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500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen


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sind die entscheidenden inhaltlichen Orientierungspunkte für die Feier und Gestaltung des Reformationsjubiläums. In einer Welt, die ihre eigenen religiösen Wurzeln leicht vergisst, wird es immer wichtiger, sich an theologisch bedeutsamen Symboldaten und Kerngedanken zu orientieren.

      Heute sind Menschen in einer ganz anderen Weise auf der Suche nach einem gnädigen Gott als zu Luthers Zeiten. Menschen, die von ihrer Geburt an darauf getrimmt sind, zu arbeitsmarkttauglichen Kompetenzträgern zu werden, brauchen den ganz anderen Klang, den das Heilshandeln Gottes in ihr Leben einspielt. Während die Spirale von Leistung zu Effizienz zu noch mehr Leistung und immer weiter gesteigerter Effizienz beständig weitergedreht wird, brauchen Menschen den Einspruch des Evangeliums: Nicht die Leistung und das Können, nicht die Anstrengung und der eigene Erfolg entscheiden über mich und meinen Wert.

      Menschen brauchen die Erinnerung an die fundamentale Einsicht der Reformatoren, dass uns der Christusglaube ein Leben ohne Angst, ohne den inneren Zwang zur Selbstrechtfertigung und Selbstüberhöhung schenkt. Dass uns der Glaube frei macht vor Gott und für Gott. Und dass diese Freiheit uns in den verantwortlichen Dienst ruft für andere Menschen und für unsere Welt. Dem Evangelium geht es um Kernthemen für alle Menschen. Es geht um die Fragen nach einer unverfügbaren Menschenwürde, nach dem Verständnis einer gemeinschaftsförderlichen Freiheit, nach einer nachhaltigen sozialen Verantwortung aller Menschen füreinander und für die Welt.

      Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, diese Kerneinsichten der Reformation für unsere Zeit so zu formulieren, dass sie innerhalb und außerhalb unserer Kirchen verstanden werden. Wir suchen und brauchen eine solche Auskunfts–, Sprach– und existenzielle Anschlussfähigkeit, die auch Fernstehenden und Ungeübten verständlich machen kann, warum das Reformationsjubiläum ein Erinnerungsfest an Gottes Heilshandeln in Jesus Christus ist und zugleich auch zentrale Bedeutung für das gegenwärtige und zukünftige Leben in der modernen Gesellschaft hat. |31|

      2. Das Reformationsjubiläum 2017 gehört in unsere ökumenische Kirchengemeinschaft

      Die Evangelische Kirche in Deutschland will 2017 feiern – fröhlich, selbstbewusst und selbstkritisch und offen für unsere ökumenischen Geschwister.

      In Deutschland haben wir eine zehnjährige Reformationsdekade vereinbart. In zehn thematischen Jahresschritten versuchen wir seit 2008 die «Länge und Breite und Höhe und Tiefe» (vgl. Eph 3, 18) der auf das Evangelium bezogenen Bedeutung der Reformation auszuloten – einschließlich der Schatten und Grenzen dieser Bewegung. So geht es im Jahr 2013 mit dem Thema «Reformation und Toleranz» darum, auch die Grausamkeiten und Zerstörungen zu bedenken, die Luther und die Reformation mit ihrer Intoleranz bewirkt haben. Dabei wollen wir zugleich das bei uns oftmals mit einem nationalen Pathos gezeichnete Bild vom «deutschen Helden Martin Luther» korrigieren. Die neuere Lutherforschung zeigt deutlich: Luther war eine ambivalente Persönlichkeit, mit bewundernswerten Eigenschaften und mit nachhaltigen theologischen Inspirationen. Aber er war auch ein heftiger Polemiker und beschämender Antijudaist.

      Im Blick auf diese «Schattenseite» der Reformation wird eine konfessionsverbindende Kommission zwischen der EKD und der römisch-katholischen Kirche in Deutschland unter dem Leitgedanken «healing of memories» den Versuch unternehmen, die uns noch heute belastenden Bilder und Typisierungen der Reformation zu klären. Wir wollen vor Gott und voreinander die Wunden zur Sprache bringen, die unsere Erinnerung bis heute prägen. Wenn dies gelänge, wäre die gemeinsame Feier eines Versöhnungsgottesdienstes im Jahr 2017 ein deutlicher Fingerzeig auf die befreiende und heilende Kraft des Evangeliums und ökumenisch ein großes Zeichen.

