Barbara Gegenhuber

Drogen


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es sich um ein Narkosemittel, das überwiegend in der Tiermedizin angewendet wird. In niedrigen Dosierungen kommt es zu einer verzerrten Wahrnehmung von Raum und Zeit und einer leicht euphorischen Wirkung, bei höheren Dosierungen zu einer Verschmelzung mit der Umwelt, auch Halluzinationen sind möglich. Bei Überdosis kann es zu Bewusstlosigkeit, Koma und Atemdepression kommen. Ketamin ist als weißes, meist kristallines Pulver am Schwarzmarkt erhältlich und wird vorwiegend gesnieft.

       Mephedron/MMC

      Mephedron gehört zur Gruppe der synthetischen Cathinone und wirkt antriebssteigernd und euphorisierend, es ist als Pulver oder in Tablettenform erhältlich. Da es zu den „Neuen psychoaktiven Substanzen“ gehört, ist über Wirkungsweise, Risiken und Langzeitfolgen noch wenig bekannt (siehe Kapitel „Kleine Substanzkunde“).

       Poppers

      Poppers ist ein Sammelbegriff für in kleine Glasfläschchen abgefüllte Nitritverbindungen, deren Dampf nach dem Öffnen der Ampullen inhaliert wird. Dies führt zu einem kurzfristigen High-Gefühl, aber auch zu einer Entspannung der glatten, vaskulären Muskulatur, weswegen sie auch beim Analverkehr verwendet werden.

      Chemsex ist in der schwulen Partyszene vieler europäischer Länder zu finden, am häufigsten in englischen Städten wie London oder Manchester, gefolgt von Amsterdam und Barcelona, aber auch Berlin oder Wien haben eine Chemsex-Szene [92]. Die manchmal Tage dauernden privaten oder (halb-)öffentlichen Chemsex-Partys sind häufig über den Freundeskreis oder spezielle Online-Plattformen organisiert, in denen sich User als „chemfriendly“ ausweisen. Spezielle mobile Dating-Apps spielen hierbei eine wesentliche Rolle. Bei den Konsumenten handelt es sich nicht um „klassische“ Drogenkonsumenten, sie betrachten sich zumeist auch nicht als solche. Es handelt sich häufig um eher gut gebildete, sozial integrierte Personen der Mittel- bis Oberschicht, die im Berufsleben stehen und am Wochenende dem Alltag mit berauschenden Chemsex-Partys entfliehen.

      Was so organisiert und harmlos klingt, ist es aber nicht. Zu den weiter oben bereits beschriebenen Risiken des Freizeitdrogenkonsums kommt beim Chemsex ein weiteres Risiko dazu, die Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten wie HIV, Hepatitis C, Gonnorhö (Tripper) oder anderen Geschlechtskrankheiten. Der Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und Risikobereitschaft ist komplex, das höchste Risiko besteht jedoch darin, dass es im Zuge der Enthemmung zu ungeschütztem Sexualverkehr kommt. Der Sex unter Drogeneinfluss dauert oft auch länger, manche Drogen trocknen darüber hinaus die Schleimhäute aus, was das Risiko von Verletzungen beim Verkehr zusätzlich erhöht. Dazu kommt, dass auf Chemsex-Partys häufig zu Verkehr mit wechselnden Partnern kommt, alles zusammen erhöht das Risiko der Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten [97]. Nicht zuletzt dieses Risiko macht spezifische Präventions- und schadensminimierende Angebote notwendig. Kam oder kommt es beim Chemsex zu einem Kontrollverlust mit ungeschütztem Verkehr, können PrEP2 (Prä-Expositions-Prophylaxe) und PEP3 (Postexpositionsprophylaxe) zumindest vor einer Infektion mit HIV schützen, das Risiko für die Übertragung anderer Krankheiten ist jedoch nach wie vor gegeben.

      Auch wenn das Phänomen Chemsex vorwiegend bei Männern, die Sex mit Männern haben, beschrieben wird, darf nicht vergessen werden, dass auch heterosexuelle Kontakte oft mit Berauschung einhergehen. Das Mittel der Wahl ist hier zumeist der Alkohol, der zur Enthemmung und Steigerung der Kontaktfreudigkeit eingesetzt wird. Darüber hinaus gibt es vermehrt Berichte, dass auch bei Heterosexuellen zunehmend andere Substanzen zur Förderung des sexuellen Erlebens eingesetzt werden, von Crystal Meth bis Mephedron, Substanzen, die in der homosexuellen Chemsex-Szene auch in Gebrauch sind.

      Ganz unabhängig davon, wozu psychoaktive Substanzen im Freizeitbereich eingesetzt werden, hören die meisten Menschen, die Freizeit- oder Partydrogenkonsum betreiben, irgendwann auch wieder damit auf, ohne eine Abhängigkeit zu entwickeln. Die Lebensumstände ändern sich, andere Dinge werden wichtiger, der Konsum selbst ist nicht mehr so interessant, wie er einmal war. Dennoch bleibt das Risiko, eine Abhängigkeit schleichend zu entwickeln; die Grenzen zwischen genussvollem Gebrauch, Missbrauch und Abhängigkeit sind fließend.

