sich im November 1918 noch vor dem Rat der Volksbeauftragten spontan in ganz Deutschland bildeten, hofften auf die Verankerung einer wirklichen Massendemokratie und entscheidende Wirtschaftsreformen. Der Ruf nach dem Sozialismus sei, so Rosenberg, nicht eine Ursache, sondern eine Folge der Novemberrevolution gewesen. Was man im Einzelnen unter Sozialisierung verstehen wollte, darüber bestünden freilich die größten Meinungsverschiedenheiten. Aber jede Form einer Plan- oder Gemeinwirtschaft könne nur dann Erfolge erzielen, wenn sie die produzierenden Massen zur lebendigen Mitwirkung mobilisierte. Die gegebenen Organe für diese Mitwirkung aber seien die Räte.
Ein direkter Übergang von der bürgerlichen zur sozialistischen Demokratie sei, so Rosenberg, 1918 noch nicht möglich gewesen.24 Erst in einem langwierigen Entwicklungsprozess lasse sich die Mehrheit des deutschen werktätigen Volkes für den sozialistischen Staatsgedanken gewinnen. Nach seinem Klassenkompromiss mit dem Feudaladel im Kaiserreich aber sei das Bürgertum nicht einmal zur Absicherung der bürgerlich-demokratischen Revolution imstande. Die Arbeiterschaft müsse diese Aufgabe übernehmen. Somit stehe, wie Rosenberg unterstrich, eine demokratische Räterepublik, aber unter Ablehnung einer jeden Parteidiktatur auf der Tagesordnung. Wenn aber das Volk eine Nationalversammlung wolle, dürfe sich die radikale Linke dem nicht verweigern. Sie müsse, wie Rosa Luxemburg richtig erkannt habe, vielmehr das Parlament als Tribüne ihrer Forderungen nutzen. Doch nicht einmal innerhalb des Spartakusbundes habe Rosa Luxemburg ihren Standpunkt durchsetzen können. Dessen Mehrheit habe, in Rosenbergs Worten, mit hemmungslosem Utopismus an die besonders armen, verelendeten und verbitterten Arbeiterschichten appelliert und damit den Bürgerkrieg heraufbeschworen. Doch verkannte Rosenberg hier Ursache und Wirkung, denn es waren die politische Rechte und die militärische Gegenrevolution, die durch ihre Begünstigung von Seiten der SPD-Führung Oberwasser bekamen und den Bürgerkrieg entfesselten.
Dabei begriffen die Funktionäre der Mehrheitssozialisten nicht, wie Rosenberg mit Recht betonte, dass Räte und Bolschewismus in keiner Weise identisch waren. Die SPD-Spitzen fühlten sich von den Aktivitäten der Räte unter den Arbeitern bedroht und wünschten bestenfalls eine Art der Verbindung zwischen den Räten und der Nationalversammlung. Sie hätten sich mit begrenzten Sozialisierungsmaßnahmen zufriedengegeben, an deren Beginn die Nationalisierung der Bergwerke gestanden hätte.
Überraschenderweise sah Rosenberg nicht den kleinsten Anschein eines Beweises, dass die mehrheitssozialistischen Volksbeauftragten die Ermordung von Liebknecht und Luxemburg gewünscht oder gebilligt hätten. Mit Recht hielt er aber fest, dass diese Bluttat entscheidend dazu beitrug, dass Millionen deutscher Arbeiter der SPD den Rücken kehrten. Mit der Ermordung von Kurt Eisner am 21. Februar 1919 durch einen fanatischen Nationalisten habe die deutsche sozialistische Arbeiterschaft den einzigen schöpferischen Staatsmann verloren, der seit dem November 1918 hervorgetreten war. Im Ergebnis des konterrevolutionären Terrors habe Mitte des Jahres 1919 die reale Macht in Deutschland bei den Freikorps und nicht bei der Nationalversammlung gelegen.
Doch nicht nur die SPD, sondern alle drei Richtungen der deutschen Arbeiterbewegung hätten in der revolutionären Nachkriegskrise versagt, denn jede von ihnen habe einmal die Führung der Linken innegehabt: die SPD in der Revolution, die USPD im Kapp-Putsch 1920 und die KPD 1923. In diesem Jahr habe die KPD alle Fehler der Sozialdemokratie von 1918 wiederholt. Sie habe, wie damals die SPD, die Mehrheit der Arbeiter hinter sich gehabt, sei indes auf die Machtübernahme überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Rosenbergs Fazit war klar: Wie schon das kaiserliche Deutschland, das die Arbeiter von jeder Mitwirkung im Staat ausgeschlossen habe, war die Weimarer Republik von Anfang an todkrank. Ihre weitere Geschichte war aus der Sicht Rosenbergs nicht zuletzt eine Krankheitsgeschichte. Diese forschen Urteile waren und blieben jedoch umstritten. Rosenbergs lebendig geschriebene politische Geschichte der ersten deutschen Republik wurde natürlich in Hitler-Deutschland totgeschwiegen, sollte indes eine Nachwirkung entfalten. Die später stark beachtete Kultur der Weimarer Republik aber fand bei Rosenberg noch nicht die angemessene Berücksichtigung.
