München, die seit 1914 ununterbrochen ungarischer Meister war und dies auch bis 1925 bleiben sollte. Am 13. Mai 1920 sahen 15.000 Zuschauer an der Marbachstraße einen 7:1-Sieg der Ungarn. Der FC Bayern ging im Ballzauber von »Fußballkönig« Alfred Schaffer und Co. förmlich unter. Die größte Kulisse mobilisierte allerdings das Gastspiel des uruguayischen Meisters Pennarol Montevideo am 14. April 1927. 1924 hatte Uruguay das Olympische Fußballturnier gewonnen. Seither wurden Teams aus Südamerika nicht mehr als Exoten, sondern als sportliche Attraktion höchsten Ranges betrachtet. 30.000 Zuschauer an der Grünwalder Straße sahen einen sensationellen 2:1-Sieg ihrer Bayern.
Weitere prominente Namen, die auf dem Spielplan des FC Bayern standen, waren der FC Modena (Italien), Bolton Wanderers, West Ham United, Birmingham FC, Chelsea FC (alle England), Slavia Prag (Tschechoslowakei), Boldklubben Kopenhagen (Dänemark), Ferencvaros Budapest (Ungarn), FC Basel, Grasshoppers Zürich, Servette Genf (Schweiz) und Boca Juniors (Argentinien).
Landauer verfocht eine Politik, die auf die Jugend setzte. Willy Simets-reiter, der beim FC Bayern in der Schülermannschaft anfing (»In Schwabing war klar, du gehst zum FC Bayern«) und von 1934 bis 1947 in dessen erster Mannschaft kickte: »Der Landauer hatte viel für die jungen Spieler getan.«14 Der Präsident sollte mit seiner Politik Recht behalten. Während seiner zweiten Amtszeit stieg der FC Bayern in die deutsche Fußball-Creme auf.
1932 wurde der heutige Rekordmeister erstmals Deutscher Meister. Am 12. Juni 1932 schlug der FC Bayern vor 58.000 Zuschauern im Nürnberger »Zabo« Eintracht Frankfurt mit 2:0. Die Vorbereitung auf das Finale verlief für damalige Verhältnisse äußerst professionell. Trainer der Bayern war Richard »Littl« Dombi, ein Österreicher jüdischer Herkunft. Unter seinem Geburtsnamen Richard Kohn hatte Dombi von 1908 bis 1912 sechsmal das Nationaltrikot Österreichs getragen. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte Kohn alias Dombi einige Jahre für MTK Budapest gekickt. Während seiner Zeit in Ungarn ersetzte Kohn seinen Namen durch Dombi.
Als Aktiver erlangte der kleine untersetzte Stürmer ob seiner Schusskraft Berühmtheit. In Deutschland begann Dombi seine Trainerkarriere 1924 bei Hertha BSC Berlin. Über die Stationen Vienna Wien, Sportfreunde Stuttgart, Barcelona, VfR Mannheim und 1860 München war er schließlich bei den Bayern gelandet. Während seines Engagements beim Lokalrivalen hatte er für kurze Zeit internationales Flair an die Grünwalder Straße gebracht. Dombi organisierte u.a. Gastspiele von HASK Zagreb, Juniors Montevideo und Olympique Marseille.
Der Ungar verfügte über erhebliche medizinische Kenntnisse, weshalb er auch »der Wunderdoktor« genannt wurde. Dombi agierte als Geschäftsführer, Organisator, Masseur und Trainer in einer Person. Seine Trainingslehre wäre auch heute noch höchst modern. Dombi war stark von der Fußballphilosophie der Budapester Schule geprägt und legte großen Wert darauf, dass seine Spieler auch auf engstem Raum und vom Gegner bedrängt den Ball kontrollieren konnten.
In Nürnberg schirmte Dombi die Mannschaft von der Öffentlichkeit hermetisch ab. Als Geheimquartier fungierte das Hotel Württemberger Hof. Im Mannschaftshotel wurde nach dem Gewinn der »Viktoria« zu später Stunde der geflügelten Meisterschaftsstatue das Nachthemd des Bayern-Präsidenten übergestreift und die Trophäe in Landauers Bett gelegt.
Der Empfang in München übertraf alle Erwartungen. Hunderttausende waren auf den Beinen, als Landauer, Dombi und die Spieler in Kutschen mit weißen Pferden vom Hauptbahnhof über den Stachus, durch die Neuhauser-und Kaufingerstraße zum Marienplatz zogen. Bei der anschließenden Feier im Löwenbräukeller überreichte Landauer Oberbürgermeister Dr. Scharnagl ein Fünfmarkstück – mit den besten Grüßen von Walther Bensemann. Der »Kicker«-Herausgeber hatte auf die Frankfurter gewettet und dabei gegen das den Bayern verbundene Münchener Stadtoberhaupt verloren.
Machtwechsel
Einige Monate nach dem Triumph von Nürnberg waren dessen Architekten und Macher nicht mehr im Lande oder nicht mehr in offiziellen Funktionen beim FC Bayern. Erfolgscoach Richard Dombi und Jugendleiter Otto Beer, verantwortlich für die exzellente Nachwuchsarbeit des Klubs und ebenfalls jüdischer Abstammung, verließen München angesichts der politischen Entwicklung und gingen in die Schweiz.