      MICHAEL

      Michael4 ist 38 Jahre alt und leitender Angestellter in einer Bank. Niemand von seinen Kund*innen würde vermuten, dass er über zehn Jahre lang an den Wochenenden ein ganz anderes Leben gelebt hat.

      Michael wusste seit seiner frühen Kindheit, dass er schwul ist. Aufgewachsen in einem eher bürgerlichen Elternhaus, stellte dies nach seinem relativ späten Coming-out im Alter von 21 Jahren auch kein Problem mehr dar. Mit sich und seiner Sexualität schließlich im Reinen, hatte er bald viele homosexuelle Freunde und die ersten Beziehungen. Bis er im Alter von 28 Jahren noch einmal etwas anderes kennen lernte: Partydrogen und Chemsex.

      Bis dahin hatte Michael keinerlei Erfahrungen mit härteren Drogen als Cannabis, ihm wurde immer erzählt, dass Drogen schnell süchtig machen und sehr gefährlich sind. Das schreckte ihn ab und interessierte ihn auch nicht. Bis zu dem Zeitpunkt, als er von einem Bekannten auf einer Party sein erstes Ecstasy angeboten bekam. Die Versuchung war da, der Respekt davor jedoch auch. So informierte er sich vorher genau über Drogen und ihre Wirkungen, Nebenwirkungen und die Gefahren und Risiken. Die Kontrolle, die er auch sonst von seinem Leben und seinem Beruf kannte, war ihm auch oder gerade bei Drogen wichtig. So bekam er von befreundeten Ärzten eine umfangreiche „Einschulung“ über Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken, über das Internet waren die Informationen damals noch nicht so umfangreich zugänglich. Den beiden Ärzten vertraute er, er kannte sie gut und sie selbst konsumierten seit Jahren gelegentlich am Wochenende Drogen, während der Woche standen sie mit beiden Beinen im Leben.

      Bald nach diesem ersten Kontakt mit Drogen fuhr er auf ein großes Schwulenfestival nach Miami, viele schöne, trainierte Männer, drei Viertel von ihnen auf Drogen, so schätzte er. Dort lernte er Kokain, GHB, Ketamin und Crystal Meth kennen, wobei er insbesondere Letzteres nur in sehr kleinen Mengen konsumierte, der Respekt davor war und blieb groß. Er wusste von der Gefährlichkeit der Substanz und ging dementsprechend vorsichtig damit um. Unter Drogeneinfluss sei eine Party ein ganz anderes Erleben, mit nacktem Oberkörper zu tanzen ist wie ein Vorspiel auf der Tanzfläche. Der Beginn eines sexuellen Erlebnisses, das sich über die ganze Nacht zieht. Michael verkehrte gerne öfter in einer bestimmten Schwulenszene, die sehr oberflächlich ist. Man muss perfekt sein, attraktiv, trainiert und erfolgreich, sonst ist man nicht begehrenswert. Auch er selbst optimierte seinen Körper mit viel Training, bewusster Ernährung und strenger Disziplin. Durch die Partydrogenszene kam er aber noch ein Stück besser an die „High-end-Leute“ heran, wie er sie bezeichnet. Eine „geile“ Belohnung für all das Training und die Anstrengungen.

      Nachdem ihm einmal in London beim Eingang in einen Club sein Ecstasy, das er für den Abend mithatte, abgenommen wurde, lernte er noch etwas anderes kennen: Mephedron. Er und die Männer, die er dort kennen gelernt hatte, gingen gemeinsam aufs Klo, um zu konsumieren. Die Toilettendame ließ sich fünf Pfund „Schweigegeld“ bezahlen, wer nicht zahlte, wurde nicht gemeinsam in eine Kabine gelassen. Der Drogenkonsum schien in dem Club System zu haben, die Toilettendame verdiente sich so ein Körberlgeld. Mephedron war noch einen Tick interessanter für ihn. Es macht dich nicht nur wach wie Kokain oder Speed, sondern verbessert deine Stimmung, ähnlich wie Ecstasy, „macht dich happy und geil“, wie er es formuliert. Der Zugang dazu war damals auch noch einfach, man konnte es bis zur Einführung des Neue-Psychoaktive-Substanzen-Gesetzes legal im Internet bestellen. Er bestellte sich gleich einen größeren Vorrat, von dem er jahrelang zehrte, das „Zeug“ war damals vergleichsweise rein und spottbillig.

      Etwa zwei Jahre nach dem ersten Ecstasykonsum gab es kein Ausgehen ohne Drogen mehr. Die intensivsten Wochenenden waren immer auf Festivals im Ausland, wo sich bald der Tagesrhythmus umgestellt hatte. Schlafen bis nachmittags, abends auf eine oder mehrere Partys, immer in Verbindung mit Mephedron und/oder anderen Substanzen. Am Ende der Nacht ging es auf eine Afterparty im Club oder bei jemandem zu Hause, wo noch gechillt, getanzt, gekifft, in der Sonne gelegen und gefummelt wurde. Am Ende der Nacht hatte er Sex mit jemandem, den er sich während des Abends ausgesucht hatte.