Bewusstsein die Sphäre unbedingter Gewissheitsbildung. Damit wurde die Geschichte im Sinne metakinetischer Umbrüche ausgeblendet. Blumenberg hat seine voluminösen Relektüren der abendländischen Geistesgeschichte gezielt als ›Bewusstseinsgeschichten‹ bezeichnet, etwa in Die Genesis der kopernikanischen Welt oder Arbeit am Mythos.189 Er spricht ausdrücklich nicht von ›Geistesgeschichte‹, um jeden latenten Hegelianismus einer teleologischen Verlaufsform zu vermeiden. Entgegen dem momentanen Evidenzbewusstsein cartesischer Prägung ist für Blumenberg Philosophie »werdendes« und somit geschichtliches »Bewußtsein des Menschen von sich selbst«.190 Damit ist sie immer auch Ausdruck der Verlegenheit, eben nicht auf Anhieb angeben zu können, was der Mensch ist. Seine Bewusstseinsgeschichten sind lang angelegte, umwegige Antwortversuche auf diese Frage.
Die Geschichtlichkeit der Geschichte ist damit gewahrt. Blumenberg hat wiederholt betont, es gebe keine ›ewigen Fragen‹, die die Philosophie zu beantworten suche. »Geschichtlichsein ist das ursprüngliche In-Frage-stehen«, daher ist dann auch »alles Fragen ursprünglich geschichtlich«.191 In den Paradigmen zu einer Metaphorologie von 1960 heißt es, es gebe Fragen, die wir »nicht stellen, sondern als im Daseinsgrund gestellte vorfinden«.192 Man mag an der heideggerisierenden Rede vom ›Daseinsgrund‹ Anstoß nehmen, aber sie wahrt die Einsicht der frühen Jahre, dass alles Philosophieren auf dem metakinetisch beweglichen Grund der jeweiligen geschichtlichen Situation geschieht, auf dem wir uns vorfinden, den wir aber nicht gewählt haben und nicht haben wählen können.
Damit deutet sich bereits an, dass die Zurückweisung einer Flucht in die Gewissheit auch Auswirkungen auf Blumenbergs Hermeneutik der Geschichte hat – dazu später mehr. Doch schon in der Habilitationsschrift markiert Blumenberg die Notwendigkeit einer Philosophie der Geschichte, die in den klassischen Formen der Geschichtsphilosophie oder der Historik nicht aufgeht. Die klassische Geschichtsphilosophie, das zeigte sich schon, unterstellt dem Geschichtsverlauf eine Zielgerichtetheit und arbeitet dazu mit dem Verweis auf die Kontinuität ihrer Antriebe. Geschichte als der »bloße Vorlauf auf die je aktuelle Gegenwart des Denkens«193 sucht metakinetische Umbrüche zu vermeiden oder in eine Gesamtentwicklung zu integrieren, so oder so aber auf Distanz zu setzen. Entgegen geschichtsphilosophischer Entwicklungsvorstellungen richtet Blumenberg daher sein Augenmerk eben auf jene »paradigmatischen Situationen der Geistesgeschichte«,194 in denen sich die Erfahrung ursprünglicher Geschichtlichkeit Bahn gebrochen hat.
Nun könnte man meinen, der Historismus des 19. Jahrhunderts habe Blumenbergs Reflexion auf die Geschichtlichkeit der Geschichte schon vorweggenommen. Mit Blick auf seine späteren quellengesättigten Werke wird Blumenberg davon sprechen, er habe »den Vorwurf des ›Historismus‹ immer als ehrenvoll empfunden«.195 In der Habilitationsschrift aber überwiegt die Abwehr der historischen Methode als Vergegenständlichung des Gewesenen zu historischen ›Tatsachen‹, die kausal miteinander in Verbindung gesetzt werden. Das »Werden der historischen Wissenschaft ist nicht das Werden des Sinnverstehens von Geschichte; es kann sein Gegenteil sein«.196 Dabei droht die Überführung des ehemals geschichtlich Andrängenden in distanzierte Verstandenheit. Als Gegenstand historischen Interesses wird die Geschichtlichkeit der Geschichte nicht angemessen verstanden. »Wie es ›eigentlich gewesen‹ ist, das bleibt gerade in der strengen gegenständlichen Bindung an die ›Tatsachen‹ verschlossen.«197 Blumenberg wird in seinen späteren Studien zur kopernikanischen Wende seine Hermeneutik der Geschichte formvollendet ausführen. »Mir erscheint als das aufregende geschichtliche Problem dieser Epochenwende«, führt er dort aus, »gerade nicht die Erklärung des Faktums der Leistung des Kopernikus oder gar die Versicherung ihrer Notwendigkeit, sondern die Begründung ihrer bloßen Möglichkeit am Ende desjenigen Zeitalters, das durch das geschlossenste dogmatische System der Welterklärung geprägt worden war.«198
