Barbara Gegenhuber

Drogen


Скачать книгу

Und was bedeutet „gefährlich“ überhaupt? Ist eine Substanz erst gefährlich, wenn dabei x Menschen pro Jahr an ihrer Toxizität sterben? Mit einer derartigen Definition wären nicht-substanzgebundene Süchte wie etwa die Spielsucht völlig ungefährlich. Menschen, die wegen hoher Spielschulden all ihr Hab und Gut verlieren und in die Beschaffungskriminalität abgleiten, werden vermutlich nicht bestätigen, dass Spielsucht ungefährlich ist. Es braucht demnach andere Indikatoren für die Beurteilung von Gefährlichkeit.

      In einer Arbeit des britischen Psychiaters David Nutt [80], Professor für Neuropsychopharmakologie am Imperial College London, wurde die Gefährlichkeit verschiedener psychoaktiver Substanzen anhand einer Vielzahl von Merkmalen untersucht: Schäden, die der Konsum einer Substanz bei den Konsument*innen selbst verursacht, sowie Schäden bei anderen. Körperliche Folgeschäden wie drogenbezogene Todesfälle spielten genauso eine Rolle wie Folgeerkrankungen, seien dies Infektionen mit HIV oder Hepatitis C oder auch Krebserkrankungen durch Rauchen. Auch psychische und soziale Folgeschäden wie der Verlust von Beziehungen und Besitz wurden in der Untersuchung miteinbezogen. Auf der gesellschaftlichen Ebene wurde die Kriminalität, die der Konsum einer Substanz verursacht, ebenso berücksichtigt wie wirtschaftliche Folgeschäden. Es handelt sich dabei also um ein sehr vielschichtiges Modell, das die Gefährlichkeit von psychoaktiven Substanzen auf mehreren Ebenen untersucht. Etwas, das der Realität mit Sicherheit näher kommt als die Einteilung in harte und weiche Drogen.

      Die Gefährlichkeit von zwanzig verschiedenen Substanzen wurde auf diese Weise von einem Expert*innenkomitee eingeschätzt, es zeigte sich ein wenig überraschendes Bild. Die insgesamt gefährlichste Substanz, zählt man die Schäden für die Konsument*innen selbst und die Schäden für andere zusammen, ist der Alkohol. An der zweiten, dritten und vierten Stelle stehen Heroin, Crack und Methamphetamin (Crystal Meth), Nikotin ist auf Platz sechs. Damit sind unter den sechs gefährlichsten Drogen zwei Substanzen, die nicht verboten sind: Alkohol und Nikotin. Cannabis steht bei dieser Reihung auf Platz acht, LSD auf Platz 18. Betrachtet man nur das Schadenspotenzial für die Konsument*innen selbst, sind drei illegalisierte Substanzen vorne: Heroin, Crack und Methamphetamin. An oberster Stelle für den Schaden bei anderen steht jedoch der Alkohol [80, 81], etwas, das man nicht glauben möchte, wenn man in die Boulevardzeitungen schaut. Dort werden oftmals Delikte aus dem Bereich der Beschaffungskriminalität bei illegalisierten Substanzen dramatisiert, während Autounfälle oder Gewaltdelikte, bei denen Alkohol im Spiel ist, verharmlost werden. Die subjektive Wahrnehmung der Gefährlichkeit einer Substanz scheint sich hier oft nicht mit der objektiven Gefährlichkeit zu decken.

      Die Wirkung von Drogen ist individuell sehr unterschiedlich und hängt von einer Reihe begleitender Faktoren ab. So kann das Konsumieren von Cannabis in einer geselligen Runde zu Lachanfällen führen, während der Konsum derselben Substanz alleine zu Hause vielleicht entspannt und zum Einschlafen anregt. Die Wirkung ist nicht nur von der Substanz, sondern auch von der Umgebung (dem Setting) und der Person und ihren Erwartungen (dem Set) abhängig. Darüber hinaus macht es einen Unterschied, ob man eine Substanz raucht oder sie nasal, intravenös oder auf anderen Wegen konsumiert (siehe weiter unten „Konsumformen“). Es gibt demnach nicht die eine immer gleiche Wirkung einer Substanz, wenngleich diese nach Wirkungsklassen doch grob in drei verschiedene Gruppen eingeteilt werden können: Beruhigende, dämpfende Substanzen (Sedativa/„Downer“), anregende Substanzen (Stimulantien/„Upper“) und Substanzen, die verzerrte Sinneswahrnehmungen auslösen (Halluzinogene) [116].

