Herbert Lackner

Rückkehr in die fremde Heimat


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Machtergreifung Hitlers Deutschland verlassen und war in die Schweiz übersiedelt. Im März 1938 trat er einen Lehrauftrag an der Princeton University nahe New York City an. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Frankreich im Sommer 1940 sammelte Thomas Mann gemeinsam mit seiner Tochter Erika unter Bankern, Unternehmern und Universitätsprofessoren in New York eine ansehnliche Summe, mit der ein Fluchthelfer, der Journalist Varian Fry, in den unbesetzten Teil Frankreichs entsandt wurde. Dorthin, in den Süden des Landes, war die vom deutschen Vormarsch überraschte europäische Kulturelite geflohen, die zuvor in Paris gelebt hatte. Südfrankreich war freilich ein höchst unsicherer Fluchtort. Marschall Philippe Pétain, der Regierungschef von „Vichy-Frankreich“, kollaborierte bedingungslos mit den Deutschen. Die Häfen waren gesperrt, wer Frankreich verlassen wollte, benötigte ein Ausreisevisum und die Gestapo schaute den französischen Beamten über die Schulter.

      Dem von Thomas Mann entsandten Fluchthelfer Varian Fry gelang es, Hunderte Flüchtlinge über die Grenze zu schmuggeln, meist mit gefälschten Papieren und über dornige Steige durch die Pyrenäen. Gleich in der ersten Gruppe, die sich auf diesem Weg nach Spanien und später nach Portugal durchschlug, waren Alma und Franz Werfel, Thomas Manns Sohn Golo, Manns Bruder Heinrich und dessen Frau Nelly. Auch die Maler Marc Chagall und Max Ernst, der Autor Lion Feuchtwanger und seine Frau Martha, der Wiener Feuilletonist Alfred Polgar sowie Hunderte andere Flüchtlinge erreichten nur durch Varian Frys Hilfe den rettenden Hafen Lissabon.

      Dort lief im Oktober 1940 das letzte reguläre Passagierschiff Richtung New York aus, bevor der Schiffsverkehr wegen des U-Boot-Kriegs eingestellt werden musste. Der Dampfer hieß „Nea Hellas“ und fuhr unter griechischer Flagge. Neben den Werfels und den Manns waren auch Alfred Polgar und seine Frau sowie der Berliner Schriftsteller Alfred Döblin mit seiner Familie an Bord. Friederike Zweig, von Stefan Zweig inzwischen geschieden, war mit ihren zwei Töchtern aus erster Ehe auf diesem letzten Schiff, das planmäßig den Atlantik überquerte. Stefan Zweig wanderte da gerade mit seiner neuen Frau, seiner Ex-Sekretärin Charlotte Altmann, in Brasilien ein, seiner letzten Lebensstation.

      Ganz oben auf der Liste der aus Südfrankreich zu schleusenden Autoren, die Varian Fry von Thomas Mann mitgegeben wurde, stand der Journalist Konrad Heiden. Heiden galt in Nazi-Deutschland als Staatsfeind Nummer eins. Er hatte vor 1933 den atemberaubenden Aufstieg der NSDAP in der „Frankfurter Zeitung“ kritisch dokumentiert und 1936 in der Schweiz die erste fundierte Hitler-Biografie veröffentlicht. Darin verfolgte er die Spuren der Familie des „Führers“ ins niederösterreichische Waldviertel. Hitler hatte seine Herkunft stets verschleiert und sogar Dörfer schleifen lassen, in denen seine Vorfahren lebten. Er hasste Konrad Heiden, nach ihm fahndete die Gestapo in ganz Frankreich. Auch er schlug sich mit Hilfe Varian Frys nach Lissabon durch und querte auf der „Nea Hellas“ den Atlantik.

      Jetzt, als der große Krieg zu Ende geht, sind diese Geflüchteten mit großen Namen also seit mindestens fünf Jahren in den USA. In New York und Los Angeles haben sie deutschsprachige Künstlerkolonien gegründet. Den ganz Großen fehlt es an nichts. Erich Maria Remarque etwa scheffelt reichlich Tantiemen aus seinem ins Englische übersetzten Roman „Im Westen nichts Neues“ und hat eine Affäre mit der schon Anfang der 1930er-Jahre nach Hollywood ausgewanderten Marlene Dietrich. Der maskuline 44-Jährige gefällt auch Alma Mahler-Werfel. „Ich habe eine große Freundschaft und Saufgenossenschaft mit Remarque gefunden“, schreibt sie an ihren Kumpel, den Schriftsteller Carl Zuckmayer, der mit seiner Frau eine kleine Farm in Vermont gemietet hat. Remarque sieht Alma etwas distanzierter: „Ein wildes, blondes Weib, gewalttätig, saufend. Hat bereits Gustav Mahler unter die Erde gebracht. Sie pfiff Werfel wie einem Hund, er kam auch.“

      Thomas Mann, ihr Retter, feiert am 6. Juni 1944, dem ersten Tag der Invasion der Alliierten in der Normandie, seinen 69. Geburtstag. Er hält das für eine Fügung des Schicksals. „Eigentümliches Zusammentreffen“, schreibt er in sein Tagebuch und führt die Liste der Geschenke an, die ihm seine Frau Katia gemacht hat: „Armstuhl fürs Schlafzimmer, Schlafrock, Platten, Ledernützlichkeiten, Seife, Süßigkeiten.“

