Группа авторов

500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen


Скачать книгу

      Die bleibende Wirkung der Reformation

      Als Teil einer Gedächtniskultur bringt das Reformationsjubiläum aber auch die Aufgabe mit sich, sich an die Vergangenheit zu erinnern. Die Reformation hat die Welt geprägt. Sie hat eine vielfältige Wirkung auf die frühneuzeitliche Gesellschaft ausgeübt. Einzelnen Spuren, etwa im Bereich des Verhältnisses von Kirche und Staat, soll in diesen Tagen exemplarisch nachgegangen werden. Wie stehen Kultur, Wirtschaft und Politik heute zur Reformation? Um solche Fragen soll es in diesem Zürcher Kongress auch gehen. Im Mittelpunkt der Debatten soll jedoch, wie gesagt, Reformation als gegenwärtige Aufgabe stehen. Evangelische Glaubensinhalte und Weltverantwortung wirken in unseren Gesellschaften bis heute. Welches Potenzial hat die Botschaft der Reformation für Kirche und Gesellschaft morgen?

      Das Reformationsjubiläum als ökumenische Aufgabe

      Reformationserinnerung soll also nicht der Selbstdarstellung von Kirchen, Konfessionen und Kulturräumen dienen, sondern zur produktiven und gemeinsamen Gestaltung des heutigen Kircheseins anstiften. Voraussetzung dafür ist, dass die damals gestellten theologischen Fragen neu bedacht werden. Voraussetzung dafür ist auch, dass wir uns immer wieder kritischen Anfragen stellen. Ich freue mich sehr, dass wir gleich schon mit dem Referat von Rowan Williams, dem ehemaligen Erzbischof von Canterbury, mit einer etwas anderen Sicht auf die Reformation konfrontiert werden (ein Blick von außen ist es angesichts der Tatsache, dass die Kirche von England in ihren Anfängen eng mit Zürcher Reformatoren verbunden war, nicht). |27|

      Wenn Reformationserinnerung also der Gestaltung des Kircheseins heute dienen soll, schließt dies, wie zu Beginn gesagt, eine ökumenische Dimension ein. An diesem Kongress wollen wir bewusst auch das Gespräch mit ökumenischen Partnern suchen. Im Hinblick auf das Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche bedeutete es einen großen Schritt, wenn es uns gelänge, eine gemeinsame Sicht auf die Geschichte der Reformationszeit zu gewinnen, wie sie gerade jüngst das Dokument des vatikanischen Einheitsrats und des Lutherischen Weltbundes «Vom Konflikt zur Gemeinschaft» angeregt hat. Nicht nur die evangelischen Kirchen, sondern auch die römisch-katholische Kirche ist bekanntlich von der Reformation geprägt. Heute bietet sich die zukunftsträchtige Chance einer gemeinsamen ökumenischen Auseinandersetzung. Dies könnte die große Besonderheit des Reformationsjubiläums im beginnenden 21. Jahrhundert sein. Im Hinblick auf das Verhältnis zu denjenigen Freikirchen, die sich auf die radikale und damals verfolgte Reformationsbewegung berufen, bedeutet die ökumenische Dimension des Reformationsjubiläums für uns eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit.

      Der Kongress: Einladung zur Zusammenarbeit

      Neben der Reflexion soll dieser Kongress aber auch ganz praktisch eine Plattform für den Austausch von Ideen bieten. Aus verschiedenen Kirchen werden Vorhaben und Perspektiven im Blick auf das Reformationsjubiläum präsentiert werden. Schön wäre es, wenn Kooperationsmöglichkeiten angedacht und gemeinsame Projekte auf lokaler, regionaler, nationaler oder internationaler Ebene angestoßen würden. Zunächst aber soll dieser Kongress bei Ihnen allen die Motivation für die aktive Teilnahme am Reformationsjubiläum fördern und das Interesse wecken für die Reformation und ihre Bedeutung für die Gegenwart. Dabei soll die Reformation als vielgestaltig und der Protestantismus als weltweite und plurale Bewegung sichtbar werden.

      Für diesen Kongress und das Reformationsjubiläum insgesamt scheint mir wichtig, was Zwingli am Ende seines «Kommentars über die wahre und falsche Religion» von 1525, der ersten Darstellung der evangelischen Lehre überhaupt, schreibt: «Alles, was ich hier gesagt habe, habe ich zur Ehre Gottes, zum Nutzen der christlichen Gesellschaft und zum Besten der Gewissen gesagt. Gott sei gedankt.»

       |28|

      Nikolaus Schneider, EKD, Hannover

      «Was ist das Reformationsjubiläum? Wem gehört es? Warum sind wir alle hier zusammen in Zürich?»

