Veränderungen in der Automobil- und ihr nahen Branchen, die neuen Herausforderungen durch die Digitalisierung und dann auch noch die Corona-Pandemie: Über Langeweile können sich viele Führungskräfte in diesen Zeiten wahrlich nicht beschweren – Krise, Umbruch, Ungewissheit und Tempo fordern viele Vorgesetzte ganz besonders. Je stürmischer die Zeiten, desto größer schließlich die Verantwortung für Führende – denn dass wir alle uns in Momenten von Veränderung besonders an Eltern, Lehrern, Politikern und anderen Autoritäten orientieren, ist ein normaler Mechanismus.
Der Engagement Index des Umfrageinstitutes Gallup ist eine der renommiertesten und umfangreichsten Untersuchungen zur Qualität von Arbeitsplätzen und von Führung. In immer neuen Auflagen seiner Studien belegt Gallup, wie viel Demotivation und Frust auch in deutschen Unternehmen vorherrscht. Gallup beziffert den Schaden, der für die Wirtschaft aus den enttäuschten Erwartungen der Mitarbeiter an ihre Führungskräfte entsteht und die daraus folgenden Mängel an Einsatzfreude und Produktivität, auf jährlich bis zu 105 Milliarden Euro.
Die gute Nachricht ist: Positives Führen kann helfen, diese Herausforderungen gut zu meistern. Und die Positive Führung lässt sich lernen, auf unterschiedlichen Ebenen:
in der Selbstführung, in Ihrem Umgang mit sich selbst,
in der Lenkung und Steuerung Ihrer eigenen Vorgesetzten und Kollegen,
in der Verantwortung für Ihre Mitarbeiter und
wenn Sie so weit oben in der Hierarchie stehen, beim Leiten von Führungskräften über verschiedene Ebenen hinweg.
Vielleicht stellen Sie aber auch nach Lektüre dieses Buches fest: »Soll lieber wer anders mein Team führen, mir ist das alles zu anstrengend und zu viel, wenn ich so recht darüber nachdenke!« Auch das kann ein sinnvolles Ergebnis der Auseinandersetzung mit sich selbst als Führungskraft sein. Und immer mehr Unternehmen ermöglichen auch eine Fachkarriere, die Experten nicht mehr in Führungsrollen zwingt.
Kapitel 2
Potenziale potenzieren: Was Positives Führen ist und bringt
IN DIESEM KAPITEL
Positives Führen – eine Begriffs(er)klärung
Positive Psychologie und andere Wurzeln
Effekte Positiver Führung
Damit wir uns nicht missverstehen…
In diesem Kapitel erfahren Sie, was genau mit Positivem Führen gemeint ist. Sie erfahren, woher es kommt, welche Wurzeln das Positive Führen in der Positiven Psychologie hat – und welche anderen Quellen darüber hinaus noch wichtig sind. Außerdem gilt es zu klären, welche Effekte es haben kann, wenn Sie nach den Prinzipien und mit den Methoden von Positiver Führung arbeiten. Und da sie als Führungsansatz noch relativ jung ist, sollten Sie Bescheid wissen über die häufigsten Missverständnisse oder gar Mythen, mit denen Sie als positiv Führender zu tun haben dürften – und wie Sie diesen begegnen können.
Was Positives Führen bedeutet
Kurz gesagt geht es beim Positiven Führen darum, als Führender zu mehr Potenzialentfaltung beizutragen, mehr Erfolg mit mehr Freude in der und an der Arbeit zu verbinden.
Positives Führen – oder auf Englisch: Positive Leadership – ist ein Ansatz der Führung, der Handreichungen bietet zur Selbstführung, zur Führung von Mitarbeitern und Teams sowie zur Leitung von Firmen, Einrichtungen und Organisationen. Die Ziele des Positiven Führens sind, durch den Fokus auf Stärken, Miteinander und Sinnerleben Erfolge zu mehren, die individuelle und gemeinschaftliche Leistungsfähigkeit zu steigern, Potenziale zu entfalten – und jene Faktoren, die das Wohlbefinden bei der Arbeit beeinträchtigen, möglichst zu mindern.Um einzelne Aspekte dieser Definition noch einmal genauer zu betrachten:
Als Führungsansatz hat das Positive Führen Tools und Techniken zu bieten, die jene Führungsmethoden, die Sie vielleicht eh schon verwenden, erweitern können. Das Fundament ist allerdings eine Grundhaltung der Wertschätzung, ein Blick für das, was funktioniert – statt dem häufig üblichen und leider wenig effektiven Fokus auf Fehler, Defizite, Mängel.