Dombi heuerte beim FC Basel an. Von 1935 bis 1939 und 1951 bis 1955 war der Österreicher Chefcoach bei Feyenoord Rotterdam. In seine erste Amtszeit fiel der zweimalige Gewinn der niederländischen Meisterschaft und ein Sieg über das legendäre Team von Arsenal London. Noch heute wird Dombi, der erste einer Reihe weiterer Feyenoord-Trainer aus Mitteleuropa, in Rotterdam für seine Verdienste verehrt. Der Meistermacher starb 1963 nach langer Krankheit.
Nach der Saison 1932/33 zog es auch Nationalspieler und Mittelstürmer Oskar »Ossi« Rohr, der im Finale von Nürnberg das 1:0 markiert hatte, in die Schweiz. Anders als Dombi und Beer war Rohr kein Jude. Bei den Bayern hatte er glückliche 16 Monate verlebt, in denen er 30 Tore schoss. Doch der Bayern-Torjäger wollte Profi werden, was in Deutschland nun verpönt und verboten war. Die Nazis hatten die Entwicklung zum Professionalismus gestoppt. Der halboffizielle »Zigarrenladen-Amateurismus« wurde sanktioniert, während die nationalsozialistische Ideologie zugleich verlangte, dass nach außen hin das Amateurideal aufrechterhalten blieb. Aus Sicht der Nazis war der Professionalismus eine »jüdische« Angelegenheit.
Rohr schloss sich den Grasshoppers Zürich an, mit denen er 1934 den Landespokal gewann. Am 19. März 1933 hatte die deutsche Nationalmannschaft in Berlin gegen Frankreich ihr erstes Länderspiel nach den Reichstagswahlen vom 5. März bestritten, in denen die braune Machtergreifung zementiert wurde. Für Oskar Rohr, der zum 3:3-Remis zwei Tore beisteuerte, war es der letzte Auftritt im Nationaltrikot gewesen. Angesichts der politischen Entwicklung in Berlin hatte Jules Rimet, seit 1921 Präsident der FIFA, zunächst erwogen, die Équipe tricolore zu Hause zu lassen. Sein deutscher Generalsekrär Ivo Schricker, ein langjähriger Freund Walther Bensemanns und keineswegs ein Befürworter der neuen politischen Verhältnisse in seiner Heimat, belehrte ihn eines Besseren. Bensemann befürchtete, dass eine sportliche Isolation Deutschlands die Situation nur verschlimmern würde.16
In Deutschland sah sich der »Legionär« Oskar Rohr scharfen Angriffen ausgesetzt. Der »Fußball« beschuldigte den Torjäger, er habe sich »im Ausland als Gladiator verkauft«.17
Nach nur einem Jahr verließ Rohr Zürich wieder, um in Frankreich bei Racing Straßburg anzuheuern. Hier verbrachte Rohr seine sportlich erfolgreichsten Jahre. 1934/35 wurde er mit Straßburg Vizemeister und schoss 20 Tore. 1936/37 wurde der ehemalige Bayern-Star mit 30 Treffern Torschützenkönig in Frankreich und zog mit Racing ins Pokalfinale ein, wo man allerdings gegen Socheaux unglücklich mit 1:2 unterlag. Als die Nazis 1940 im Elsass einmarschierten, setzte sich Rohr nach Sète im unbesetzten Süden Frankreichs ab. Im November 1942 wurde er dort von deutschen Besatzungstruppen aufgegriffen und in das KZ Karlsruhe-Kieslau verschleppt. Von dort wurde Rohr schließlich zwangsweise an die Ostfront geschickt. Als Stürmer einer »Heeresflak-Auswahl« erzielte er in einem Spiel gegen die »Luftnachrichten« fünf Tore. Rohr überlebte den Krieg, blieb anschließend in Deutschland und kickte noch für den VfR Mannheim, Schwaben Augsburg, FK Pirmasens und Waldhof Mannheim.
Bereits am 22. März 1933 hatte sich Kurt Landauer durch die neuen politischen Verhältnisse zum Rücktritt genötigt gesehen. Offiziell hieß es, Landauer habe sein Amt »mit Rücksicht auf die staatspolitische Neugestaltung der Verhältnisse in Deutschland« abgegeben.18 Willy Simetsreiter: »Es war ein Jammer, dass der plötzlich weg war.«19 Vorausgegangen waren die bereits erwähnten Reichstagswahlen vom 5. März 1933, bei denen die NSDAP in München 179.490 Stimmen geholt hatte. Die Bayrische Volkspartei verbuchte 102.497 Stimmen, die SPD 92.284 und die KPD 55.483. Das bayrische Ergebnis war zwar das schlechteste für die Nazis im Reich, aber am 9. März 1933 erfolgte die Absetzung der bayerischen Regierung und die Ernennung von General Epp, der 1919 als Freikorpsführer wesentlich an der Zerschlagung der Räteregierung beteiligt