Isabella Archan

Ein reines Wesen


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      »Hattest du nicht anhand der Würgemale zuerst auf eine Täterin getippt?« Marielle hatte ihr iPad aus ihrer Tasche geholt und scrollte durch ihre Notizen.

      »Das ist richtig. Aber ich nehme das zurück. Die Abmessung der Handflächen und die Länge der Finger könnten durchaus auch zu einem Mann passen, der zartere Gliedmaßen hat. Wie umgekehrt auch Frauen große Hände haben können.«

      »Die Kraft, die man bei einer solchen Tat braucht, könnte zusätzlich auf einen männlichen Verdächtigen hinweisen.«

      »Nicht unbedingt. Wenn eine Täterin es gewohnt ist, anzupacken, ist das Abschnüren der Luftzufuhr kein großes Problem.«

      »Krankenschwestern arbeiten täglich schwer.«

      »Krankenschwestern, Pfleger, Ärzte, das gesamte Personal der Klinik.« Frank Zauber meldete sich zu Wort. »Auch die Leute aus der Küche sind es gewohnt, mit ihren Händen zu arbeiten. Das Reinigungspersonal. Außerdem hätte jederzeit ein Außenstehender die Klinik betreten können. Es gibt zwei Hintereingänge …«

      »… die von außen nicht zu öffnen sind.« Marielle schnitt Frank das Wort ab. »Durch diese Ausgänge hätte der Täter unbeobachtet ins Freie gelangen können. An den anderen Zutrittsmöglichkeiten sitzen Tag und Nacht Pförtner.«

      »Genau das wollte ich sagen.« Frank Zauber brummte. »Dafür hätte er sich aber auskennen müssen, was wieder das Personal in den Mittelpunkt rückt.«

      Marielle vertiefte sich erneut in ihr iPad. »Was ist mit den roten Fasern, die du am Hals entdeckt hast, Harro?«

      »Fehlalarm. Karin Lieberstätt hat an ihrem Todestag ein rotes Halstuch getragen, als sie zu ihrem Dienst erschienen ist. Zwar nicht zum Zeitpunkt des Mordes, aber die Fasern stammen davon. Sie sind an ihrer Haut haften geblieben. Durch die Strangulation wurden sie tiefer in die Halsfalten gepresst.«

      Kraus war der erste, der sich nach Harro etwas von dem grünen Tee genehmigte. »Ich möchte auf die DNA-Profile zurückkommen. Wie sieht es damit aus, Harro? Meiner Meinung nach sind sie unsere beste Chance, dem Täter auf die Spur zu kommen.«

      »Auch diese Hoffnung mache ich euch schneller zunichte, als ihr sie aufkommen lassen könntet.«

      Harro umrundete seinen Schreibtisch, tippte stehend auf seiner Tastatur und sah auf den Bildschirm.

      »Zuerst ein großes Lob an das Labor, das in Rekordzeit die Spuren ausgewertet hat.«

      »Lobe auch mich. Ich habe Oberstaatsanwalt Prunk dazu überreden können, dass er einen DNA-Test für die Krankenhausmitarbeiter bei einem Richter durchgeboxt hat.«

      »Und ich, lieber Peter, habe alle eure Teststreifen verglichen. Schon allein in der Abteilung des Krankenhauses, in der das Opfer tätig war, sind Dutzende davon zusammengekommen. Leider liegt genau darin unser Problem. Eine Menge Leute hatten mit dem Opfer Körperkontakt. Bei ihrem Beruf als Krankenschwester war das zu erwarten. Neben den Kollegen kommen noch die Patienten hinzu. Ich habe bereits sechs Übereinstimmungen gefunden.«

      »Das heißt, meine Idee mit dem DNA-Test hat höchstens Staub aufgewirbelt, sonst nichts?«

      »So möchte ich es nicht formulieren, Peter.«

      Marielle mischte sich ein. »Hatte sich denn jemand geziert, die Überprüfung mitzumachen?«

      Die Köpfe der drei gingen zu Zauber, der sich nun auch Tee eingoss. Er hatte die Stäbchenabgabe überwacht und war zusammen mit zwei weiteren Kollegen vor Ort gewesen.

      »Lasst mich nachdenken.«

      »Geht es auch einen Ticken schneller, Frank?« Kraus klang ungehalten.

      »Mann, was seid ihr heute unangenehm.« Zauber zog die Mundwinkel nach unten. »Wenn sich einer geweigert hätte, wüsstet ihr es längst.«

      Die Spannung, die zwischen Kraus und Zauber in der Luft lag, schien kurz vor der Explosion zu stehen.