Rosenbergs scharfe, große Linien der Beweisführung ziehende Argumentation zeigt sich auch 1938 in seiner letzten Monographie Demokratie und Sozialismus. Darin untersuchte er den Bedeutungswandel von Demokratie und demokratischer Bewegung zwischen dem 18. und dem frühen 20. Jahrhundert. Rosenberg legte dar, wie die Demokratie sich von einer revolutionären Volksbewegung zum Herrschaftsmittel der Bourgeoisie entwickelte. Wie in seinen früheren zeitgeschichtlichen Büchern betonte er mit Bezug auf Marx und Engels die Bedeutung der sozialen Konflikte und Klassenkämpfe für die moderne Geschichte. Doch während Marx und Engels eine „revolutionäre Realpolitik“ betrieben, verzichtete die Zweite Internationale vor 1914 trotz verbalen Bekenntnisses zur Revolution „auf eine volkstümliche Revolutionspolitik und ersetzte sie durch eine Berufs- und Protestpolitik der Industriearbeiter.“25 Marx und Engels konnten noch nicht erkennen, „daß es sich […] bei den sozialistischen Parteien nicht um einzelne Fehler, sondern um einen neuen Typus handelte und dass die normale Berufspartei der europäischen Arbeiter von dem revolutionären Marxismus in ihrem Wesen verschieden war.“26 Rosenberg war und blieb der marxistischen Gesellschaftsanalyse verpflichtet, sah jedoch deren Begründer nicht als unfehlbare Propheten, sondern als suchende und auch irrende Persönlichkeiten.27
III. Rezeption und Nachwirkung
Arthur Rosenbergs Arbeiten zur Zeitgeschichte wurden sofort zum Gegenstand kontroverser Diskussion und Rezeption. Als Die Entstehung der deutschen Republik 1928 herauskam, fand das Buch, wie die Rezensionen zeigten, eine unterschiedliche Aufnahme. Hans Herzfeld, damals auf deutschnationalen Positionen stehender Privatdozent in Halle, hob hervor: „Das gewandt geschriebene Buch ist unleugbar durch eine einheitlich gesehene, großzügige Gesamtauffassung zusammengehalten; von diesem Boden aus vermag der Verfasser auch ihm politisch fremde Erscheinungen ruhig und persönlich anerkennend zu würdigen, wie sein Urteil über Ludendorff beweist.“28
Hermann Wendel besprach das Buch in der sozialdemokratischen Gesellschaft enthusiastisch. Er zog Parallelen zu Franz Mehrings klassischer Geschichte der deutschen Sozialdemokratie. „Auf solcher Höhe steht in der Literatur unserer Tage ziemlich einsam Arthur Rosenbergs ‚Die Entstehung der deutschen Republik‘, ein Werk aus einem Guß, treffsicher und einschlagend wie ein großkalibriges Sprenggeschoß. Nicht jeder seiner Schlüsse, nicht jedes seiner Urteile weckt Zustimmung; die Objektivität etwa gegen die durch die Revolution entthronte Herrenkaste, gegen Ludendorff und die Admirale vom Oktober 1918 geht manchmal erstaunlich weit, aber was verschlägt das neben der Tatsache, daß hier endlich wieder einmal ein überlegener, geschichtsphilosophischer Kopf die deutsche Entwicklung von 1871 bis 1918 als Einheit faßt und die logische Verknüpfung der Geschehnisse von innen heraus deutlich macht.“ Wendel spitzte Rosenbergs Argumentation noch zu, als er schrieb: „Ja, im Grunde wurde nicht erst 1890, sondern schon 1878, als das Sozialistengesetz Hunderttausende deutscher Bürger ächtete und jagte, der Stab über den preußisch-deutschen Obrigkeitsstaat gebrochen. Die Linie, die von 1871 über 1878 und 1890 zu 1918 führt, ist unerbittlich gerade und ohne jeden Zufallsknick.“29
Franz Schnabel unterstützte Rosenbergs These vom „bonapartistischen Selbstherrschertum“ des Kaiserreichs. Rosenberg erkenne auch die eigentlich unpolitische, nur den Frieden suchende Haltung der Massen am Ende des Krieges.30 Alfred Meusel stimmte Rosenbergs Betonung des Klassenkompromisses zu. Dieser charakterisiere nicht nur das Bismarckreich, sondern auch die deutsche Revolution von 1918: In dieser Revolution habe die Bourgeoisie ihren Widerstand gegen alle sozialpolitischen und politisch-demokratischen Forderungen aufgegeben, um ihre Herrschaft über den Produktionsmittelapparat zu sichern. Auf dieser Basis sei ein Kompromiss zustande gekommen. Ökonomisch sei er „dadurch charakterisiert, daß die Bourgeoisie Herrin über die Produktionsmittel bleibt, daß sie diese Herrschaft aber nur durch eine Reihe von Konzessionen an die reformistische Arbeiterbewegung aufrechterhalten kann.“ Diese Konzessionen seien nicht ein für allemal fixiert; der Kampf zwischen den Klassen gehe also weiter.31 Es blieb einem KPD-Rezensenten vorbehalten, Rosenberg die „Unverfrorenheit eines Renegaten“ zu bescheinigen. Sein Buch zeuge von einem „gewissenhaft ausgeführten Auftrag der Partei, „die die deutsche Revolution verriet.“32
Ein infamer Kommentar erschien im