. Blumenberg unterläuft moderne Methodenerwartungen, um die Philosophie, die älter ist als die Ausbildung eben jener modernen Vorgehensbestimmungen, vor einer Verkümmerung zu schützen.
Für diese Intention gibt es bereits ein äußerliches Merkmal, das dem Druckbild seiner Bücher eigen ist: In seinen Monographien hat Blumenberg die herangezogenen Zitate niemals in Anführungsstriche gesetzt. Zitierte Passagen sind stets kursiviert. Das führt zu einer organischeren Einbettung des Herangezogenen in den eigenen Textfluss, ist aber vor allem ein historisierender Vermerk: In alten Büchern – zum Beispiel dem Dictionnaire historique et critique von Pierre Bayle, in seinen maßgeblichen Ausgaben in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erschienen – finden sich Zitate stets auf diese Art markiert. Blumenberg folgt dieser alten Druckweise, um seine Schriften – bei aller Aktualität – in die Tradition zu stellen und sie so schon optisch von modernen Theorieansprüchen abzusetzen. Ein weiterer Beleg für die hohe Kongruenz von Sinn und Form in Blumenbergs Philosophie.
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