Kay Tetzlaff

Moderne Tauchmedizin


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weitere Theorien, die so genannten Neo-Haldane-Modelle, aufbauen. Hierzu gehören u. a. das Modell von Workman, der Bühlmann-Algorithmus und die Differenzialgleichung von Schreiner (s. dort). Zweiphasenmodelle berücksichtigen neben dem gelösten Inertgas auch die Gasphase. Im Vordergrund steht die mathematische Beschreibung der Blasenentstehung und des Blasenwachstums. Die Dekompressionsvorschriften während des Aufstiegs werden dabei so berechnet, dass das Blasenwachstum auf einen definierten kritischen Wert (Radius) beschränkt wird. Statistische Modelle analysieren real durchgeführte Tauchgangsprofile und werten diese im Hinblick auf das DCS-Risiko aus, wobei auf Datenbanken zurückgegriffen wird, die zusätzlich zu den Tauchgangsprofilen Beschreibungen zu Dekompressionserkrankungen enthalten. Eine fundierte Datenbasis mit statistischer Signifikanz ist Grundlage dieses Modellansatzes. Im Folgenden soll näher auf die unterschiedlichen Modelle eingegangen werden.

      4.2.2 Einphasenmodelle

      Einphasenmodelle berücksichtigen nur Gas in der gelösten Phase. Der Vorteil dabei ist, dass mit einfacher Mathematik Dekompressionspläne berechnet werden können. Nachteilig bei dieser Art der Modellbildung ist, dass in der Regel überdurchschnittlich lange und flache Stopps berechnet werden. Außerdem weisen die berechneten Dekompressionspläne einen relativ flachen ersten Dekompressionsstopp auf, so dass ein großer Druckgradient zwischen maximaler Tiefe und erstem Dekompressionsstopp entsteht und es somit zu vermehrtem Blasenwachstum und damit suboptimaler Dekompression kommen kann.

      Haldane

      Das Modell von Haldane basiert auf der Klassifizierung von fünf unterschiedlichen Gewebsgruppen (Kompartimente), die sich in ihrer Durchblutungsrate und damit in ihren Auf- und Entsättigungsgeschwindigkeiten unterscheiden. Kompartimente sind dabei Gruppen von Geweben, die sich aus dekompressionstechnischer Sicht durch quasi-identische Eigenschaften auszeichnen. In den Modellen von Haldane und Neo-Haldane sind die Kompartimente als voneinander unabhängig zu betrachten, d. h., sie können als parallele Gewebsgruppen angesehen werden, die mit dem Partialdruck des Einatemgases beaufschlagt und so als voneinander unabhängige Inertgasspeicher behandelt werden können (Abb 4.4).

      Zur Beschreibung eines solchen Kompartiments führte Haldane den Begriff der Halbwertszeit ein, in Anlehnung an die Exponentialgesetze der Physik. Die Halbwertszeit ist dabei die Zeit, die benötigt wird, um die Hälfte des Partialdruckunterschieds auszugleichen. Nach einer Halbwertszeit sind danach 50 %, nach zwei Halbwertszeiten 75 % und nach drei Halbwertszeiten 87,5 % des Unterschieds überwunden. Man geht davon aus, dass nach sechs Halbwertszeiten die Kompartimente als gesättigt (98,5 %) anzunehmen sind. Haldane verwendete Halbwertszeiten von

      5, 10, 20, 40 und 75 min für die fünf unterschiedlichen Kompartimente.

      Weiterhin ermittelte Haldane experimentell die kritische Übersättigung eines jeden Kompartiments und zeigte, dass eine kritische Übersättigung von 2:1 für jedes von ihm untersuchte Kompartiment angenommen werden kann. Generell gilt bei dieser Art der Modellierung Folgendes: Ist der Umgebungsdruck niedriger als die jeweilige Gasspannung in einem Kompartiment, kommt es zur Entsättigung dieses Kompartiments. Während des Aufstiegs darf die kritische Übersättigung nicht überschritten werden. Das Haldane-Modell postuliert in diesem Fall, dass die Entsättigungsvorgänge symptomfrei, also ohne das Entstehen von Gasblasen ablaufen.

      Neo-Haldane

      Durch die Verwendung der Haldan’schen Dekompressionsvorschriften konnte die Zahl der Zwischenfälle bei Arbeiten unter Überdruckexposition deutlich reduziert werden. Dennoch gab es einige Zwischenfälle, die die Grenzen des Haldane-Modells aufzeigten. Ein wichtiger Fehler in diesem Modell war z. B., dass die Partialdruckberechnungen für die Dekompression auf dem Gesamtdruck des eingeatmeten Gases beruhen, also nicht zwischen Inertgasen und Gasen, die im Körper metabolisiert werden, unterschieden wird. Für die Sättigungsberechnung muss jedoch nur das Inertgas betrachtet werden. Weiterhin ging Haldane von einer tolerierten Übersättigung von 2:1 für jedes Kompartiment aus, d. h., jedes Kompartiment toleriert eine Druckhalbierung während des Aufstiegs symptomfrei. Wie schon erwähnt, ging er dabei fälschlicherweise vom Gesamtdruck des Gasgemisches und nicht vom Partialdruck der Inertgase aus.

