In den letzten Jahren war es nie vorgekommen, dass sie sich derart hatte entspannen und fallen lassen können, wenn sie mit einem Mann zusammen gewesen war. Für sie war es schwierig bis unmöglich gewesen, ihren Kopf auszuschalten, wenn es um Sex ging – jedenfalls in den letzten Jahren.
In dieser Zeit war es ohnehin nur selten vorgekommen, dass sie mit jemandem intim geworden war.
In den zwei Jahren vor ihrer Trennung von ihrem Exmann hatte sie kein einziges Mal mehr mit ihm geschlafen. Nach ihrer Trennung und der Scheidung im Jahr darauf hatte es nur zwei Männer gegeben, mit denen sie ausgegangen war und mit denen sie geschlafen hatte. Bei beiden Männern hatte sie sich wohlgefühlt, wenn sie gemeinsam in ein Restaurant gegangen waren und wenn sie sich über Gott und die Welt unterhalten hatten. Aber sobald es darum ging, miteinander Sex zu haben, war Sloane immer gehemmt gewesen und hatte es nie genießen können. Und vermutlich hatten auch die beiden Männer den Sex nicht genossen.
Die letzte Nacht war völlig anders gewesen.
Woran das lag, wusste sie nicht.
Vielleicht war es die Tatsache gewesen, dass sie mit den anderen beiden Männern dabei gewesen war, eine Beziehung zu führen, während die gestrige Nacht nur einen One-Night-Stand bedeutet hatte. Letzte Nacht war es um Anziehungskraft und um körperliche Chemie gegangen, die in sehr befriedigendem Sex geendet hatte. Darum sollte es bei einem guten One-Night-Stand gehen – nicht, dass Sloane auf diesem Gebiet viel Erfahrung besaß. Eigentlich besaß sie keinerlei Erfahrung hinsichtlich One-Night-Stands, wenn sie ihre Collegezeit außer Acht ließ. Und selbst damals war sie erst nach dem zweiten Date mit jemandem ins Bett gegangen.
Das hier war etwas anderes, denn sie hatte den Mann, mit dem sie die letzten Stunden verbracht hatte, nicht gekannt, und dass sie nun allein in ihrem Bett lag, ohne dass jener schwere Männerarm schützend um sie lag, bedeutete, dass er bereits gegangen war. Die vergangene Nacht war definitiv ein One-Night-Stand gewesen.
„Guten Morgen.“
Sloane hob den Kopf und zwinkerte verwirrt.
Gerade noch hatte sie damit gerechnet, allein in ihrem Zimmer zu sein. Doch genau ihr gegenüber stand Dean am Fenster, hielt eine Tasse Kaffee in den Händen und schaute aus den bodentiefen Fenstern nach draußen, bevor er den Kopf in ihre Richtung drehte. Und er war bereits angezogen – trug Jeans und ein T-Shirt und dunkle Boots. Er musste schon in seinem eigenen Hotelzimmer gewesen sein, um sich frische Kleidung zu besorgen, weil er gestern etwas anderes getragen hatte.
Sie dagegen war nackt unter der Bettdecke, die sie sich gegen die Brust presste, als sie sich langsam aufsetzte.
„Guten Morgen“, erwiderte sie und zog die Beine an. Währenddessen lächelte sie ihn an und nahm den intensiven Blick aus seinen dunkelblauen Augen wahr, den sie in den vergangenen Stunden sehr oft an ihm bemerkt hatte. Es war genau dieser Blick gewesen, der zu den letzten Stunden geführt hatte, die sie zusammen in ihrem Bett verbracht hatten.
Als sie seine Hand versorgt hatte, war es dieser Blick gewesen, der ihr eine Gänsehaut beschert hatte. Nach ihrem ersten Kuss war sie erschauert, weil er sie mit diesem Blick gemustert hatte. Und als er ihr das Top über den Kopf gezogen hatte, war es ebenfalls jener Blick gewesen, weswegen sie innerlich dahingeschmolzen war.
„Hast du gut geschlafen?“
„Sehr. Du auch?“
Er nickte und kreuzte seine Fußknöchel übereinander.
„Was macht deine Hand?“, wollte sie wissen und deutete auf seine rechte Hand, mit der er die Kaffeetasse festhielt.
Dean neigte den Kopf, als würde ihm erst jetzt wieder bewusst, dass er sich gestern die Hand verletzt hatte. Seine Stirn runzelte sich leicht, als er heiser brummte: „Der geht es sehr gut – dank deiner Wundversorgung.“
Eigentlich dachte Sloane kurz daran, einen lustigen Spruch von sich zu geben, dass sie ihn unter dem Vorwand, seine Hand versorgen zu wollen, in ihr Zimmer gelockt hatte, um ihn ins Bett zu kriegen, aber als Dean sie zurückhaltend anlächelte und ein wenig unsicher wirkte, vergaß sie ihre Idee augenblicklich.
