über die Schweiz nach Paris geflohen, hatte dort von milden Gaben seines Schweizer Verlegers und von Zuwendungen seiner guten Freundin Marlene Dietrich gelebt, die er 1927 bei einem Gastspiel in den Wiener Kammerspielen kennengelernt hatte.
1940 entkamen die Polgars mithilfe Varian Frys über die Pyrenäen nach Spanien und schließlich via Lissabon in die USA. Bald querten auch sie mit dem Zug den Kontinent.
Anfangs gefiel es dem Wiener Grandseigneur im amerikanischen Westen recht gut: „Hier in Californien ist es schön und warm, Land und Leute mehr als freundlich; und wenn’s in mir nicht so aussähe, wie es aussieht, ließe es sich hier angenehm leben“, schreibt er seinem Schweizer Verleger.
Aber auf Dauer ist das kein Land für einen notorischen Kaffeehausliteraten aus Wien: „Ich sehne mich nach Gelegenheiten, irgendwo außer Haus allein eine Stunde bei einem Glas Bier, einer Tasse Café sitzen zu können. Aber diese Gelegenheiten gibt es hier nicht. Ein Restaurant, ein Caféhaus nach unserem europäischen Geschmack sind hier unbekannt“, schreibt er wenig später. Je länger Polgar in Los Angeles lebt, desto bitterer werden seine Briefe: „Ich fühle mich grenzenlos einsam, völlig beziehungslos zu der neuen Welt, in die mich die alte vertrieben hat“, notiert er 1941 kurz vor seinem ersten Herzinfarkt.
Alfred Polgar kann im Magazin „Esquire“ einige Artikel unterbringen, sein sehnlicher Wunsch, auch im „New Yorker“ veröffentlicht zu werden, erfüllt sich nicht. Der Versuch, gemeinsam mit Friedrich Torberg eine deutschsprachige Ausgabe des „Time“-Magazins herauszugeben, kommt über eine Probenummer nicht hinaus. Torberg und Polgar hatten geplant, das Magazin nach der Niederlage Hitlers auch in Deutschland zwecks Umerziehung des vom Nationalsozialismus benebelten Volkes erscheinen zu lassen.
Zu den Partys in Almas Salon ist Polgar nicht geladen – er hätte eine Einladung wohl auch abgelehnt. In der Ersten Republik war er immer auf der Seite der Linken gestanden, die Freundlichkeiten, die Alma und Franz Werfel nach 1934 mit den austrofaschistischen Machthabern austauschten, hatten auch ihn empört.
Am schmerzlichsten sind die Jahre im kalifornischen Exil aber wohl für Heinrich Mann, den älteren Bruder des gefeierten Thomas. Heinrich Mann war in der Weimarer Republik ein Großer der deutschen Literaturszene gewesen. Sein Roman „Der Untertan“, erschienen unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, rechnete schonungslos mit dem kriecherischen Opportunismus der bürgerlichen Gesellschaft im wilhelminischen Kaiserreich ab. Die narbenübersäten Burschenschafter, die krähenden Kriegshetzer, die dumpfe Bourgeoisie, die rücksichtslosen Ausbeuter – an ihrem Beispiel beschrieb er den Wilhelminismus.
Darin unterschied er sich deutlich von seinem jüngeren Bruder Thomas, der 1914 wie viele Intellektuelle im Krieg etwas Reinigendes, etwas Erhabenes gesehen hatte und erst nach der Katastrophe die Wurzeln des Unheils erkannte.
Heinrich Mann schloss sich schon während des Weltkriegs dem linken Flügel der Sozialdemokraten an. 1932 erwog die SPD, ihn bei der Reichspräsidentenwahl aufzustellen, entschied sich dann aber schweren Herzens, den reaktionären Amtsinhaber Paul von Hindenburg zu unterstützen, um den ebenfalls kandidierenden Adolf Hitler zu verhindern.
Heinrich Mann setzte noch im Februar 1933 – Hitler war seit zwei Wochen Reichskanzler – alles daran, SPD und KPD zu einer Einheitsfront gegen die totale Machtübernahme der Nazis zu überreden. Einen von ihm sowie von dem Physiker Albert Einstein und der Malerin Käthe Kollwitz unterzeichneten Aufruf zur Bildung eines letzten Aufgebots gegen die Nazis ließ die Gruppe mutig auf Plakatwänden in deutschen Städten anbringen. Vergebens: Stalin untersagte den deutschen Kommunisten jede Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten. Diese seien ebenfalls Faschisten, lautete die aus Moskau vorgegebene Parole, „Sozialfaschisten“ eben.
Und jetzt sitzt dieser tapfere Demokrat, wache Geist und gefeierte Autor Heinrich Mann, der bis zuletzt Hitler die Stirn geboten hatte, in einem Hollywood-Studio und niemand interessiert sich für ihn und seine Arbeit. Erst wenige Jahre zuvor, 1930, war sein Roman „Professor Unrat“ in Berlin mit Marlene Dietrich unter dem Titel „Der blaue Engel“ verfilmt worden. Es war erst der zweite deutsche Tonfilm, die Besucher stürmten die Kinos. Aber hier im ihm so fremden Westen der USA muss Heinrich Mann von dem Geld leben, das ihm sein erfolgreicher jüngerer Bruder Thomas ab und an zusteckt.