Die Relativierung des Anspruchs der historischen Methode, allein anhand von Fakten die Dynamik der Geschichte nachzeichnen zu können, lässt Blumenberg seine Philosophie der Geschichte von einer reinen ›Rezeptionsgeschichte‹ absetzen. Immer wieder stellt er Bezüge zwischen Autoren, Texten und Positionen her, ohne dass für diese Verbindungsstiftung ein Rezeptionsverhältnis nachgewiesen werden kann. Daher haben seine Metaphernbücher wie Schiffbruch mit Zuschauer oder Die Lesbarkeit der Welt mit ihrem Durchgang durch die Geschichte der Leitmetaphern der abendländischen Geschichte etwas leicht Schwebendes, von einem Quellenfund zum anderen, ohne sich der Strenge und angestrebten Vollständigkeit einer rezeptionsorientierten Toposgeschichte zu unterwerfen. Noch den dabei mitunter auftretenden Eklektizismus der Quellenauswahl mag man als Abwehr jenes Anspruches ansehen, den eine historische Forschung prinzipiell zu erheben hat. In den Kategorien der ontologischen Distanz droht die Rezeptionsgeschichte zu jener Oberflächengeschichte fugenfreier Kontinuität zu verkommen, die die metakinetischen Einbrüche im geschichtlichen Hintergrund überblendet. »In allem, was eine vorwiegend literarisch-quellenkritische Forschung unter dem Titel der ›Rezeption‹ zusammengefaßt hat, ist eine unausdrückliche Sorge bemerkbar, die Kontinuität des Welt- und Selbstverständnisses zur Antike nicht durchbrechen und abreißen zu lassen, die großen Denker der Vergangenheit als ›auctoritates‹ nicht zu verlieren.«199
Es ist damit nicht unterstellt, Blumenberg habe die Erforschung von Rezeptionsverhältnissen gering geschätzt. In seiner Studie »Selbsterhaltung und Beharrung«200 etwa untersucht er penibel, ob sich stoische Anleihen im modernen Konzept der ›Selbsterhaltung‹ finden, welche Rolle Cicero dabei zukommt und inwiefern sich bei Newton und Spinoza ein Neuansatz des Konzeptes der conservatio sui, der Selbsterhaltung, aufweisen lässt; oder man lese den Aufsatz über »Kritik und Rezeption antiker Philosophie in der Patristik«,201 um sich von der quellengesättigten Arbeit an der Rezeptionsgeschichte ein Bild zu machen, zu der Blumenberg fähig und willens war. Aber Blumenberg ist nicht bereit, sich durch Aufweisforderungen einer Rezeptionsgeschichte im philosophischen Ausdeuten des Quellenmaterials einengen zu lassen. Bei aller philologischen Genauigkeit, zu der er fähig war, hat er bis in die Gestalt seiner Bücher hinein von einer Philologisierung der Philosophie und ihrer Geschichte Abstand gehalten. Er hat das zu markieren gewusst, indem er keinesfalls jedes Zitat mit einem Quellennachweis versehen hat. Als penibler Arbeiter erlaubte er sich hier eine Freiheit gegenüber dem wissenschaftlichen Standard und wählte einen Ausdruck dafür, dessen strenge Methodik nicht teilen zu wollen. Einer, der so viel und aus entlegensten Quellen, oft in der Originalsprache, zitiert hat, wollte nicht als Philologe missverstanden werden. Damit ist keine Geringschätzung der Philologie verbunden – sein Mitarbeiter Karl-Heinz Gerschmann war Philologe –, wohl aber eine Selbstbehauptung der Philosophie als Philosophie.
Wie stringent Blumenberg seinen philosophischen Selbstanspruch zum Formprinzip seiner Texte hat werden lassen, lässt sich an einem weiteren Detail ablesen. Der »Anspruch der Erklärung macht die Historie notwendig zur Wissenschaft in der Dimension des Perfekts«,202 heißt es in der Habilitationsschrift. Um der vergegenständlichenden Ruhigstellung von geschichtlichen Phänomenen zu entgehen und das Geschichtliche als Phänomen hervortreten zu lassen, nutzt Blumenberg in seinen Darstellungen geistesgeschichtlicher Zusammenhänge sehr oft das Präsens.
Der historischen ›Tatsache‹ als Baustein von Erklärungszusammenhängen stellt Blumenberg schließlich und als Konsequenz seiner Art von Methode das ›Phänomen‹ gegenüber. Der gegenständlichen Auffassung von Geschichte widerspricht ihre »phänomenale Gegebenheit«.203 Was ist dabei mit dem Stichwort des Phänomens und des Phänomenalen gemeint? Es ist sinnvoll, hier Vorsicht walten zu lassen und nicht mehr Eindeutigkeit zu suggerieren als die Auskünfte Blumenbergs hergeben. Wirft man einen Blick in Blumenbergs Schriften, stößt man auf verschiedene Verwendungssituationen des Ausdrucks ›Phänomen‹: Da ist von der »Phänomenbasis«204 die Rede, es wird eine »Phänomenologie der Rezeption des Mythos«205 in Aussicht gestellt, ebenso eine »Phänomenologie der Bedeutsamkeit«206 und eine »Phänomenologie der Figur«.207 Zwar bietet Blumenberg gelegentlich »ein Stück historischer Phänomenologie«208 und nimmt in seinem letzten zu Lebzeiten publizierten Buch, Höhlenausgänge, die Aufgabe einer »Phänomenologie der Geschichte« ins Visier, fügt aber an: »sobald es sie geben sollte«.209 Es