      Sehr geehrte Damen und Herren

      Das Reformationsjubiläum 2017 ist ein Ereignis von Weltrang!

      In Deutschland ging der erste Anstoß zum Thema «Reformationsjubiläum» schon 2003 aus den Reihen der katholischen Kirche hervor, nämlich von Kardinal Kasper auf der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Winnipeg. Kardinal Kasper verwies damals auf dieses Datum 2017 und stellte die Frage nach den ökumenischen Dimensionen des Ereignisses. Bald danach nahm der damalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Prof. Dr. Wolfgang Böhmer, den Ball auf und lud Staat und Kirche ein, das Reformationsjubiläum 2017 gemeinsam in den Blick zu nehmen.

      Wir sind dankbar, dass gegenwärtig nicht nur die Bundesregierung, sondern auch viele Bundesländer und betroffene Kommunen bei der Vorbereitung des Jubiläums mitwirken. Und es gehört zweifellos zu den eher seltenen Ereignissen im Deutschen Bundestag, dass alle Parteien – also auch die Linken – gemeinsam im Oktober 2011 den Beschluss gefasst haben, dass das Reformationsjubiläum 2017 als «ein Ereignis von Weltrang» von der Bundesregierung zu fördern und zu unterstützen sei.

      Wir werden also in Deutschland ein großes Jahr mit Kirchentagen und einer Weltausstellung der Reformation in Wittenberg feiern. Es werden nationale Ausstellungen, erstklassig restaurierte und museumspädagogisch herausragende touristische Attraktionen etwa in Wittenberg, Eisenach, Eisleben und Torgau Menschen in das «Kernland der Reformation» locken. Große Fachkongresse ziehen ein Fachpublikum nach Wittenberg, Halle und Berlin.

      Der Wissenschaftliche Beirat, der die staatlichen und die kirchlichen Partner inhaltlich berät, hat im Jahre 2009 «Perspektiven für das Reformationsjubiläum 2017» vorgelegt. Da heißt es unter anderem:

      Es gilt «auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 die Relevanz, die die Reformation weit über Theologie und Kirche hinaus für die unterschiedlichen Bereiche unserer gegenwärtigen Kultur besitzt, herauszustellen |29| und nach deren Deutungspotenzial in einer von Individualisierung, Pluralisierung und Globalisierung bestimmten Zeit zu fragen. Solche Gegenwartsdeutung … stellt angesichts der Signatur des Protestantischen in der modernen westlich geprägten Kultur einen Beitrag zur Bewahrung wie zur Fortentwicklung der Identität dieser Kultur dar.»4

      Nun kann man natürlich fragen, ob eine von kirchlichen und staatlichen Stellen getragene Vorbereitung des Reformationsjubiläums gut und richtig ist. Schimmert hier nicht vielleicht eine veränderte Wiederauflage der alten Verbindung von Thron und Altar, von Staat und Kirche, ja, von Preußen und Protestanten durch, die niemand ernsthaft wünscht? Doch eine kulturelle «Signatur des Protestantischen», die unsere Gesellschaft, die auch unseren Lebensraum Europa prägt, bleibt eben nur «Signatur». Für eine inhaltliche, theologisch fundierte Ausgestaltung des Reformationsjubiläums ist das nur ein Baustein. Wir sind davon überzeugt, durch unsere genuin theologischen Beiträge der Gefahr einer Neuauflage der überholten Allianz von Thron und Altar widerstehen zu können.

      Ich will das an zwei inhaltlichen Akzentsetzungen verdeutlichen:

      1. Das Reformationsjubiläum feiert das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus!

      Der 31. Oktober 1517 ist ein Symboldatum für die Wiederentdeckung der befreienden Kraft des Evangeliums. Die immer wieder neu faszinierende Erzählung vom Anschlag der 95 Thesen Martin Luthers zur Buße an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg hat sich in das kulturelle Gedächtnis unseres Landes eingeprägt. Wir feiern mit diesem Datum nicht den Geburtstag unserer evangelischen Kirche – den sehen wir im Übrigen im Heilshandeln Jesu Christi und dem gemeindegründenden Reden und Handeln der Apostel gut aufgehoben. Wir feiern, dass das Evangelium mit diesem Ereignis einen neuen Weg zu den Menschen gefunden hat. Und wir feiern die befreienden theologischen Kerngedanken, die in den vier soli der Reformation zum Ausdruck kommen:

      die grundlegende Christuszentrierung, das solus Christus;

      die neu entdeckte Bibelfrömmigkeit, das sola scriptura; |30|

      die staunenswerte Gnadentheologie, die sola gratia;