er irgendwelche Fragen gestellt?«
»Seine Freundin wollte den Totenschein sehen. Ich habe ihn ihr gezeigt. Warum auch nicht.«
»Warum auch nicht«, wiederholte Lydia und lachte. »So hat dieses Dokument also seinen Zweck erfüllt. Na ja, wir haben schließlich genug dafür bezahlt.«
»Trotzdem bin ich nicht sicher, dass uns Herr Schulte in Zukunft in Ruhe lassen wird.«
»Ach was, Wendelin ist ein Dummkopf«, äußerte Lydia kalt. »Er hat sich damals von dir fortschicken lassen, ohne seine geliebte Beatrix zu Gesicht zu bekommen. Ich an seiner Stelle hätte auf ein Zusammentreffen mit Beatrix beharrt.«
»Das konnte er nicht. Ich hatte ihm doch erzählt, dass Beatrix in die Schweiz gefahren sei. Er ahnte nichts von ihrer Schwangerschaft. Es war purer Zufall, dass ich als Erste davon erfuhr. Ich hatte den Verdacht geschöpft, und als ich Beatrix meine Vermutung auf den Kopf zusagte, konnte sie schlecht leugnen. Sie hatte sich gefreut und gemeint, dass ich nun einer Heirat mit dem Studienrat zustimmen würde.«
»Was du zum Glück nicht getan hast«, meinte Lydia.
»Manchmal kommen mir Zweifel, ob meine Handlungsweise richtig war«, sagte Mathilde Harlan langsam.
»Plagen dich gar Gewissensbisse?«, fragte Lydia höhnisch. »Wer wollte denn das Vermögen in die Hand bekommen?«
»Es stand mir zu«, verteidigte Mathilde Harlan. »Trotzdem wollte ich nie … Ich habe nie gewünscht, dass Beatrix stirbt.«
»Das sagst du jetzt. Du bist nichts anderes als eine Heuchlerin.«
»Lydia! Vergiss nicht, dass du mit deiner Mutter sprichst«, fuhr Mathilde Harlan auf.
»Wie könnte ich das. Es ist ja beinahe, als ob ich in einen Spiegel schauen würde. Man soll seinen Eltern dankbar sein, aber dafür, dass du mir dein Aussehen vererbt hast, kann ich einfach …«
»Immerhin habe ich trotz meines Aussehens einen rechten Mann gefunden.«
»Ja. Nur hat Vater sein Vermögen nicht dir, sondern Beatrix vermacht. Das hast du ihr nie verziehen.«
»Nein. Du aber auch nicht.«
»Ich war die Ältere und hatte eher ein Anrecht darauf.«
»Vater war nie mit deinem Lebenswandel einverstanden. Er hat gewusst, dass du das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen würdest, was du ja jetzt auch tust.«
»Warum sollte ich nicht! Ich habe genug. Es wird noch lange reichen.«
»Es ist Lucies Geld. Sie hat es von ihrer Mutter geerbt. Wenn herauskommt, dass Lucie Beatrix’ Tochter ist, wirst du alles wieder hergeben müssen.«
Lydias Augen verengten sich. »Es darf nicht herauskommen«, zischte sie. »Niemals! Was ist mit dem Arzt, der Beatrix’ Totenschein unterzeichnet hat?«
»Er ist fortgezogen. Von ihm haben wir nichts zu befürchten. Die Summe, die ich ihm für seine Unterschrift gezahlt habe, war genügend hoch.«
»Er ist außer uns der Einzige, der Bescheid weiß«, überlegte Lydia.
»Er würde nie etwas zugeben. Bedenke doch, er war an Beatrix’ Tod nicht ganz unschuldig. Gewiss, die Hauptschuld fällt mir zu, weil ich nicht zugelassen habe, dass Beatrix in ein Krankenhaus gebracht wurde.«
»Bereust du es?«, fragte Lydia lauernd.
»Nein. Ich bereue nichts«, erwiderte Mathilde Harlan fest.
