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500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen


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es! Die Taufe ist ein Zeichen gegen alle rassistischen, sexistischen und anderen Ausgrenzungen innerhalb der Gemeinschaft der Kirche.

      Zölibatäres Leben galt vor der Reformation als vor Gott angesehener, der gerade Weg zum Himmel sozusagen. Für viele Reformatoren war der Schritt zur Ehe ein Signal, dass auch Leben in einer Familie, mit Sexualität und Kindern von Gott gesegnetes Leben ist. Die öffentliche Heirat von bisher zölibatär lebenden Priestern und Mönchen und Nonnen war ein theologisches Signal. Die Theologin Ute Gause erklärt, sie sei eine Zeichenhandlung, die «etwas für die Reformation Elementares deutlich machen wollte: Die Weltzuwendung und demonstrative Sinnlichkeit des neuen Glaubens»11. Nun wird ja den Evangelischen im Land eher unterstellt, dass sie weniger sinnlich seien als die römischen Katholiken oder die Orthodoxie. Die Reformatoren aber wollten gerade deutlich machen: weltliches Leben ist nicht weniger wert als priesterliches oder klösterliches. Es geht darum, im Glauben zu leben im Alltag der Welt – da dürfen Protestanten auch sinnlich sein.

      Und das finde ich in unserem Bibeltext für heute Morgen bestätigt. Im Johannesevangelium heißt es: «Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch: und was vom Geist geboren ist, das ist Geist.» (Joh 3, 6) Das muss doch gerade kein Dualismus sein, auch wenn es in der Exegese oft so gesehen wird: sarx und pneuma! Natürlich sind wir als Menschen eingebunden in die Zusammenhänge unseres Lebens. Wir wären doch |45| verantwortungslos, würden wir alles abstreifen hier und jetzt um einer vermeintlich geistgewirkten Zukunft willen! Genau da mahnt Luther zu Verantwortung in der Welt mit seinem Begriff von Berufung als Beruf, den wir da ausüben, wo Gott uns hingestellt hat. Und doch wirkt die Frage nach der Geistgeburt wie ein Korrektiv: Gibt es nicht noch eine ganz andere Wirklichkeit Gottes? Eine, in der Gut, Ehr, Kind und Weib oder eben alles das, was wir besitzen, woran unser Herz hängt, völlig in den Hintergrund tritt? Oder wie Bultmann schreibt: Der Mensch kann wissen, «dass er eigentlich in das jenseitige Sein gehört und doch faktisch in das diesseitige geraten ist»12. Ich denke nicht, dass hier ein Entsagen der Welt angedeutet ist. Es wird vielmehr die Frage gestellt, in welchem Horizont ich mein Leben verstehe. Gehe ich auf in sarx, Fleisch, dem Weltlichen, oder weiß ich um die Realität Gottes, pneuma, das zwar viele, gerade heute in einem säkularisierten Zeitalter nicht wahrnehmen wollen, als «Opium des Volkes», Selbsttäuschung, ein Weglaufen vor den Realitäten ansehen. In welchem Licht begreife ich mein Leben? Darum geht es.

      Wir wissen doch: Mit der Bibelstelle von heute Morgen haben wir manche Probleme als Kirchen in ökumenischer Gemeinschaft. Kann die Kindertaufe wirkmächtig sein, wenn Menschen nicht auch mit ihrem Verstand, mit bewusstem Ja zur Taufe stehen? Muss es dann nicht eine zweite Taufe als Erwachsener geben oder nur eine Erwachsenentaufe?

      Schon zu reformatorischen Zeiten war das eine Auseinandersetzung. Die von den Gegnern sogenannten Anabaptisten oder Wiedertäufer wurden hart verfolgt von der «Mainline-Reformation». Ihnen lag an einer Gläubigen– bzw. Erwachsenentaufe, denn die Taufe setze ein persönliches Bekenntnis zu Jesus Christus voraus. Die Säuglingstaufe sei unbiblisch und damit ungültig, die Erwachsenentaufe also eine Ersttaufe.

      Wir haben manche Differenzen überwunden. Bei seiner Vollversammlung in Stuttgart hat der Lutherische Weltbund am 22. Juli 2010 ein Schuldbekenntnis gegenüber den Mennoniten als geistlichen Erben der zur Reformationszeit brutal verfolgten Täuferbewegung (s. o.) abgelegt. In der Erklärung heißt es: «Im Vertrauen auf Gott, der in Jesus Christus die Welt mit sich versöhnte, bitten wir deshalb Gott und unsere mennonitischen Schwestern und Brüder um Vergebung für das Leiden, das unsere Vorfahren im 16. Jahrhundert den Täufern zugefügt haben, für das Vergessen oder Ignorieren dieser Verfolgung in den folgenden |46| Jahrhunderten und für alle unzutreffenden, irreführenden und verletzenden Darstellungen der Täufer und Mennoniten, die lutherische AutorInnen bis heute in wissenschaftlicher oder nichtwissenschaftlicher Form verbreitet haben.»13

      Das war wichtig. Und heilsam. Im Jahr 2007 haben fast alle Kirchen in Deutschland ihre Taufe erstmals formell gegenseitig anerkannt und so ein gewichtiges Zeichen der Gemeinsamkeit gesetzt. Der römisch-katholische Bischof Feige sagte damals, die gegenseitige Anerkennung zeige, «dass mit der Taufe etwas gegeben ist, was getrennte Kirchen und Christen fundamental verbindet». Diese Rückbesinnung auf die Taufe schließt zwar leider noch nicht alle überall ein. Die Taufanerkennung kann aber ein gewichtiger ökumenischer Schritt sein. Ich erinnere mich gut daran, wie überlegt wurde, welches sichtbare Zeichen von Gemeinschaft denn beim Ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 gesetzt werden könnte. Es war am Ende im Schlussgottesdienst die Tauferinnerung. Protestanten und Katholiken und Christen anderer Konfession malten einander mit Taufwasser gegenseitig ein Kreuzzeichen auf die Stirn. Mich hat das berührt.