      Abb. 4.4: Neo-Haldane-Modelle zeichnen sich durch parallele Kompartimente aus, deren Auf- und Entsättigungsrate sich nach der Perfusion (Durchblutung) richtet. Exemplarisch sind hier 8 Kompartimente mit unterschiedlicher Durchblutungsrate dargestellt. Eine variierende Gesamtdurchblutungsrate verändert dabei die einzelnen Auf- und Entsättigungsgeschwindigkeiten und damit die Halbwertszeiten der Kompartimente. Die Durchblutungsraten von Kompartimenten, die für Muskelgewebe oder innere Organe stehen, können ihre Durchblutungsrate stark verändern. Bei adaptiven Dekompressionsmodellen versucht man, dies durch variable Halbwertszeiten zu simulieren

      Workman

      Als wichtigste Neuerung definierte Workman für jedes Kompartiment einen tolerierten Inertgasüberdruck. Dabei verwendet er eine lineare Beziehung zwischen Umgebungsdruck und toleriertem Inertgasüberdruck in den parallelen Kompartimenten. Die Einführung dieser Linearität ist die Grundlage fast aller heute gängigen Dekompressionsmodelle. Dekompressionsstopps während des Aufstiegs werden genau dann notwendig, wenn das Führungs- oder Leitkompartiment eine relative Sättigung von 100 % aufweist. Als Führungs- oder Leitkompartiment wird jenes Kompartiment bezeichnet, das zum betrachteten Zeitpunkt die höchste relative Sättigung aufweist.

      Die tatsächliche Sättigung des Leitgewebes nimmt also den Wert der tolerierten Gasüberspannung (Übersättigungstoleranz) an. Während des Dekompressionsstopps nimmt die tatsächliche Sättigung als Funktion der Zeit ab, während die tolerierte Gasüberspannung, die allein vom Umgebungsdruck abhängt, konstant bleibt. Dies hat zur Folge, dass das Verhältnis aus der tatsächlichen Sättigung und der Übersättigungstoleranz (also die relative Sättigung) kleiner wird. Wird dort für das Führungskompartiment ein Wert erreicht, der ein Auftauchen zum nächst flacheren Stopp erlaubt, kann der Aufstieg zur höheren Dekostufe/Oberfläche begonnen werden.

      Der Aufstieg wird also durch linear vom Umgebungsdruck abhängige Übersättigungstoleranzen paralleler Kompartimente gesteuert, wobei das Leitkompartiment den Aufstieg bestimmt. Es ist dabei zu beachten, dass die Rolle des Leitkompartiments während eines Tauchgangs oder während des Aufstiegs auf ein anderes Kompartiment übertragen werden kann.

      Bühlmann

      Das Modell von Bühlmann gilt bis heute als das Arbeitspferd unter den Dekompressionsmodellen (Abb 4.5). Modelltheoretisch basiert es auf den Annahmen von Workman, unterscheidet sich jedoch durch die Verwendung des absoluten Drucks. Damit ist dieses Modell auch ohne Erweiterungen z. B. für Dekompressionsberechnungen in Bergseen geeignet. Das Verhältnis zwischen Umgebungsdruck und symptomlos toleriertem Inertgasüberdruck wird dabei für jedes Kompartiment als konstant und vom Umgebungsdruck abhängig angenommen und geht als eigene Konstante in die Berechnung jedes Kompartiments ein.

      Weiterhin berücksichtigt Bühlmann in seinem Modell sechzehn parallele Kompartimente, die gegen jeweils definierte Grenzwerte rechnen und von Halbwertzeiten zwischen 4 und 635 min ausgehen. Bei den experimentellen Ermittlungen der Übersättigungstoleranzen zeigte sich, dass Kompartimente mit einer kurzen Halbwertszeit symptomfrei die größte Gasüberspannung vertragen. Kompartimente mit langen Halbwertszeiten und damit schlechter Durchblutung vertragen dagegen symptomfrei nur relativ geringe Mengen an gelöstem Inertgas bei abnehmendem Umgebungsdruck. Das Bühlmann-Modell ist weit verbreitet, da der Algorithmus komplett veröffentlicht ist und die experimentell zu bestimmenden Parameter dieses Modells statistisch gut abgesichert sind. Schwächen weist das Modell bei kurzen, tiefen Tauchgängen und bei Wiederholungstauchgängen auf. Hier zeigt sich das grundsätzliche Verhalten der Einphasenmodelle, relativ flache Dekompressionstopps zu generieren.

      Abb. 4.5: Parallele Kompartimente reagieren unterschiedlich schnell auf eine sprunghafte Veränderung des Inertgaspartialdrucks (PN2Gas). Jedes Kompartiment verträgt symptomfrei eine bestimmte tolerierte Gasüberspannung, die alleinig vom Umgebungsdruck abhängig ist (vgl. Rechteckprofile). Exemplarisch sind zwei Kompartimente mit unterschiedlichem