      »Da bin ich mir nicht so sicher, Frank.«

      »Willst du damit etwas andeuten, Peter? Dann spuck es aus.«

      »Kein Grund sich aufzuregen, ihr beiden. Und kein Grund, Peter, uns deinen Frust spüren zu lassen.« Marielle hob beschwichtigend ihre Hände. »Überlege bitte noch mal, Frank. Es kann sein, dass sich jemand nicht direkt widersetzt, aber gezögert hat?«

      Zauber seufzte einmal schwer. »Einer der Ärzte. Dr. Daniels. Der Oberarzt der ganzen Abteilung. Er hat ebenso argumentiert wie du eben, Harro. Meinte, dieses Szenario würde dem Steuerzahler höchstens einen Haufen Kohle kosten. Allerdings hat er sich der Untersuchung selbst nicht widersetzt.«

      »Ich weiß, von wem du redest. Der Doktor war mit mir am Tatort.« Harro brachte sich wieder ein.

      Zauber nickte. »Er war aber auch davor im Aufenthaltsraum. Sein Assistent, mit dem er die anstehenden Operationen für den nächsten Tag durchgegangen ist, hat es bestätigt. Er fällt als Verdächtiger weg.«

      »Dann bleibt uns nichts, außer, dass ich einen Anschiss beim Oberstaatsanwalt wegen Übereifer erhalten werde?« Kraus stieß die Luft mit einem unwilligen Ächzen aus.

      Harro zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, Peter, dein Vorstoß war eigentlich eine gute Idee. Ich hätte noch eine.«

      »Los, Harro.«

      »Die Würgemale. Die Abdrücke. Damit können wir zumindest Handgröße und Fingerlänge vergleichen. Etwas ungenau, aber zumindest eine Art der Auslese.«

      »Noch einmal ein Prozedere für das gesamte Personal. Vielleicht verunsichert eine solche Maßnahme den Täter.« Marielle horchte interessiert auf.

      Kraus hob die Hand. »Nein. Einen weiteren großen Test werde ich bei der Staatsanwaltschaft nicht durchbekommen.«

      »Es geht um den Mord an einer unschuldigen Frau, die noch dazu in einem Beruf gearbeitet hat, der viel Einsatz bei wenig Gehalt verlangt.«

      »Marielle, das weiß ich. Wir brauchen aber Verdächtige. Noch haben wir keinen einzigen. Leider.«

      »Von den Leuten aus ihrem näheren Arbeitsumfeld könnten wir trotzdem Abmessungen vergleichen.«

      »Vielleicht ist das durchzubekommen. Aber nicht von jedem, der in dem riesigen Krankenhauskomplex arbeitet. Schon gar nicht von jedem Patienten oder Angehörigen, der dort einen Besuch abgestattet hat.«

      Zauber hustete. »Nadel im Heuhaufen, Leute. Der Täter kann hinein und wieder hinausspaziert sein.«

      »Am späten Abend müsste ein Besucher doch auffallen.« Marielle wollte nicht aufgeben.

      »Die bisherigen Aussagen haben nichts ergeben.«

      »Das gesamte private Umfeld vom Karin Lieberstätt haben wir in unsere DNA-Vergleiche bisher noch nicht einbezogen. Was ist mit ihrem Mann, einem Freund, einem Bekannten, der im Krankenhaus auftaucht, dort seine Tat begeht, um den Verdacht von sich abzulenken.«

      »Auch die Überwachungskameras im Wartebereich und der Eingangshalle haben nichts gebracht.« Zauber begann erneut zu husten.

      Marielle kam zu ihrem Kollegen und klopfte ihm auf die Schulter. »Da hast du recht. Ich bin durch meine Vernehmungsliste durch. Nicht jeder hat ein wasserdichtes Alibi, was spät abends nachvollziehbar ist. Aber es hat sich leider keine einzige Unstimmigkeit ergeben. Was ist bei dir herausgekommen?«

      »Bei mir ebenso – Nichts.«

      »Und das Motiv?«, fragte Harro.

      »Dabei tappen wir ebenfalls noch im Dunklen.« Marielle seufzte. »Karin Lieberstätt war beliebt. Im Krankenhaus, in ihrem Privatleben. Ein angenehmer, freundlicher Mensch. Sie scheint keine Feinde gehabt zu haben.«

      »Einen anscheinend doch.«

      »Du sagst es. Wie immer, wenn wir noch am Anfang stehen und uns die Spuren keine eindeutigen Hinweise liefern, müssen wir uns vortasten.«

      Kraus’