Mit solchen Situationen hatte sie keine Erfahrung. Sie wusste nicht, wie man sich benahm, wenn man am Morgen danach mit dem Mann einen Plausch hielt, den man kaum kannte und der trotzdem jede Stelle des eigenen Körpers berührt hatte, bevor er sie im Arm gehalten und neben ihr geschlafen hatte. Obwohl es zwischen ihnen nur um Sex gegangen war, waren sie sich sehr nahe gewesen. So nahe, wie man einem Menschen kommen konnte, wenn der einem in die Augen sah, während man sich an ihn klammerte und zu sterben glaubte. Das zwischen ihnen hatte sich angefühlt, als würde Dean alle ihre Gedanken, Geheimnisse und Ängste kennen, während er sie berührte, was eigentlich beängstigend sein müsste.
Aber für Sloane war es befreiend gewesen.
„Es ist schön, dass du noch hier bist“, erklärte sie ihm ehrlich.
Seine dunklen Augenbrauen wanderten in die Höhe, als er mit seiner typisch heiseren Stimme wissen wollte: „Hast du erwartet, dass ich verschwunden wäre, wenn du wach wirst?“
Sie zuckte mit den Schultern und empfand es als völlig natürlich, nackt vor ihm zu sitzen und nur die dünne Decke gegen ihre Brust zu pressen. „Um ehrlich zu sein, ist das mein erster One-Night-Stand“, gab sie zu. „Von daher war ich mir nicht sicher, was ich zu erwarten hatte und was nicht.“
Falls Dean überrascht war, zeigte er es nicht. Stattdessen stellte er die Kaffeetasse auf den Schreibtisch und vergrub seine Hände anschließend in den Taschen seiner Jeans. Er sah trotz der langen Nacht fabelhaft aus, wirkte fit und agil und gab eine verdammt gute Figur in den Jeans ab, die seine langen Beine und seine schlanke Hüfte betonten. Das dunkle T-Shirt dagegen offenbarte, dass seine Brust breit war und dass seine Arme muskulös waren.
Was das T-Shirt jedoch verbarg, war, dass seine Bauchmuskeln ausgeprägt waren und dass sich eine verlockende Spur dunklen Haares von seiner Brust über seinen Bauch hinweg zog. Sloane hatte ihre Fingerspitzen nur zu gerne über seinen Oberkörper wandern lassen, um die festen Hügel und Täler seiner Muskeln zu erforschen und um das seidige Haar zu spüren, das sie fasziniert hatte. Auch von seinen starken Armen hatte sie nicht genug bekommen können.
Dean war durch und durch ein Mann und hatte mit den weichgespülten Models, die für Haarpflegeprodukte oder teure Anzüge Werbung machten, nichts gemeinsam. Er wirkte rau, mit Ecken und Kanten und schien seinen kräftigen Körper keinen Trainingseinheiten im Fitnessstudio zu verdanken zu haben, sondern körperlicher Arbeit, durch die er seine Muskeln bekommen hatte.
Er war ursprünglich und echt und niemand, der anderen etwas vormachte.
„Um ehrlich zu sein, war das mein erster One-Night-Stand nach einer ganzen Weile“, kommentierte er mit einem schiefen Lächeln, das ihn beinahe liebenswert aussehen ließ.
Sloane konnte sich denken, dass Dean bei vielen Menschen einen einschüchternden Eindruck hinterließ, aber die wussten nicht, wie zurückhaltend, ruhig und regelrecht umsichtig er sein konnte. In der vergangenen Nacht hatte es nicht eine Situation gegeben, in der sich Sloane von ihm eingeschüchtert gefühlt hätte. Das genaue Gegenteil war der Fall, denn er hatte sich fürsorglich und sehr lieb benommen.
Sein schiefes Lächeln behielt er bei, als er fortfuhr: „Deshalb war ich mir nicht mehr sicher, was von mir erwartet wurde und was nicht. Ich bin ein wenig aus der Übung.“
„Komisch“, entgegnete Sloane augenzwinkernd. „Ich hatte ganz und gar nicht den Eindruck, dass du aus der Übung warst.“
Seine Antwort bestand aus einem funkelnden Blick.
Sehr viel ernster als zuvor gab Sloane zu: „Die Nacht war sehr schön.“
Auch Deans Miene wurde ernster, als er langsam nickte. „Du hast recht. Die Nacht war wirklich sehr schön.“
Sloane atmete tief auf. „Ich hatte viel Spaß.“
„Ich auch.“
Beide schwiegen anschließend.