sehr auf die Behandlung geistig-seelischer Krankheiten fokussiert habe. Er forderte eine Wissenschaft, die dem Einzelnen helfen solle, seine eigenen positiven Eigenschaften wie etwa Optimismus, Mut, zwischenmenschliche Kompetenzen oder Genussfähigkeit, besser zu verstehen und zu nutzen.
Die Grundpfeiler der Positiven Psychologie sind demnach:
Erforschung der Bedingungen gelingender Lebensführung mit Fokus auf konkrete Anwendbarkeit
Fokus auf menschliche Stärken und Schwächen, um ein Aufblühen und gelingendes Leben zu ermöglichen
Krankheiten und Störungen vorbeugen, lindern und heilen zu können
Ziel der Psychologen in den ersten rund 100 Jahren ihrer Geschichte war vor allem, kranke und leidende Menschen in ihrer Lebensqualität von minus fünf auf vielleicht minus drei zu bekommen. Für Seligman muss die Positive Psychologie hingegen verstärkt die Erfahrungen, Einstellungen und Praktiken in den Blick nehmen, die von plus drei auf plus fünf führen können. Denn die Abwesenheit oder Linderung von Leid, Schmerz und Kummer bedeutet noch nicht automatisch die Mehrung von Freude, Aufblühen und Sinnerleben.
Der US-amerikanische Psychologe David G. Myers hat in einer psychologischen Fachzeitschrift seit 1887 insgesamt 8072 Beiträge über Ärger, 57800 Beiträge über Depression und 70865 über Angst gezählt – während in demselben Zeitraum nur 851 Beiträge über Freude, 2958 über Glück und 5701 über Lebenszufriedenheit zu finden waren. Die Erforschung und Benennung der negativen Emotionen allein in dieser Zeitschrift überwogen um den Faktor 14 gegenüber den positiven.
Die Positive Psychologie zählt inzwischen zu den florierenden wissenschaftlichen Disziplinen. Auch im deutschsprachigen Raum werden immer mehr Bücher publiziert, Studiengänge eröffnet, Untersuchungen veröffentlicht, die sich unter anderem folgenden Themen widmen:
Gelingende Beziehungen
Energiemanagement
Flow
Freundschaft
Förderung von Werten, Talenten, Stärken
Positives Führen
Glück
Kreativität
Lebenssinn
Mut
Optimismus
Positive Einstellungen und Emotionen
Resilienz
Stärken
Zielerreichung
Zivilcourage
Neben den »angenehmen und schönen« Themen des Lebens nimmt die Positive Psychologie immer mehr auch – oft als Positive Psychologie 2.0 bezeichnet – Fragen von Leid, Krise und Trauma in den Blick. Die Positive Psychologie gewinnt ihre Erkenntnisse aus unterschiedlichen Quellen:
Messung körperlicher Marker wie Blutströme im Gehirn oder Hormonausschüttung
Eigen- und Fremdbefragungen
Verhaltensmessungen (zum Beispiel: Wie lange dauert ein Händedruck oder ein Lächeln?)
Interviews
archivarische Daten (wenn etwa erfasst wird, wie häufig bestimmte Personengruppen positiv oder negativ besetzte Begriffe in Büchern oder Tagebüchern verwenden) und die Codierung und Erfassung von Nachrichten in sozialen Netzwerken
Positives Führen greift einerseits auf die Haltung, auf die Erkenntnisquellen und die Forschungsmethoden der Positiven Psychologie zurück. Und hat andererseits noch ganz andere Wurzeln.
