ist es hilfreich, wenn ich … mache?«
Mindestens genauso relevant kann es für das Behandlungsteam sein, die Integration neuer Perspektiven und Ansätze in der jeweiligen Situation auch vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen und Kompetenzen kritisch zu hinterfragen. Je akuter und krisenhafter eine Situation ist, desto eher finden Menschen Sicherheit, indem sie auf die bekannten und stark automatisierten Verhaltensmuster zurückgreifen. Das gilt für Patientinnen und Patienten wie für Behandlerinnen und Behandler. Dies bedeutet, dass die Anwendung und das Einüben von neuen Perspektiven und Herangehensweisen durch das Team sinnvollerweise immer in Situationen beginnt, die sich diejenigen gut zutrauen, wo eine mäßige Verstrickung in eigene schwierige Gefühle oder Gedanken besteht und/oder wo wechselseitige Unterstützung verfügbar ist. Beim Erwerb neuer Kompetenzen im klinischen Alltag und für die Gestaltung von alltäglichen Interaktionen mit Hilfe der ACT ist also auf eine ausreichende Balance zwischen der Bereitschaft, etwas Neues zu wagen, und einer Überforderung des Teams durch einen zu hohen Anwendungs- und Veränderungsdruck zu achten. Die Anwendung neu erlernter Interventionen »auf Teufel komm raus« kann in schwierigen Situationen, d. h. Krisen- oder Notsituationen, bei (noch) fehlender Routine entsprechend kontraproduktiv sein. ACT als therapeutisches Prinzip zu leben, heißt auch dahingehend flexibel zu sein, auf Altbewährtes zurückzugreifen oder auf eine Gelegenheit für eine ACT-Intervention zu verzichten, wenn es für den jeweiligen Kontext hilfreich und sinnvoll ist, d. h. in der Situation, für den betreffenden Patienten oder die betreffende Patientin und die jeweilige Behandlerin oder den Behandler. Gleichsam wächst die Erfahrung mit der Anwendung von ACT im klinischen Alltag fast automatisch mit der konkreten Anwendung von ACT im klinischen Alltag, so dass bei zunehmender Verinnerlichung der ACT-Kernprozesse durch das Teams immer mehr »InterACTion« möglich und hilfreich wird und dann mehr oder weniger spontan bei den verschiedenen Teammitgliedern in alltäglichen Interaktionen auftritt.
4.4 Was ist das Wichtigste für die InterACTion im klinischen Alltag? – Fazit und Ausblick
Die Arbeit im stationären und tagesklinischen Rahmen bietet generell eine Vielzahl an Möglichkeiten, das therapeutische Wirken nicht nur auf den Therapieraum zu beschränken. Dies gilt auch für die Arbeit mit ACT im klinischen Setting und kommt diesem Ansatz sehr entgegen, da es bei der ACT viel um Prinzipien zur Förderung psychischer Flexibilität geht, die Menschen im Allgemeinen betreffen und damit für viele alltägliche Situationen und Interaktionen relevant sind. Anhand der oben erläuterten Beispiele möchten wir dazu ermutigen, den klinischen Behandlungsrahmen und alle stattfindenden Interaktionen auch als Chance zum Vermitteln und (Vor-)Leben psychischer Flexibilität zu betrachten. Auch und gerade bei bestehender, teils hoher Symptombelastung der Patientinnen und Patienten.
Ein wichtiger Faktor der Anwendung und Förderung von ACT-bezogenen Kompetenzen und Fähigkeiten bei Patientinnen und Patienten im klinischen Alltag, d. h. erfolgreicher InterACTion, sind die Teammitglieder und deren Verinnerlichung der Kernprozesse, die zu psychischer Flexibilität beitragen:
• Sind die Mitglieder des Teams offen und bereit für Gefühle, Gedanken und Körperreaktionen, auch wenn sie schwierig und unbehaglich sind? Dies ist eine Frage der Präsenz im Hier und Jetzt (Achtsamkeit) sowie der Bereitschaft und Akzeptanz.
• Macht sich das Team eigene Selbstkonzepte und Rollenerwartungen im Zusammenhang mit der Arbeit immer wieder bewusst und nimmt unterschiedliche Blickwinkel und Perspektiven auf sich selber ein? Dies ist eine Frage des Perspektivwechselns bzw. des Selbst-als-Kontext.
• Inwieweit machen sich die Mitglieder des Teams ihre eigenen Werte in Bezug auf die Arbeit mit den Patientinnen und Patienten, aber auch miteinander, stets aufs Neue bewusst? Und lassen diese handlungsleitend sein? Dies ist eine Frage der Werteklärung, aber auch der Präsenz im Hier und Jetzt (Achtsamkeit).
