sie mit Kolia befreundet. Deswegen hat sie wohl Ihr Geschäft ausgesucht, Frau Trewitz. Denken kann sie ja nicht viel mit diesem Spatzenhirn.«
»Es muß doch schrecklich für die Eltern sein«, flüsterte Annelie mit schmerzverzogenem Gesicht. »Ich weiß doch, wie die Mitmenschen sind. Unbarmherzig können sie sein. Wenn ich das nur vorher gewußt hätte.«
»Dann hätte wieder Ihr gutes Herz gesiegt, und damit hätten Sie auch nichts besser gemacht«, sagte Dr. Norden.
Aber dann waren sie in der Praxis, und Annelie bekam erst mal eine Betäubungsspritze. Sie merkte gar nicht, daß Dr. Walchow ihre unverletzte Hand hielt. Dr. Norden sah den Mann an und überlegte, wer es wohl sein könnte. Und Dr. Walchow schien seine Gedanken lesen zu können.
Er stellte sich vor. »Dr. Walchow ist Bernd und Evas Chef«, flüsterte Annelie, aber dann konnte sie gar nichts mehr sagen, denn die Betäubung wirkte und lähmte auch ihr Denkvermögen.
Es dauerte ziemlich lange, bis Dr. Norden die Hand von dem harten Nagellack befreit und die kleinen Glassplitter entfernt hatte. Dann wurde die Wunde geklammert und ein steriler Verband angelegt. Dr. Walchow war immer blasser geworden bei dieser Zeremonie.
»Jetzt soll sich Frau Trewitz erst mal eine halbe Stunde erholen«, sagte Dr. Norden. »Können Sie bei ihr bleiben? Ich muß noch einen dringenden Krankenbesuch machen.«
»Ja, natürlich bleibe ich bei ihr«, sagte Dr. Walchow. Unentwegt streichelte er ihre verletzte Hand. Wenn Bernd und Eva ihn so gesehen hätten, wären sie aus dem Staunen wohl nicht herausgekommen.
Aber die beiden waren jetzt in der Drogerie und ließen sich von Barbara berichten, was geschehen war.
Sie konnte es bildhaft schildern, aber sie schilderte Annelie auch als eine Heldin ohnegleichen, ihre eigenen Verdienste mit keinem Wort erwähnend. Und dann sprach sie davon, daß Dr. Walchow gerade zur rechten Zeit gekommen wäre.
»Der Boß?« staunte Eva.
»Er ist ein sehr netter Mann, und er hat anscheinend sehr viel für Annelie übrig«, erklärte Barbara mit größter Gelassenheit. »Es war rührend, wie besorgt er um sie ist. Kinder, das sollten wir ein bißchen fördern.«
»Mama!« rief Bernd warnend aus.
»Warum denn nicht, Junge? Annelie ist im besten Alter, eine hübsche Frau, und er ist ein sehr sympathischer Mann. Eigentlich ist sie für eine Geschäftsfrau zu sensibel.«
»Und du nicht, Mama?« fragte Eva atemlos.
»Nein, ich nicht. Ich habe meine Fähigkeiten entdeckt. Ich bin nicht so sentimental wie Annelie. Nehmen wir mal an, Walchow hätte die Absicht, Annelie zu heiraten, dann behalte ich das Geschäft.«
»Da legst di nieder und stehst nimmer auf«, murmelte Bernd fassungslos.
»Du denkst zu weit, Mama«, flüsterte Eva.
»Ach was, man muß alles einkalkulieren. Von der Buchführung verstehe ich natürlich nichts, aber davon verstand Annelie auch nichts. Dafür müßte man sich jemanden suchen. Und ein paar nette Verkäuferinnen müßten auch eingestellt werden. Mit Cilly war Annelie ja recht nachsichtig und wie schon gesagt, sentimental. Sie ist ja auch ganz nett, aber viel zu umständlich.«
»Mama, ich will ja nichts sagen, aber denkst du auch daran, daß du auf die Sechzig zugehst?« fragte Bernd.