Als eine der bekanntesten Studien aus der Positiven Psychologie gilt die sogenannte Nonnenstudie: 678 katholische Schwestern des US-amerikanischen Notre-Dame-Ordens ließen sich Anfang der 1990er-Jahre darauf ein, ihre Tagebücher einzureichen, an jährlichen kognitiven Tests teilzunehmen und ihre Gehirne zur Untersuchung nach dem Tod freizugeben. Die Studie ergab einen deutlichen Zusammenhang zwischen positiven Gefühlen im frühen Erwachsenenleben und längerer Lebenserwartung sechs Jahrzehnte später. Die Studie ist unter anderem deshalb so interessant, weil die Nonnen – im Unterschied zu vielen anderen Studienobjekten in anderen Untersuchungen – so starke Ähnlichkeiten im Lebensstil und in der Umgebung aufweisen (vergleichbares Familienleben, kein Nikotinkonsum, mäßiger Alkoholkonsum, vergleichbarer beruflicher und sozioökonomischer Status, ähnliche medizinische Versorgung).
Einige weitere Disziplinen, auf denen die Prinzipien der Positiven Führung beruhen:
Anthropologie, zum Beispiel zur Dynamik von Gruppen
Betriebswirtschaftslehre (Auswirkungen von Positiver Führung auf Umsätze und andere Leistungsindikatoren)
Hirnforschung, wenn es etwa um Motivation geht
Medizin, zum Beispiel in den Bereichen Resilienz und Selbstmanagement
Neurobiologie, etwa zu den physiologischen Grundlagen und Grenzen von Veränderung
Organisationswissenschaften, etwa zur Frage nach Wandel von oben (top-down) oder von unten nach oben (bottom-up)
Pädagogik/Lernwissenschaft, zum Beispiel zu den Veränderungsmöglichkeiten von Menschen im Erwerbsalter
Erkenntnisse der Systemforschung zum Wechselspiel zwischen Einzelnen, Gruppen und Organisationsstrukturen
Verhaltensökonomie, wenn es etwa um Anreiz- und Motivationsfaktoren geht
Was Positive Führung bringt
Bevor Sie Hinweise zu den messbaren Effekten von Positiver Führung beziehungsweise Leadership erhalten, vorab noch einige Bemerkungen dazu, was wir überhaupt von Daten im Führungsbereich zu erwarten haben und was nicht.
Zur Aussagekraft von Zahlen
Wahrscheinlich wird Ihr nächster Vorgesetzter kein Roboter sein – und Ihr übernächster auch nicht. Aber der Einfluss von Big Data und künstlicher Intelligenz auf Führung dürfte wachsen, denn Märkte und Entwicklungen werden immer schnelllebiger, das Tempo und die Ungewissheit, unter denen Entscheidungen zu treffen sind, werden immer größer und die Genauigkeit von Daten wird in vielen Bereichen immer besser. Somit wird auch die Bedeutung von Zahlen, Belegen und Hinweisen für organisationales und Führungshandeln wachsen. Unternehmen werden immer genauer wissen wollen, welche Art von Führung und Führungskräfteentwicklung welche Art von Effekten haben wird. Einerseits.
Andererseits geben viele Firmen Unsummen für »Messverfahren« wie den Myers-Briggs-Typenindikator zur Persönlichkeitsentwicklung aus oder spendieren Führungskräften Weiterbildungen in Neurolinguistischem Programmieren (NLP) zur Verbesserung des Kommunikationsverhaltens, zu denen es keine fundierten Wirkungsnachweise gibt. Auch sind nicht alle Erkenntnisse der Positiven Führung, die ich in diesem Buch aufführe, in Stein gemeißelt, sondern wie alles Wissen der Möglichkeit von Wandel, Fortschritt und Irrtum unterworfen. Als relativ junger Ansatz verfügt die Positive Führung an manchen Stellen noch nicht über die Datenlage und -qualität, die sie in einigen Jahrzehnten haben wird. Und vielleicht lassen uns auch Ereignisse wie die Finanzkrise 2008/2009, bei der ein Großteil der internationalen Analysten- und Bankerelite ihre vermeintlich korrekten Einschätzungen der Lage auf den Immobilienmärkten auf vermeintlich solide Indikatoren gestützt hatten, insgesamt etwas demütiger im Umgang mit Daten werden.
Auch noch so gute Algorithmen werden bis auf Weiteres nur managen – das eigentliche Führen wird den Menschen vorbehalten bleiben: So