      Wir haben unsere römisch-katholischen, orthodoxen und freikirchlichen Geschwister zur Mitwirkung am Reformationsjubiläum eingeladen, auch wenn die einen bei der Reformation eher an die Spaltungen und Trennungen der Westkirche denken, die anderen einen inneren Bezug zu den reformatorischen Themen noch nicht explizit entwickelt haben und die Freikirchen eine auch schmerzliche Geschichte mit den Landeskirchen erinnern. Die EKD hat mit der Deutschen Bischofskonferenz einige Verabredungen getroffen, um unsere Gemeinschaft zu stärken: So werden nicht nur die 95 Thesen ökumenisch kommentiert, |32| sondern auch eine evangelisch-katholische Schrift erarbeitet mit dem Arbeitstitel «Was jeder vom Christentum wissen sollte.»

      Die ökumenische Dimension und die internationale Ausrichtung des Reformationsjubiläums 2017 ist der EKD ein zentrales Anliegen. Darin unterscheiden wir uns von den Jubiläen, die seit 1617 alle einhundert Jahre gefeiert worden sind.

      Es ist, historisch gesehen, nicht nur zweifelhaft, ob es 1517 den berühmten Thesenanschlag an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg überhaupt gegeben hat. Es kann auch bezweifelt werden, ob die 95 Thesen schon als eine neue reformatorische Theologie anzusehen sind oder ob sie nicht doch gute katholische Theologie im damaligen Sinne waren. Unbestreitbar aber ist, dass der Aufbruch Martin Luthers und seiner Generation von Reformatoren alle unsere Kirchen beeinflusst hat – wenn auch zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Weisen. Die Niederländer erzählen deshalb eine andere Reformationsgeschichte als die Schwestern und Brüder in Afrika. Die Evangelische Kirche in Italien lebt mit anderen Reformationsgeschichten als die großen Kirchen in Skandinavien.

      Aber genau deswegen sind wir hier in Zürich zusammengekommen: Wir wollen voneinander Geschichten der Reformation hören, wollen wahrnehmen, welche Wurzeln unsere reformatorischen Kirchen haben, welche Gegenwart sie gestalten, welche Hoffnungen sie leiten. Wir wollen voneinander erfahren, welche theologischen Einsichten uns besonders wichtig sind und welche Unterschiede unseren gemeinsamen Reichtum ausmachen. Wir wollen in unserer Vielfältigkeit und mit unserer Vielstimmigkeit nach gemeinsamen Formulierungen für den Kern des Reformationsereignisses suchen, das vor 500 Jahren von Zürich, Wittenberg und vielen anderen Orten ausging. Damit Christusgeschichten als Befreiungsgeschichten auch für heutige Menschen und für unsere heutige Welt Bedeutung gewinnen.

      Lassen Sie uns darüber hier in Zürich sprechen und arbeiten!

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      Bibelarbeiten

      

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      Karen Georgia Thompson, UCC, Cleveland/Ohio

      Römerbrief 3, 21–31

      Der Bibeltext, den wir heute Morgen gehört haben, ist uns allen gut bekannt. Er gehört zu den Perikopen, die für die Reformation von zentraler Bedeutung wurden. Martin Luther berief sich besonders auf diesen Text als Argumentationsbasis. Luther hatte es zu seiner Zeit mit einer korrupten Kirche zu tun, mit einem Volk, das man lehrte, seinen Weg zur Ewigkeit käuflich zu erwerben, und einem Klerus, dem die Pflicht oblag, den Willen einer festen klerikalen Hierarchie auszuführen, mit offensichtlicher Unterstützung des Kaisers. Kirche und Staat traten vereint für den Ablasshandel ein, der als Mittel galt, der retributiven (vergeltenden) Gerechtigkeit Gottes zu entgehen. Die Entrichtung von Geldgaben an die Kirche in Form des Ablasserwerbs verwandelte Sündenstrafen, die der Sünder als Buß- und Reueakt auf sich zu nehmen hatte, in Finanztransaktionen.

      Seine ausführliche Beschäftigung mit dem Römerbrief führte Luther zu einer gewagten Herausforderung der Kirche, und das zu einer Zeit, in der es für alternative christlich-religiöse Überzeugungen und Ansichten, die im Widerspruch zur damals herrschenden christlichen Lehre standen, kaum Chancen gab, sich Gehör zu verschaffen. Luther kam aufgrund seines Verständnisses des Römerbriefes zu der Erkenntnis, dass der Mensch durch Gottes Gnade als freie Gabe Gottes vermittels des Glaubens gerechtfertigt werde. Rechtfertigung ließe sich also nicht käuflich erwerben. Indem er die Heilige Schrift zur einzigen Quelle verbindlicher Autorität für die Kirche erhob, stellte Martin Luther die Autorität des Papstes und der römisch-katholischen Kirche in Frage.

      Doch Luther war, wie wir wissen, kein Lutheraner, sondern ein römisch-katholischer Priester, der die Ausbeutung der Armen kritisierte und die Missbräuche des Papsttums anprangerte. Das führte ihn dazu, eben die Institution, in deren Dienst er stand, einer strengen Kritik zu unterziehen. Luther