Dazu kommen seine privaten Sorgen.
Heinrich Mann war vor der Flucht aus Deutschland gerne durch die Berliner Bars gezogen. So hatte er 1929 die Animierdame Nelly Kröger kennengelernt. Sie war die Tochter eines holsteinischen Fischers und politisch ebenfalls von linker Gesinnung. Das gefiel Heinrich. Bald waren die beiden ein Paar. Nelly war 30, Heinrich Mann nahezu 60. 1933 flohen sie wenige Tage nach Hitlers Machtergreifung gemeinsam nach Frankreich. In der südfranzösischen Künstlerkolonie Sanary-sur-Mer mieteten sie eine Wohnung, die bodenständige Nelly war in dem Städtchen überaus beliebt. Besonderen Anklang fanden die groben Seemannslieder, die Nelly gemeinsam mit dem aus seinem dänischen Exil zu Besuch angereisten Bertolt Brecht in großer Runde zum Besten gab.
Nach Hitlers Frankreich-Feldzug flohen Heinrich und Nelly im Spätsommer 1940 nach Spanien. Die junge Frau schleppte den fast 70-Jährigen über die steile Buschlandschaft der Pyrenäen. Von Spanien ging es nach Lissabon, von dort nach New York und bald darauf mit all den anderen nach Hollywood, wo nun auch der alte Heinrich Mann diesen demütigenden Dienst im Filmstudio ableisten musste.
Thomas Mann, er lebt mit seiner Frau Katia ganz in der Nähe, in Pacific Palisades im Norden von Los Angeles, lehnte Nelly von Beginn an ab: Eine Fischerstochter aus Holstein – so eine passte seiner Ansicht nach gar nicht in eine Familie, die von Lübecker Kaufleuten und Senatoren abstammt. Außerdem hatte sie es gewagt, ihn, den Nobelpreisträger für Literatur, bei Tisch zu unterbrechen. Einmal, so wird erzählt, habe sie zu einer Party geladene Gäste betrunken und splitternackt empfangen. Thomas Mann bezeichnet seine Schwägerin manchmal als „die schreckliche Trulle“ oder „die arge Hur“. Seine Frau Katia nennt sie nur „das Stück“.
Weil das Geld knapp ist, nimmt Nelly einen Job als Nachtschwester in einem Krankenhaus in Los Angeles an. Und sie trinkt. Sie trinkt sogar viel und wird immer wieder bei Verkehrskontrollen angehalten, das knappe Familienbudget wird durch das Bußgeld noch mehr belastet. Nach einem im Suff verursachten Unfall unternimmt sie im Jänner 1944 einen Selbstmordversuch. Aus der psychiatrischen Klinik, in die man sie einliefert, schreibt Nelly an ihren Mann: „Ich kann nicht denken an das, was ich die letzten zwei Jahre gelitten habe, und nur weil ich in meiner tiefsten Demütigung ein Glas Wein zu viel getrunken habe und oft betrunken war, habe ich nicht ganz meinen Verstand verloren. Nun will ich leben!“
Aber der Entzug misslingt. Nelly gibt auf. Im Dezember 1944 stirbt sie nach Einnahme einer Überdosis Schlaftabletten. Heinrich Mann ist verzweifelt. Zum Trost gibt ihm sein Bruder Thomas Geld, damit er wenigstens seine Möbel aus dem Pfandhaus holen kann. „Sie hat ihm viel Schaden getan. Er ist in Tränen um eine ruinöse Gefährtin“, schreibt Thomas Mann am Tag der Beerdigung Nellys in sein Tagebuch.
Auch Nellys Sangesfreund aus den Tagen in Südfrankreich ist in Los Angeles eingetroffen – und das auf höchst abenteuerlichen Wegen: Bertolt Brecht kam nicht über den Atlantik, wie die anderen Geflüchteten, sondern über den Pazifik. Mit seiner Frau, der Wiener Schauspielerin Helene Weigel, und den beiden Kindern war er nach Hitlers Machtübernahme zuerst aus Deutschland in sein Haus im dänischen Svendborg geflohen und nach der Besetzung Dänemarks durch die Wehrmacht über Schweden und Finnland in die Sowjetunion. Die Brechts durchquerten das Land mit der Transsibirischen Eisenbahn, in Wladiwostok schifften sie sich nach Kalifornien ein. Die Nazis verfolgten die beiden aus unterschiedlichen Gründen: Brecht ist Kommunist, Helene Weigel Jüdin.
In Santa Monica trifft Bertolt Brecht bald auf alte Bekannte aus Berlin und ist entsetzt: „Döblin und Mann hier zu sehen, ist anstrengend. Sie sind mehr als erfolglos. Heinrich Mann hat nicht das Geld, sich einen Arzt zu rufen, und sein Herz ist verbraucht. Sein Bruder, mit einem Haus, 4 bis 5 Autos, läßt ihn buchstäblich hungern“, schreibt Brecht in sein „Arbeitsjournal“, wie er sein literarisches Tagebuch nennt.
Aber auch er kann nicht wirklich Fuß fassen, Kalifornien bleibt ihm fremd, er findet sogar sein Exil in Dänemark interessanter: „Die