       Schädlichkeit von Drogen

       Konsumformen

       Intravenös

      Beim intravenösen (i.v.) Konsum wird das Suchtmittel durch Erhitzen verflüssigt und in die Venen gespritzt. Heroin wird dabei mit Wasser und Ascorbin- oder Zitronensäure auf einem Löffel vermischt und mit einem Feuerzeug angehitzt – „aufgekocht“, wie es in der Szenesprache heißt. Wenn sich das Heroin vollständig aufgelöst hat, wird das Gemisch mit einer Spritze aufgezogen und in eine Vene in Unterarm, Unterschenkel, Ellenbeugen oder die Leiste, vereinzelt auch in Muskeln injiziert. Durch den jahrelangen i.v. Konsum vernarben oft die Einstichstellen, Abhängige beginnen in die Venen an Händen oder Füßen oder am Hals zu injizieren. Der intravenöse Konsum verschafft zwar den schnellsten „Kick“, ist aber auch die riskanteste Konsumform. Durch die rasche Anflutung der Substanz im Körper kommt es schneller zu Überdosierungen als bei jeder anderen Konsumform. Dazu kommt die Gefahr von Abszessen, Vernarbungen und Infektionen mit Viren, Bakterien und Pilzen sowie HIV und Hepatitis C durch unsauberes Spritzbesteck. Neben Heroin können auch andere Substanzen wie Kokain, Benzodiazepine, Speed oder Crystal Meth intravenös konsumiert werden.

       Nasal-Sniefen

      Eine vor allem beim Kokainkonsum verbreitete Konsumform ist das Sniefen oder „Durch-die-Nase-Ziehen“. Hierbei wird das Pulver so klein wie möglich zerhackt und mit Hilfe von Ziehröhrchen in die Nase gezogen. Als Ziehröhrchen werden zumeist Geldscheine oder ein Stück Papier benutzt, bei der gemeinsamen Verwendung besteht die Gefahr einer Ansteckung mit Hepatitis C, Herpes oder anderen Infektionen. Das Sniefen ist zwar im Vergleich zur intravenösen Applikation die schonendere Konsumform, die Gefahr der Schädigung der Nasenschleimhaut ist jedoch groß, die Möglichkeit einer Überdosierung ebenfalls gegeben.

       Analinjektion

      Die – eher selten angewendete – Analinjektion funktioniert ähnlich wie der oben beschriebene intravenöse Konsum, nur wird die Substanz, anstatt sie mit einer Nadel in die Vene zu injizieren, mithilfe einer nadellosen Spritze in den After gespritzt. Durch die Schleimhäute gelangt der Wirkstoff sehr schnell ins Blut, ähnlich wie bei der intravenösen Applikation. Der Vorteil ist, dass die Schleimhäute im Enddarm eine Filterfunktion für manche Krankheitserreger haben.

       Rauchen

      Einige illegalisierte Substanzen können auch geraucht werden. Dies geschieht entweder pur in einem speziellen kleinen Pfeifchen, oder auch mit Tabak vermischt in einer Zigarette oder einer Wasserpfeife (Bong). Infektionen mit HIV und Hepatitis C sind nahezu ausgeschlossen. Eine spezielle Form des Rauchens, die häufig beim Heroinkonsum zur Anwendung kommt, ist das sogenannte „Folie rauchen“. Dabei wird das Heroin auf einem Stück Alufolie erhitzt, sodass es schmilzt und zu einer öligen Flüssigkeit wird. Der dabei entstehende Dampf wird mithilfe eines Röhrchens inhaliert. Streckmittel und andere Verunreinigungen geraten nicht – wie beim intravenösen Konsum – direkt in die Blutbahn, sondern werden von Nasenschleimhaut und Lunge gefiltert oder bleiben unaufgelöst auf der Folie. Die Gefahr, sich mit HIV oder Hepatitis C zu infizieren, ist gleich null. Die Wirksamkeit ist im Vergleich zum intravenösen Konsum deutlich geringer, wodurch Überdosierungen wesentlich unwahrscheinlicher, jedoch nicht unmöglich sind.

      Zur Gruppe der Sedativa zählen alle Substanzen, die beruhigend, angstlösend oder schlaffördernd wirken, sie machen müde und dämpfen die körperliche Aktivität. Zu den missbräuchlich verwendeten Substanzen dieser Klasse – szenesprachlich auch als „Downer“ bezeichnet – zählen Benzodiazepine, Opioide, Barbiturate und auch Alkohol. Es gibt sowohl pflanzliche Präparate mit beruhigender Wirkung, wie etwa Baldrian, als auch chemisch-synthetische Stoffe mit unterschiedlich starker Wirkung.

      Benzodiazepine sind die am häufigsten verwendeten Beruhigungs- und Schlafmittel, sie dämpfen die Funktion des zentralen Nervensystems und werden regelmäßig ärztlich verordnet. Eingesetzt werden sie zur Linderung von Schlafstörungen, Angst- und Spannungszuständen bei psychischen Erkrankungen oder auch zur Beruhigung im Rahmen von diagnostischen Eingriffen wie beispielsweise einer Magenspiegelung. Sedativa und Hypnotika sind durchaus sehr gebräuchliche und gut wirksame Medikamente der Humanmedizin. Sie haben nur einen Haken: Die meisten Beruhigungsmittel können als Nebenwirkung körperlich stark abhängig machen, was den Empfänger*innen dieser Medikamente nicht immer bewusst ist. Nicht selten wurden und werden diese bei Angstzuständen, Depressionen und Schlafstörungen, aber auch bei weniger beeinträchtigenden Zuständen wie Nervosität oder Überlastung eher großzügig verschrieben, was dazu führt, dass man nach einiger Zeit der Medikamenteneinnahme eine