Die Effekte des Positiven Führens lassen sich nachweisen und messen, und zwar nach Methoden, die wissenschaftlichen Standards und Gütekriterien (Objektivität, Validität, Reliabilität) entsprechen. Ein Beispiel dafür ist der an der Universität Wien entwickelte PERMA-Lead-Profiler: Er misst Führungsverhalten nach dem Modell von Martin Seligman, das auf positive Emotionen, Stärkenförderung, besseres Miteinander, Sinnvermittlung sowie Ziel- und Erfolgsvermittlung setzt, um Potenziale von Einzelnen und Teams zu fördern (siehe auch Kapitel 4, 8 und 10). Das unterscheidet Positives Führen von vielen anderen Führungsmethoden.
Trotz ihrer mess- und nachweisbaren Wirksamkeit bietet Positive Führung ganz alltagstaugliche, anwendbare Handreichungen für Ihren Alltag als Führungskraft. Dabei kann es sich etwa um einen konstruktiveren Umgang mit Stärken Ihrer Mitarbeiter handeln, um einen wirksameren Umgang mit den eigenen Energieressourcen oder die effektivere Leitung von Meetings. Welche dieser Methoden wie zu Ihnen passen, zu Ihrem Arbeitsumfeld, zur Situation Ihrer Mitarbeiter, Teams, Organisation – das können im Zweifelsfalle am besten Sie entscheiden.
Andere wertschätzend, inspirierend und stärkenorientiert führen kann nur, wer sich mit konstruktiver Selbstführung auskennt, vor allem auch in Zeiten von Umbruch, Ungewissheit und Krisen.
Mitarbeiter, Teams und Organisationen zu führen heißt, zielgerichtet Einfluss zu nehmen auf das Handeln und Erleben von Menschen und Menschengruppen. Führung kann über Hierarchie und disziplinarische Verantwortung erfolgen, quasi nach Kommando und Kontrolle. Aber in immer mehr Organisationen, bestärkt durch agile Prozesse und durch das wachsende Projektgeschäft, wird anders geführt: »Agile Führung«, Führen als Moderation von selbstorganisierten Teams; »Laterales Führen« oder »Fachliches Führen«, das ohne Weisungsbefugnis auskommen muss; »Führen in der Matrix«, Führung in Zuständigkeitsüberkreuzungen heißen einige der Schlagworte.
Wenn Sie jetzt schon das Gefühl haben: »Kenne ich alles, mache ich sowieso schon«, dann, erstens: Glückwunsch, Sie scheinen schon vieles zu wissen und sowieso richtig zu machen, was ein positiv Führender in seinem Handwerkskoffer braucht! Zweitens: Positives Führen will auch das Rad gar nicht neu erfinden, sondern es quasi ölen helfen – und an bewährten Führungspraktiken festhalten. Zu einem stärkenorientierten Umgang mit Führung gehört es auch, für sich zu wissen, was man davon schon macht und umsetzt.
Toshi Harada, beim weltgrößten Autorad-Produzenten Maxion für den Asien-Vertrieb verantwortlich, beschrieb Positives Führen einst so: »Negative Führer erzeugen Verschwendung und Ineffizienz, wohingegen Positive Leadership zu nachhaltiger Verbesserung führt.«
Die Methode des Positiven Führens ist jung, sie entstand erst Ende der 1990er-, Anfang der 2000er-Jahre.
Die Wurzeln des Positiven Führens
Die Positive Psychologie ist eine der wichtigsten Grundlagen der Positiven Führung, wenn auch nicht die einzige. Als Gründervater der Positiven Psychologie gilt der US-amerikanische Psychologe Martin Seligman. In seiner Antrittsrede für das Amt des Präsidenten der American Psychological Association im Jahre 1998 kritisierte Seligman,