»Dann gibst du also zu, dass du Beatrix genauso gehasst hast wie ich.«
»Nein, ich habe sie nicht gehasst. Ich war wütend, weil Vater ihr das Vermögen vermacht hat. Und noch wütender wurde ich, als ich merkte, dass sie sich mit dem Studienrat eingelassen hatte. Ich wollte, dass sie den reichen Schweizer heiratete.«
»Ja, ich weiß. Er war eine so sagenhaft gute Partie, dass Beatrix uns ohne Weiteres Vaters Vermögen hätte überlassen können.«
»Beatrix war zu dickköpfig«, sagte Mathilde Harlan ärgerlich. »Wenn sie diesen Wendelin Schulte nur niemals kennengelernt hätte …«
»Hör auf, von Wendelin zu reden. Ihn können wir außer Acht lassen. Aber dieser Dr. Wöhrer … Bist du sicher, dass er nichts zugeben würde?«
»Ja. Wenn er geschickter gewesen wäre, hätte Beatrix Lucies Geburt überlebt. Heutzutage ist es nicht mehr üblich, dass man bei einer Entbindung stirbt.«
»Davon verstehe ich nichts«, meinte Lydia gleichgültig. »Mir wäre so etwas jedenfalls nicht passiert.«
»Es gab bei Beatrix schon während der Schwangerschaft Komplikationen. Sie war abgespannt und schwach«, erinnerte sich Mathilde Harlan.
»Das war unser Glück. Sonst hätte sie es sich kaum gefallen lassen, im Haus eingesperrt zu werden. Und bestimmt hätte sie sich nicht einreden lassen, dass Wendelin dich besucht und dir mitgeteilt habe, dass er von dir nichts mehr wissen wolle.«
»Ja, das habe ich ihr eingeredet. Ich habe gehofft, dass sie ihn vergessen und das Kind zur Adoption freigeben würde. Ich habe ihr versprochen, dass niemand etwas von ihrem Fehltritt erfahren würde.«
»Ihr Fehltritt«, sagte Lydia nachdenklich. »Womit wir also wieder bei Lucie angelangt wären. Erzähl mir Näheres über dieses Kinderheim Sophienlust.«
»Darüber weiß ich nichts.«
»Hast du denn keine Erkundigungen eingezogen?«
»Wie konnte ich? Ich habe Lucie verleugnet. Als man sie zu meinem Haus brachte, war mein erster Impuls, sie entgegenzunehmen. Aber blitzartig kam mir die Erkenntnis, dass ich damit alles verraten würde. So habe ich gesagt, dass ich allein lebe und mit dem Kind nichts zu schaffen hätte. Wie konnte ich da im Nachhinein Erkundigungen über das Heim, in das man Lucie gebracht hat, einziehen?«
»Du hättest besser auf Lucie achten und sie nie aus den Augen lassen sollen«, grollte Lydia.
»Du hast leicht reden«, rief Mathilde Harlan erbittert aus. »Wie lange hätte ich Lucie noch als Gefangene bei mir behalten sollen?«
»Lucie war keine Gefangene. Du hättest sie strenger behandeln sollen.«
»Im Gegenteil, ich hätte sie liebevoller behandeln sollen. Dann wäre sie vielleicht nie geflüchtet.«
»Unsinn! Liebevoll behandeln! Wozu denn?«
»Ja, wenn es nach dir gegangen wäre, hätte sie ununterbrochen nur Prügel bezogen. Ich brauchte nur deinen Namen zu erwähnen – und sie ist schon in Tränen ausgebrochen.«
»Ja, ja, Tante Lydia, das Schreckgespenst«, sagte Lydia höhnisch. »Das kränkt mich aber nicht im Mindesten. Vorausgesetzt natürlich, dass Lucie weiterhin den Mund hält und niemandem etwas erzählt.«
»Sie hat bisher nichts gesagt, also wird sie es auch in Zukunft nicht tun«, meinte Mathilde zuversichtlich.
Lydia zupfte nervös am Tischtuch herum. »Aber sicher können wir nicht sein«, sagte sie. »Weißt du wenigstens, wo sich das Kinderheim befindet?«
»Nein.«
»Deine Gemütsruhe möchte ich haben«, ärgerte sich Lydia. »Verstehst du denn nicht, dass die Angelegenheit gefährlich geworden ist? Solange Lucie hier verborgen war, bestand nie die Gefahr, in der wir jetzt schweben. Zugegeben. Beatrix’ Tod war Pech. In dieser Hinsicht wird man uns keine böse Absicht nachweisen können. Aber dass wir Lucies Geburt verheimlicht und uns ihr Vermögen angeeignet haben, ist schlicht und einfach Betrug. Möchtest du als Betrügerin festgenommen werden? Ich weiß nicht, wie viele Jahre Gefängnis in diesem Fall auf dich zukommen würden …?«
»Sei still! Wenn ich nur deinen bösen Einflüsterungen niemals nachgegeben hätte«, jammerte Mathilde Harlan.
Lydia hatte inzwischen die Zeitung wieder aufgenommen und las den Abschnitt über Lucie zum dritten Mal. »Ha,