»Mußt du mich daran immer erinnern? Ich habe viel verpaßt. Du brauchst mich doch nicht mehr. Eigentlich hätte ich das viel früher einsehen sollen. Ich fühle mich jetzt im meinem Element. Was sind schon Jahre! Man ist so jung, wie man sich fühlt. Für etwas fühle ich mich allerdings altersmäßig. An eine neue Heirat denke ich nicht. Schön blöd würde ich ja sein, meine gute Pension in den Wind zu schreiben. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
»Besser geht’s nicht«, seufzte Bernd. »Du überraschst uns am laufenden Band.«
Barbara runzelte leicht die Stirn. »Aber wenn Dr. Walchow es wirklich ernst meint, wäre es doch ein Jammer, wenn Annelie nein sagen würde, nur um ihren Prinzipien treu zu bleiben. Gut, ich verstehe es, daß sie eine zweite Ehe nicht in Betracht zog, solange Eva bei ihr lebte. Aber Eva ist ja nun versorgt.«
»Und kochen kann sie auch«, warf Bernd ein.
Barbara lachte hellauf. »Koch nur nicht zu gut, Evi. Mein lieber Mann hat auch schnell Speck angesetzt.«
Eva wurde ihrer Verwirrung Herr. »Weißt du, was du bist, Mama?« fragte sie.
»Sag nur nicht, daß ich eine verrückte Schwiegermutter bin«, entgegnete Barbara.
»Du bist ein Schatz«, sagte Eva und fiel ihr um den Hals. »Du bist die beste Schwiegermutter der Welt.«
Zärtlich strich ihr Barbara über das Haar. »Mit dir ist mir ja auch das große Glück widerfahren, eine goldige, sonnige Tochter zu bekommen«, sagte sie weich. »Was immer ich an Bernd auszusetzen hatte, er hat alles gutgemacht, indem er dich geheiratet hat.«
»Und was hattest du an mir auszusetzen, Mama?« fragte Bernd beklommen.
»Einmal, daß du immer so schrecklich nüchtern warst, zum andern, daß du nicht den geringsten Ehrgeiz gezeigt hast.«
»Wirf mir bitte nicht wieder vor, daß ich nicht meinen Doktor gemacht habe«, sagte er.
»Ich werfe dir ja nichts vor. Eva ist mehr wert als ein Titel.«
»Hast du es gehört, Liebling«, sagte Bernd.
»Du beschämst mich, Mama«, sagte Eva leise.
»Ach was, er hat doch erst Ehrgeiz entwickelt, als er ein sehr tüchtiges Mädchen kennenlernte. Warum soll das nicht gesagt werden. Und dadurch habe ich mich auch aus meinem Trott befreit, Evi. Hattet ihr nicht ein bißchen Angst davor, daß ich die Oma sein würde, die sich in alles einmischt? Das braucht ihr nicht zu fürchten.«
»Wir werden aber gern einen guten Rat annehmen«, sagte Eva nachdenklich.
Barbara betrachtete sie gedankenvoll. »Weißt du, Kind, als Mutter macht man manches falsch, was man später einsieht, aber das gehört nun mal dazu. Es wird alles ausgeglichen durch die Liebe, die man seinem Kind gibt, und davon habt ihr wohl beide nicht zu wenig bekommen.«
»Und ich dachte anfangs immer, ob Bernd wohl nicht zu sehr an seiner Mutter hängt«, sagte Eva leise. »Es hat mich schon ein bißchen geschreckt, wenn er immer sagte, daß er dich mit dem Essen nicht warten lassen könne.«
»Er hätte dich einfach schon früher mitbringen sollen«, erwiderte Barbara. »Aber jetzt muß ich aufmachen, die Leute wollen ihre Fotos abholen.«
»Ich helfe dir«, sagte Eva.
»Und ich schau mal nach Annelie«, sagte Bernd.
»Das brauchst du nicht«, erklärte Barbara. »Überlaß das deinem Chef. Hol mal den kleinen Läufer aus der Wohnung, damit wir den Flecken überdecken können.«
»Zu Befehl, Mama«, brummte er.
*
Langsam konnte Annelie wieder klar denken. »Geht es ein bißchen besser?« erkundigte sich Dr. Walchow. Sie nickte müde. Dann herrschte wieder ein paar Minuten Schweigen.
»Wieso sind Sie eigentlich da?« fragte Annelie.
»Eigentlich wollte ich bei Ihnen einkaufen und dabei unsere junge Bekanntschaft auffrischen«, erwiderte er lächelnd.
»Daß auch so was Blödes passieren muß«, murmelte sie.
»Immerhin war es doch ganz gut, daß ich es kaum erwarten konnte, Sie wiederzusehen«, sagte er mutig.
Da kehrte die Farbe in Annelies Gesicht zurück. »Was gibt es bei mir schon zu sehen«, flüsterte sie.
»Eine ungemein liebenswerte Frau zum Beispiel. Ich wollte Sie fragen, ob wir den Sonntag zusammen verbringen können, Annelie.«
Er war