      Was aber ist die Geistgeburt? Unser Bibeltext heute Morgen ist eine deutliche Herausforderung. Alle Exegeten, bei denen ich nachgelesen habe, betonen, wie sorgfältig dieses Gespräch im Johannesevangelium aufgebaut ist. Johannes will Jesus schon hier, zu Beginn seines Wirkens als den erweisen, als der er erst nach der Auferstehung sich erschließt: der Menschensohn, der Messias, der Sohn Gottes. Johannes der Täufer hat nach diesem Evangelium gesehen, wie bei der Taufe der Geist Gottes als Taube zu Jesus kam. Im Reden und Wirken Jesu können Menschen Gott erkennen. Sie erfahren, wie Gott ist, wie ein liebender Vater, wie eine suchende Witwe, wie ein fürsorgender Weingartenbesitzer, wie Jesus, der alle an einen Tisch lädt.

      Aber wie verhalten sich Geist und Taufe? Wirkt die Taufe die Anwesenheit des Geistes? Noch einmal Klaus Wengst: «Gottes Geist ist souverän. Sein Wirken kann von Menschen nicht festgelegt werden – auch nicht durch die Taufe.»14 Das stimmt gewiss, die Taufe domestiziert das Wirken des Geistes nicht. Manches Mal haben wir ja eher Angst vor zu viel Geistwirken. Das war schon bei den Reformatoren so, Luther eilte von |47| der Wartburg nach Wittenberg zurück, als allzu viel freier Geist zu wirken begann. Und auch Zwingli und Calvin legten Wert auf klare Ordnung statt viel freiem Geist.

      Auch heute suchen wir die Balance zwischen notwendiger Ordnung und ebenso notwendiger Freiheit des Geistes. Eine Kirche als Institution kann da von viel Geist schon mal irritiert werden. Ich erinnere mich an den konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. In Westdeutschland wurde er von manchen als nervender Störfaktor gesehen. In Ostdeutschland führte er zu übervollen Kirchen, in denen politisch debattiert wurde – da fürchteten manche, es werde die Kirche beschädigen. Aber am Ende führte es zu einer friedlichen Revolution. Ich denke auch an die Schweiz; hier in Basel fand 1989 die Erste Europäische Ökumenische Versammlung statt und es war zu spüren: In den Kirchen Osteuropas gärt es, da will sich ein Geist der Freiheit Raum verschaffen. Das kennen auch unsere Partnerkirchen in den Ländern des Südens, etwa wenn angefragt wird, wie viel Patriarchat die Kirche verträgt, ob es zu viel Anpassung gibt an eine Diktatur, ob über Homosexualität überhaupt gesprochen werden darf.

      Wie aber unterscheiden wir die Geister? Ist es purer Libertinismus oder Geist Gottes? Wirkt hier Gottes Ruach oder der Geist des Chaos? Ich denke, es gibt zwei Kriterien. Zunächst: Jesus Christus. Es heißt im Text: So muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben (3, 15). Es geht um den Glauben an Jesus, der einsteht für Gottes Wort in der Welt und bei dem aus genau diesem Grund der Tod nicht das letzte Wort hatte. Der Geist mag fröhlich brausen, aber Menschen, die sich auf den Geist berufen, müssen sich daran messen lassen, ob es um sie selbst geht, um selbst ernannte Ziele oder um Jesus Christus, der für diesen Geist steht.

      Das zweite Kriterium ist der Aufbau der Gemeinde. Und hier finden wir auch den Zusammenhang zur Taufe. Ein letztes Mal Klaus Wengst: «Da die Taufe zugleich Aufnahmeritus in die Gemeinde ist, wird damit auch deutlich, dass der Geist nicht voneinander isolierte Individuen produziert, sondern dass die Geburt aus dem Geist in die Gemeinschaft der Gemeinde versetzt. Die Taufe mit Wasser ist daher gegenüber dem primären Wirken des Geistes als menschlicher Gehorsamsakt zu bestimmen, der diese Wirken als ein in die Gemeinde berufendes öffentlich und |48| verbindlich anerkennt.»15 Die Taufe nimmt uns hinein in eine Gemeinschaft. Und wo der Geist wirkt, will er diese Gemeinschaft aufbauen. Allzu oft beruft man sich auf die Freiheit des Geistes im Namen der Individualität. Nun ist Individualität für Protestanten nicht negativ besetzt. Aber wo sie zur Egomanie wird, die Gemeinschaft nicht mehr zählt, sondern nur die persönliche Grundüberzeugung, da wirken andere Geister. Ein Unterscheiden der Geister kennen wir doch auch bei anderen Institutionen.