      Worüber unterhält man sich in Almas Mahler-Werfels Salon, den Thomas Mann so regelmäßig besuchte? Über Hitler? Über den Krieg? Über das Europa nach dem Krieg? Manns Tagebuch, in dem er stets penibel Gesprächspartner und Gesprächsthemen festhält, lässt anderes vermuten: Hier sitzen Bewohner des Elfenbeinturms zusammen. „Zum Abendessen bei Werfels. Über Nietzsche und das Mitleid, das er erregt. Begegnung mit Schönberg und Strawinsky in Aussicht genommen“, notiert Mann im Mai 1943. Drei Monate später ist er wieder zu Gast: „Zum Abendessen zu Werfels mit Strawinsky. Viel mit Strawinsky über Schönberg.“ Und wieder einige Monate später: „Abendessen bei Werfels mit Bruno Walter und Schönberg. Viel mit diesem. Champagner.“

      Thomas Mann erwähnt in seinen Tagebucheintragungen über die Feste bei Alma Mahler-Werfel kaum je Diskussionen über die Ereignisse in Europa. Es ist die Stunde der Schöngeister. Manchmal kommt auch Theodor Adorno vorbei und spielt Klavier. Der Frankfurter Soziologe und Philosoph war 1941 mit seinem philosophischen Alter Ego Max Horkheimer aus New York ins klimatisch angenehmere Kalifornien übersiedelt. Hier verfassen sie nun ihr Hauptwerk „Dialektik der Aufklärung“, in dem sie angesichts der nationalsozialistischen Barbarei grundsätzliche Kritik an der europäischen Aufklärung üben, deren Fortschrittsoptimismus obsolet geworden sei.

      Thomas Mann verfolgt genauer als alle anderen die Ereignisse in Europa. Fast jede seiner Tagebuch-Eintragungen, die stets mit Klagen über Krankheiten aller Art beginnen, endet mit einer Notiz über die Vorgänge in Europa: „Die Russen vor Minsk“, trägt er im Juni 1944 freudig ein. „Entsetzliche Zunahme des Juden-Massacres in Europa“ wenig später. „Fürchterliches Bombardement von Nürnberg“, notiert er einige Wochen danach fast erleichtert.

      Seit 1941 nimmt Thomas Mann in Los Angeles Reden auf Schallplatten auf, die nach New York geflogen und von dort telefonisch nach London übertragen werden. Die BBC strahlt sie per Langwelle weit ins europäische Festland hinein. Bereits im Februar 1942 spricht Mann von der „Tötung von nicht weniger als elftausend polnischen Juden mit Giftgas“, die in „luftdicht verschlossene Wagen gesteckt und binnen einer Viertelstunde in Leichen verwandelt werden“. Man habe aus erster Hand „die Beschreibung des ganzen Vorganges, der Schreie und Gebete der Opfer und des gutmütigen Gelächters der SS-Hottentotten, die den Spaß zur Ausführung brachten.“

      In Almas Salon bringt Thomas Mann so Schreckliches nicht zur Sprache.

      Aber bei Weitem nicht alle auf ihrer Flucht an die Küste Kaliforniens gespülten Dichter und Denker leben den Luxus, den sich die erfolgreichen Emigranten leisten können. Viele der nun verarmten Flüchtlinge waren in Europa ebenfalls große Stars, aber ihre Bücher wurden nicht übersetzt, also gibt es jetzt keine Tantiemen. In Nazi-Deutschland wurden ihre Arbeiten aus den Buchhandlungen geholt und öffentlich verbrannt, ihre Konten sind gesperrt.

      Präsident Franklin D. Roosevelt hat den Studiobossen in Hollywood zehn auf ein Jahr befristete Arbeitsplätze für geflüchtete und bedürftige europäische Autoren abgerungen. Monatslohn: 100 Dollar, nach heutiger Kaufkraft etwa 1800 Euro.

      Friedrich Torberg ist unter jenen, die einen Schreibtisch in einem Filmstudio bekommen. Auch Alfred Döblin, der mit seinem 1929 erschienenen Roman „Berlin Alexanderplatz“ einen großen Erfolg gelandet hatte, bezieht ein Büro am Studiogelände von Metro-Goldwyn-Mayer.

      Bald wird den Autoren klar, dass die Studios nur dem Präsidenten einen Gefallen tun wollten, aber an der Arbeit dieser verschrobenen Europäer nicht wirklich interessiert sind. „Tun tut man nichts, absolut nichts“, schreibt Döblin an einen Freund. „Wir erledigen unsere Korrespondenz, telefonieren, lesen Zeitung, schreiben unsere eigenen Sachen – was man so in Sitzhaft tun kann. Jetzt fängt es hier langsam an zu regnen. Vielleicht entwickelt sich eine Sintflut und ertränkt die Filmindustrie samt ihrer Autoren.“

      Auch der Wiener Feuilletonist Alfred Polgar – Joseph Roth bezeichnete ihn als seinen großen Sprachlehrer – hat einen Job bei MGM bekommen. Als das Jahr in den Studios vorbei ist, zieht er bittere Bilanz: „Ich bekam nicht die geringste Gelegenheit während meines Engagements, weder mich zu blamieren noch mich auszuzeichnen. Man nahm