• Kann das Team aus dieser Offenheit und Bereitschaft sowie den gemeinsamen Werten heraus, als Team und individuell Handlungsschritte ableiten, die in der direkten Interaktion mit den Patientinnen und Patienten hilfreich sind, um diese in ihrem Heilungsprozess (mit ACT gesprochen: ein sinnvoll gelebtes Leben führen) zu unterstützen?
Ziel der multidisziplinären Arbeit nach der ACT ist es, alle Teammitglieder in der Weiterentwicklung dieser Kompetenzen zu unterstützen, so dass die ACT-Prozesse sowohl in der InterACTion mit Patientinnen und Patienten als auch in der InterACTion der Teammitglieder untereinander wirksam werden und psychische Flexibilität im Dienste der Gesundheit und der Lebenszufriedenheit aller Beteiligten befördern können.
Literatur
Burian R (2015) Der Stahlhelm des Sozialisten. ACT im Konsiliardienst bei Patienten mit körperlichen Erkrankungen. In: Waadt M, Gloster A, Martz J (Hrsg.) Arbeiten mit der Akzeptanz- und Commitment-Therapie. Bern: Hogrefe Verlag. S. 241–275.
Harris R (2011) ACT leicht gemacht. Freiburg: Arbor Verlag.
Harris R (2014) Schwierige Situationen in der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT). Weinheim, Basel: Beltz Verlag.
Vilatte M, Vilatte JL, Hayes SC (2016). Mastering the Clinical Conversation. New York: The Guilford Press.
Waadt M, Martz J, Gloster A (2015) Arbeiten mit der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT). Bern: Hogrefe Verlag.
Multiprofessionelle Arbeit mit der ACT im voll- oder teilstationären Setting einer psychiatrischen oder psychosomatischen Abteilung – Überlegungen zum Kontext
Albert Diefenbacher, Ronald Burian und Nina Romanczuk-Seiferth
Es dürfte unbestritten sein, dass das therapeutische Milieu als »heilsame Umgebung« einen wichtigen Faktor für die Genesung der in psychiatrischen oder psychosomatischen Einrichtungen behandelten Patientinnen und Patienten darstellt. Das ist im Grunde allen Mitgliedern eines multiprofessionellen Teams klar: Alle gehen davon aus, dass man gemeinsam am Behandlungserfolg arbeitet und beteiligt ist. Dabei wird jedoch eher selten reflektiert, wie die unterschiedlichen Vektoren der Aktivitäten verschiedener Berufsgruppen in einer Art Kräfteparallelogramm zusammenwirken, um den Patientinnen und Patienten dabei zu helfen, sich in die geeignete Richtung zu entwickeln. Bereits an dieser Stelle wird klar, dass eine unterschiedliche (Selbst-)Einschätzung unterschiedlicher Professionen die jeweilige Wichtigkeit oder Rolle für den therapeutischen Erfolg, bei aller gegenseitigen Wertschätzung, unterschiedlich beurteilen können. Dabei kann der ärztliche Primat hinsichtlich der Behandlungssteuerung im Krankenhaus die Ärztin oder den Arzt unter Umständen durchaus überfordern: nämlich wenn bei einer Patientin oder einem Patienten gegen Ende der Behandlung sozialmedizinische Probleme (wie z. B. Gestaltung der Wohnsituation) deutlich in den Vordergrund treten, die Behandlung aber fälschlicherweise nun nicht dem Sozialdienst übertragen wird, sondern die Ärztin oder der Arzt (oder auch die Psychologin oder der Psychologe) in den Visiten nach wie vor einen primär medizinischen Ansatz verfolgt, da sie oder er sich einer Führungsrolle verpflichtet fühlt. Dies lenkt aber möglicherweise vom Ziel ab und beeinträchtigt den Erfolg der Behandlung.
Optimalerweise können hierbei auftretende Konflikte im Rahmen von Team- oder Fallsupervisionen besprochen und konstruktiv weiterentwickelt werden. Allerdings zeigt sich in der täglichen klinischen Praxis, dass die Bereitschaft zur Teilnahme an Supervisionen von Teammitglied zu Teammitglied oder auch von Team zu Team durchaus unterschiedlich sein kann: Vom begeisterten Einfordern externer Supervision bis hin zur Ablehnung einer solchen; oder wenn Letzteres wegen entsprechender Verpflichtung durch die Dienstvorgesetzte oder den Dienstvorgesetzten nicht gelingt, ein mögliches passives Teilnehmen an einer 90-minütigen Supervisionssitzung, was möglicherweise von der externen Supervisorin oder dem Supervisor nicht wahrgenommen oder nicht thematisiert wird.
Grundsätzlich gilt, dass Therapeutinnen und Therapeuten unterschiedlicher Professionen »verstehen müssen, dass sie nicht als Individuen arbeiten, sondern in sozialen und ökologischen Bezügen« und dass sich aus der »Gestaltung des sozialen Netzes (in der Klinik) […] auch unmittelbar therapeutische Ansätze« ergeben (Linden 2011, S. IX). Dieses